Die Gegenwart

Kritik des Klerikalismus: Die drohende Entfremdung der Kirche von ihren Gläubigen

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Entfremdung von den Gläubigen? Bischöfe beten beim Eröffnungsgottesdienst der traditionellen Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz. (Symbolbild)

In ihrem Abwehrkampf hat die katholische Kirche sich der Moderne entfremdet. Das droht auch mit ihren Gläubigen zu passieren. Der sexuelle Missbrauch und dessen systematische Vertuschung wirken wie Brandbeschleuniger. Ein Gastbeitrag.

Was genau meint „Klerikalismus“? Entstanden ist das Wort als polemische Fremdbezeichnung für die Aktivität der katholischen Kirche vor allem im Einflussbereich des französischen Laizismus. Es findet sich aber auch in protestantischen Diskursen. In der Tat hatte die katholische Kirche im Hochmittelalter den bis dahin erheblichen Einfluss von „Laien“, konkret von weltlichen Herrschern, auf ihre internen Verhältnisse erfolgreich eliminiert und die Führung der Kirche auf allen Ebenen – von der Universalkirche bis zur örtlichen Kirchengemeinde – geweihten Klerikern anvertraut.

Kirchenrechtlich wurden Kleriker erheblich privilegiert, bis dahin, dass sie sich vor keinem weltlichen Richter verantworten mussten. Erst das II. Vatikanische Konzil und die darauf folgenden Reformen des Kirchenrechts haben auch den Laien einen eigenständigen Status in der Kirche zurückgegeben. Insoweit ist die Gleichsetzung von kirchlichen und klerikalen Aktivitäten ohne jede Polemik zum mindesten bis zum II. Vatikanum plausibel. Mit deren Bezeichnung als Klerikalismus ist allerdings die Bestreitung kirchlicher Ansprüche verbunden: Klerikalismus und Antiklerikalismus wurden zu Kampfbegriffen in den Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Staat.

Als Selbstbezeichnung gewinnt Klerikalismus erst in jüngerer Zeit Bedeutung. Dabei wird das pejorative Moment beibehalten. Klerikalismus meint dann eine Übergriffigkeit kirchlicher Ansprüche in weltliche Bereiche, was die Anerkennung der Eigenwertigkeit dieser Bereiche voraussetzt, wie sie erst vom II. Vatikanischen Konzil anerkannt wurde.

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Wo deren legitime Grenzen liegen, ergibt sich allerdings nicht schon aus dem Begriff. Immerhin zeugte die Übernahme des Kampfbegriffs in den kirchlichen Sprachgebrauch von einer wachsenden Sensibilität mit Bezug auf die Grenzen kirchlicher Deutungs- und Gestaltungsansprüche.

Elitäre Einstellungen und Verhaltensweisen

Das jüngste Aufgreifen des Wortes Klerikalismus durch Papst Franziskus hat allerdings eine andere Stoßrichtung. Für den Papst ist Klerikalismus eine kritikwürdige, im Klerus verbreitete Haltung oder Einstellung gegenüber den Laien innerhalb der Kirche, nicht im Verhältnis von Kirche und anderen gesellschaftlichen Gestaltungsbereichen. Der Papst versteht unter Klerikalismus „jene Haltung, die nicht nur die Persönlichkeit der Christen zunichte(macht), sondern dazu (neigt), die Taufgnade zu mindern und unterzubewerten, die der Heilige Geist in das Herz unseres Volkes eingegossen hat. Der Klerikalismus, sei er nun von den Priestern selbst oder von den Laien gefördert, erzeugt eine Spaltung im Leib der Kirche, die dazu anstiftet und beiträgt, viele der Übel, die wir heute beklagen, weiterlaufen zu lassen.“ (Schreiben an das Volk Gottes vom 20. August 2018)