
Geländeuntersetzung, Differentialsperren, Allradantrieb – nur mit einem perfekt ausgestatteten Geländewagen kann die Abenteuerlust befriedigt werden. Ein Training kann dennoch nicht schaden.
Auch ein acht Jahre alter VW Touareg V6 besitzt die Attribute eines Allesüberwinders. Denn dank Untersetzungsgetriebe und Hinterachssperre könnte der Volkswagen Gebirge und Wüsten unter die Räder nehmen. Im braven Alltagsbetrieb als Geschäftsfahrzeug wird die aufwendige Allradtechnik allerdings nicht benötigt. Besitzer Michael Sauer geht es so wie mehr als 90 Prozent aller Geländewagenbesitzer. Die Technik ist da, doch sie wird fast nie gebraucht. Allenfalls im Winter, falls mal Schnee liegt, profitiert man vom Allradantrieb.
Doch Sauer und sein treuer Touareg träumen von mehr. Aber einfach so durchs Unterholz bolzen verbietet sich von selbst. Und bevor sich der Inhaber eines Installationsbetriebs mit seinem Dienstwagen auf Abwege begibt, will er es lernen.
Das geht zum Beispiel auf einem abgesperrten Gelände eines Kreidesteinbruchs in Wülfrath bei Düsseldorf. Dort betreibt das Unternehmen APS sozusagen eine Geländewagenfahrschule. Auf einer Fläche von 120.000 Quadratmetern wurden 800 Tonnen Sand und mehr als 2.500 Tonnen Steine bewegt, um einen einzigartigen Geländewagenparcours zu erschaffen. So stellt man sich ein Panzerübungsgelände vor. Aber niemand muss hier Angst um sein eigenes Blech haben, denn gefahren wird mit aktuellen Geländewagenmodellen von Land Rover. Und stets ist ein erfahrener Trainer mit an Bord, der die beste Fahrweise erklärt und die notwendigen Sicherheitshinweise gibt.
Aber bevor es losgeht, muss gebüffelt werden. Im Schulungsgebäude erläutert „Lead Instructor“ Dieter Neldner (mehrfach bei der Camel Trophy dabei gewesen) die Grundlagen moderner Allradtechnik. In verständlichen Worten und mit Hilfe von Lichtbildern erklärt er Fachbegriffe und geht auf individuelle Fragen ein. Für einige überraschend ist die Erkenntnis, dass mit einem Simpel-Allradantrieb, wie er in einigen SUV verbaut ist, nicht immer ein Fortkommen im Gelände gewährleistet ist.
Ein mulmiges Gefühl in der Magengegend
So kann es durchaus sein, dass ein solch allradgetriebenes Fahrzeug regungslos verharrt, wenn nur ein einzelnes Rad auf besonders rutschigem Untergrund zum Stehen kommt. Neldner erläutert, dass die Motorkraft über die Differentiale konstruktionsbedingt immer an die Räder mit der schlechtesten Bodenhaftung gelangt.
Diesem Zustand können selbstsperrende Differentiale oder Geländefahrprogramme entgegenwirken. Am wirksamsten sind aber mechanische Sperren. Gerade deren Einsatz will allerdings gelernt sein. In engen Kurven wirken bei eingelegten Achssperren immense Kräfte aufgrund der unterschiedlichen Wege zwischen innerem und äußerem Rad. Auf hartem Untergrund beginnen die Räder zu radieren. Das kann in bestimmten Situationen zum Kontrollverlust über das Fahrzeug führen, schlimmstenfalls zur Zerstörung mechanischer Komponenten. Deshalb werden heutzutage Achssperren nur noch bei wenigen Geländewagen wie beispielsweise dem Mercedes-Benz G verbaut.
Nach viel Theorie geht es endlich ab ins Gelände. Schon die ersten Meter sorgen für ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Was auf Bildern und im Wagen dramatisch wirkt, ist in Wirklichkeit harmlos. Bei 35 Grad Seitenneigung scheint das Kippen für die Fahrzeugpassagiere in jedem Moment möglich. „Was unser Gefühl sagt, ist falsch“, erläutert Neldner. „Tatsächlich sind mehr als 45 Grad Seitenneigung möglich, erst danach wird es kritisch.
