Die Gegenwart

Migration: Schaffen wir das?

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Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag in Berlin

Entwicklungshilfe kann dazu beitragen, Fluchtursachen zu bekämpfen. Allerdings wird sie nur selten so eingesetzt, dass sie dieses Ziel auch erreicht. Regierungen reagieren oft zu spät und zu halbherzig auf Krisen, die sich häufig schon früh abzeichnen. Das Verhalten der Bundesregierung im Jahr 2015 ist da keine Ausnahme.

Fast genau drei Jahre sind es her, dass Angela Merkel im Zuge der europäischen Flüchtlingskrise zum ersten Mal versicherte: „Wir schaffen das.“ In den Jahren 2015 und 2016 haben jeweils mehr als eine Million Menschen Asyl in Europa beantragt und den Kontinent damit vor große Herausforderungen gestellt. Obgleich die Zahl der Flüchtlinge mit Ziel Deutschland oder Europa seit 2016 deutlich zurückgeht, suchen deutsche und andere europäische Politiker weiter nach Mitteln, mit denen derartige Krisen in Zukunft verhindert werden können.

Der jüngste Rückgang der in Deutschland ankommenden Migranten ist nicht etwa das Ergebnis einer langfristigen Lösung des grundsätzlichen Problems. Noch immer befinden sich weltweit etwa 68 Millionen Menschen auf der Flucht. Das entspricht etwa der Bevölkerungsgröße Frankreichs – Tendenz ist weiter steigend. Inzwischen hält die Bundesregierung die vielbeschworene „Bekämpfung von Fluchtursachen“ gar für eine zentrale Aufgabe ihrer Entwicklungspolitik. Im aktuellen Koalitionsvertrag heißt es, dass zur Fluchtursachenbekämpfung „mehr Mittel für Entwicklungszusammenarbeit“ bereitgestellt werden sollen.

Tatsächlich sind bereits in der vorherigen Legislaturperiode die deutschen Zahlungen von ODA („Official Development Assistance“ – im Volksmund meist „Entwicklungshilfe“ genannt) in der Folge der Flüchtlingskrise spürbar gestiegen. Betrugen sie im Jahr 2014 noch 0,42 Prozent des deutschen Nationaleinkommens, waren es 2015 schon 0,52 Prozent. Im Jahr 2016 erreichte Deutschland gar zum ersten Mal das von den Vereinten Nationen (UN) ausgegebene Ziel, 0,7 Prozent des Nationaleinkommens an Entwicklungshilfe zu leisten.

Die Bürger stehen der Entwicklungshilfe weitgehend positiv gegenüber. Nach einer aktuellen Umfrage des Allensbach-Instituts sind hierzulande fast drei Viertel der Bevölkerung grundsätzlich dafür, dass Deutschland Entwicklungshilfe leistet. Und fast zwei Drittel der Befragten sind der Ansicht, die Anzahl der nach Deutschland Flüchtenden ließe sich durch Entwicklungshilfe verringern. Um herauszufinden, ob dieser vermutete Zusammenhang zwischen Hilfe und Migration tatsächlich besteht, lohnt ein genauerer Blick auf die Daten und auf die aktuelle entwicklungsökonomische Forschung. Denn ganz so einfach ist es nicht.

Schon der sprunghafte Anstieg deutscher Entwicklungshilfe in den vergangenen Jahren illustriert ein zentrales Problem der Entwicklungspolitik: Häufig folgt sie den kurzfristigen, politischen Interessen der Geberländer, anstatt sich langfristig um die ökonomischen, sozialen und politischen Probleme in den Empfängerländern zu kümmern.

Die Konstellationen, die derzeit so viele Menschen in die Flucht oder in die Auswanderung treiben, gibt es nicht erst seit 2015. Immer wieder kommt es zu Flüchtlingskrisen wie beispielsweise nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion oder den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien. Und schon zwischen 2012 und 2014 stieg die Zahl der weltweit Geflüchteten von 36 auf 55 Millionen. Zum Anlass für großzügigere Hilfen nahm Deutschland das aber nicht. Schließlich schienen deutsche Interessen nicht unmittelbar bedroht. Erst als sich die Zahl der nach Deutschland Geflüchteten zwischen 2014 und 2016 von weniger als einer halben Million auf fast 1,3 Millionen nahezu verdreifachte, reagierte die deutsche Politik.