Wirtschaft

Streit um Wechat: Trump bannt Chinas Lebensader

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Die Super-App Wechat ist das chinesische digitale Taschenmesser für alles. In Amerika kommunizieren mehr als drei Millionen Chinesen nach Hause – wie Wendy Tang. Die Studentin glaubt, der amerikanische Präsident schlage seine letzte Schlacht.

Wenn Wendy Tang, 25 Jahre, in New York Heimweh bekommt, öffnet sie auf ihrem Smartphone Chinas Lebensader: Wechat. Die App, die der Begriff „Kurznachrichtendienst“ nur sehr eingeschränkt beschreibt, hat auf der ganzen Welt ungefähr 1,2 Milliarden Nutzer. Die allermeisten davon leben in China. In den Vereinigten Staaten kommunizieren etwa fünf Millionen dort lebende ethnische Chinesen in die Volksrepublik.

Die Sehnsucht nach der Familie in Peking ergreift Wendy Tang ziemlich oft. Seit sieben Jahren studiert sie in den Vereinigten Staaten, erst Journalismus an der Stony Brook Universität, nun ist sie an der Brooklyn Law School in New York City eingeschrieben, wo sie ihre Doktorarbeit in Rechtswissenschaften schreibt.

Die Eltern und der kleine Bruder leben in Chinas Hauptstadt, 11.000 Kilometer entfernt. „Meiner Mutter schreibe ich jeden Tag Hunderte Nachrichten auf Wechat“, berichtet Tang im Gespräch mit der F.A.Z. Ihrem Vater schickt sie „ein paar Nachrichten weniger“, ebenso ihrem Bruder.

Überwachung ist ein offenes Geheimnis

Die Familie hat auch einen Gruppen-Chatraum innerhalb von Wechat eingerichtet, in dem die Nachrichten alle vier erreichen. „Ich schicke meiner Familie Fotos von dem Essen, was ich gekocht habe, und Bilder meines Alltags hier in Amerika“, sagt Tang. Umgekehrt erhält sie Fotos aus China, um zu wissen, was im Leben der Anderen läuft.

Dass man auf Wechat kurze Texte schreiben oder Sprachnachrichten verschicken kann, macht die App zum idealen Kommunikationsmittel für die Auslandsstudentin. Um miteinander zu telefonieren sei die Zeitverschiebung von zwölf Stunden zwischen Peking und New York nicht ideal, sagt Tang. „Es ist einfacher, in der freien Zeit eines jeden zu schreiben, was man sagen will.“

Ganz so banal ist es allerdings nicht. Dass die chinesische Regierung die App überwachen lasse, dort geschriebene Inhalte zensiere und auch die Auslandschinesen über diesen Weg zu kontrollieren und zu disziplinieren versuche, wie die amerikanische Regierung erklärt, ist eine Tatsache. Das haben Untersuchungen bewiesen und ist auch in China ein offenes Geheimnis. Wer über Wechat einem Freund einen Artikel der F.A.Z. schickt, der sich kritisch mit dem Regime in Peking auseinandersetzt, erfährt davon unter Umständen gar nichts – weil die Nachricht zuvor vom Zensuralgorithmus herausgefiltert wird und gar nicht beim anderen ankommt.

Manchmal reicht ein Witz über den Staatspräsidenten

Fast jeden Tag tauchen in China Berichte über Menschen auf, die nach einer Nachricht auf Wechat Besuch von der Polizei erhalten haben. Oft werden sie verhaftet. In manchen Fällen reicht es dafür schon, auf Wechat einen Witz über den Staatspräsidenten zu machen. Trotzdem ist den meisten Chinesen wie der Studentin Tang in New York die Überwachung ziemlich egal. Oder in vielen Fällen gar nicht bewusst.

Doch ob Tang künftig mit ihren Eltern weiter auf Wechat schreiben kann, ist seit Donnerstag sehr unsicher geworden. An diesem Tag unterzeichnete der amerikanische Präsident Donald Trump in Washington eine Verfügung, die neben der chinesischen Kurzfilmapp Tiktok auch Wechat in Amerika verbieten soll.

In 45 Tagen soll das Gesetz greifen. Danach ist es amerikanischen Unternehmen untersagt, mit Wechat oder dessen Eigentümer, dem Technologiekonzern Tencent aus dem südchinesischen Shenzhen, „Geschäfte“ zu machen. Die chinesische Regierung hat das Vorgehen Washingtons abermals als „Mobbing“ verurteilt.

700 Milliarden Dollar Marktwert

Beobachter des immer schneller eskalierenden Konflikts der beiden Supermächte halten dessen ungeachtet den Bann von Wechat und dessen Anbieter Tencent für noch weitreichender als den von Tiktok.