Ein Wasserschlag kann den Motor zerstören
Wieder in Horizontallage, geht es scharf rechts durch ein Wasserloch, bevor der Land Rover Discovery dem grauverhangenen Himmel entgegenstrebt. Bei eingelegter Allraduntersetzung kriecht der Wagen die Steilstrecke munter empor. Mit einem Straßen-SUV wäre das wegen des fehlenden Untersetzungsgetriebes nicht zu schaffen. „Wir bewältigen hier Hänge mit 110 Prozent Steigung“, sagt Neldner. „Wichtig ist immer, den Schwung zu erhalten, um nicht im Hang stehenzubleiben.“ Kurz zu den Prozenten: 45 Grad sind 100 Prozent (100 Meter Straße auf 100 Höhenmeter). 200 Prozent wäre ein Winkel von rund 64 Grad.
Oben angekommen, geht es gleich wieder steil nach unten durch verwinkeltes Geläuf. Schlammiger Untergrund wechselt ab mit sandigen Böden. Und jetzt beginnt die elektronische Zauberei. Auf Anweisung des Instruktors wählt der Touareg-Besitzer und Land-Rover-Novize per Schalter das Fahrprogramm „ausgefahrene Wege“. Ohne weiteres Zutun bremst die Elektronik das Fahrzeug auf eine angemessen niedrige Geschwindigkeit ein. An einem grasüberwucherten Abhang ist die Grenze erreicht. Ein Schild warnt vor der Weiterfahrt für Unbefugte. „Bei Nässe kann das hier lebensgefährlich sein.“ Wir verweilen einen kurzen Moment, denn von hier oben hat man die beste Aussicht auf das Fahrgelände. Ähnlich einer Modelleisenbahn drängt sich alles auf engstem Raum. Wir erkennen eine rustikale Holzbrücke, die über ein Blockhaus führt, Steintreppen wechseln sich ab mit Verwindungsstrecken. Eine Fahrzeugwippe steht bereit, um das Balancegefühl der Probanden zu trainieren, auch Geröllgärten versprechen Nervenkitzel.
Aber vorher geht es noch zum Schlammteich. Das Lenkrad fest im Griff und mit gleichmäßigem Schwung geht es durch das trübe Gewässer. Mehr als 80 Zentimeter Wassertiefe verträgt ein Discovery, aber zu schnelle Fahrt kann fatale Konsequenzen haben. Die Gischtfontäne sieht dann besonders spektakulär aus, aber es droht ein Wasserschlag, der den Motor zerstören kann: Sobald Wasser statt Luft angesaugt wird, ist Schluss mit lustig.
Auch exotische Off-Road-Reisen werden angeboten
Zum Abschluss simuliert Neldner die Bedingungen auf winterlichen Straßen mittels einer schräg stehenden Rollenbahn. Gefahrlos kann man hier die Wirkung des Allradantriebes auf Schnee buchstäblich erfahren. Mit einem zufriedenen Lächeln fährt Sauer zurück nach Hause, nicht ohne vorher wenigstens ein kurzes Stück seinen VW abseits der Straßen auszuprobieren. Er hat viel gelernt, und es hat ihm gefallen. Jetzt ist er begierig, das Erlernte in die Praxis umzusetzen. Vielleicht schon im Skiurlaub am Südhang der Alpen. Dort soll ja mächtig Schnee liegen.
Das vom Autor begleitete Training findet nach Voranmeldung in kleinen Gruppen auch an Wochenenden statt. Beginn ist jeweils um 10 Uhr. Gefahren wird bis zum späten Nachmittag. Der Unkostenbeitrag beträgt 435 Euro für eine Einzelperson. Sitzen zwei im Auto, kostet es 515 Euro, zu Dritt 595 Euro. Ein Mittagscatering ist im Preis inbegriffen. Empfehlenswert ist das Training für Unerfahrene, es gibt aber auch Aufbaukurse zur Vertiefung der gewonnenen Kenntnisse. Alle Instruktoren bei APS sind nach strengen Richtlinien zertifiziert und werden in regelmäßigen Abständen auf den neuesten Stand der Fahrzeugtechnik weitergebildet. Den Teilnehmern wird am Ende des Trainings eine Urkunde ausgehändigt. Neben dem Führerschein sollte man wetterfeste Kleidung und festes Schuhwerk mitbringen.
Für die Zukunft plant APS-Besitzer Dag Rogge auch allgemeine Fahrtrainings mit Straßenfahrzeugen. Dazu soll auf dem benachbarten Grundstück ein modernes Fahrsicherheitsgelände entstehen. Die Verträge sind bereits unterzeichnet. Die Bauarbeiten werden in Kürze beginnen. In Zusammenarbeit mit Land Rover Deutschland bietet Rogge auch geführte Off-Road-Reisen an. Im Programm sind exotische Ziele wie Island und Namibia. Preise und Informationen findet man im Internet unter der Adresse www.landrover-experience.de
