Die Gegenwart

Deutschland: Ja sagen zum Vaterland

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Ältere Diesel wie dieses Modell können gegen neue getauscht werden – mit großzügigen Prämien

Warum die Linke den Nationalstaat braucht – und der Nationalstaat die Linke.

In aufgeklärten Kreisen führt ein Lobgesang auf den Nationalstaat derzeit zuverlässig in die gesellschaftliche Isolation. Eine Verteidigung des Staats? Ein Plädoyer für die Nation? Weshalb nicht gleich ein Hoch dem Chauvinismus oder ein Hurra der Gewalt? Der Nationalstaat gilt als rückwärtsgewandt, als unsolidarisch und in Anbetracht globaler Herausforderungen bestenfalls als ineffektiver Atavismus. Angesichts der Beliebigkeit des sozialen Konstruktes „Nation“ geht es für viele Progressive in erster Linie darum, diese „imaginierte Gemeinschaft“ zu bearbeiten, zu verändern und, ja, zu überwinden. Sind nicht selbst Geschlechterrollen frei wählbar? Weshalb dann nicht über die Dekonstruktion der Nation den Weg bahnen für eine friedliche Zukunft, in der, wie von John Lennon besungen, nicht länger Staaten dem Traum globaler Brüderlichkeit im Wege stehen? It’s easy if you try!

In dieser hehren Vision treten supranationale und regionale Zusammenschlüsse an die Stelle der Staaten – im besten Falle als Weltgesellschaft oder im Sinne eines Etappenziels zumindest als Vereinigte Staaten von Europa. Weshalb nur weigern sich Teile der Menschheit so hartnäckig, das konstruierte, rückwärtsgewandte und dabei so impotente wie gefährliche Konzept der Nation endlich dorthin zu befördern, wohin es gehört: auf den Müllhaufen der Geschichte?

Hinweise auf die Antwort liefert die Meinungsforschung – nicht zuletzt im World Values Survey, eine der größten nichtkommerziellen Untersuchungen menschlicher Überzeugungen quer über Landes- und Kulturgrenzen hinweg. So divers die Einzelergebnisse, so eindeutig das Resultat in Bezug auf den Nationalstaat: 86 Prozent der Befragten von Algerien bis Zimbabwe zeigten sich in der letzten Erhebung „sehr“ oder „ziemlich stolz“ auf die Zugehörigkeit zu ihrer Nation. Der Anteil derjenigen, die „überhaupt keinen Stolz“ auf ihre Nationalität empfinden, lag dagegen im einstelligen Bereich.

Diese Ergebnisse wie auch die stetig steigende Zahl der Nationalstaaten selbst setzen ein Fragezeichen nicht nur hinter die moralische Autorität der Nationalstaatskritiker, sondern auch hinter die Realisierbarkeit jeglicher antinationaler politischen Strategie – zumindest auf demokratischem Wege. Mit welchem Recht würde den 86 Prozent ihre Identität entzogen? Zumal nach den Vorteilen der Alternativen zu fragen wäre. Die Kritiker der Nation erschauern beim Gedanken an die Schattenseiten nationaler Loyalitäten – nicht zu Unrecht angesichts der blutigen Bilanz nationalistischer Verblendung. Doch schon ein kursorischer Blick zurück in die Geschichte belegt, dass auch das vornationale Europa der regionalen Feudalstaaten – die Keimzelle der heute so gepriesenen Regionen – alles andere war als ein Hort des Friedens.