
Auch in diesen Tagen sollte man das Jahr 1871 nicht vergessen. Deutschland wird seit Wochen nämlich wieder so häufig mit der Auslegeware armer Leute verglichen, dass man meinen könnte, es habe schon die erste deutsche Vereinigung nicht gegeben. Zwischendrin wurde unser Land sogar „Maskenflickenteppich“ genannt. Aber so weit, dass wir mit Siegesgeheul auf unseren Gesichtsvorhängen herumtrampeln könnten, sind wir bei der Bekämpfung der Seuche noch nicht. Der Wettbewerb der Ministerpräsidenten, wer der schnellste Krisenmanager sei (beim „Runter-“ und „Hochfahren“ des Landes), erinnert derzeit ohnehin eher an das Geschehen auf einer Pferderennbahn. Nach den Videokonferenzen mit den Landeschefs fragt sich doch nicht nur die Bundeskanzlerin: Wo laufen sie denn? Wo laufen sie denn hin? Nur dass es anders als in Loriots legendärem Sketch jetzt heißen müsste: Wo preschen sie denn? Wo preschen sie denn hin?
Denn in der deutschen Politik wird jetzt vielen Berichten zufolge nicht mehr gelaufen, sondern nur noch geprescht. So schnell, dass man tatsächlich eine „Tracing-App“ brauchte, um die Prescher überhaupt noch verfolgen zu können. Dabei preschen sie bisher immer nur vor, getreu der alten Honecker-Devise „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“. Doch hat die Kanzlerin den notorischen Vorpreschern wenigstens abgepresst, dass sie auch zurückpreschen müssen, wenn die Übersterblichkeit wieder überhandnimmt.
