
Der Druck auf die europäische Initiative hinter der Corona-App war schon in den vergangenen Tagen gewaltig. Nun kommt ein offener Brief des Chaos Computer Clubs und anderer Netzaktivisten hinzu, indem diese die Bundesregierung eindringlich auffordern, der Initiative den Rücken zu kehren und auf andere Konzepte bei der Entwicklung einer Corona-App für das Robert-Koch-Institut zu setzen. Die Entscheidung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für PEPP-PT sei „höchst problematisch“ und stoße auf „großes Unverständnis“, heißt es in dem Brief, der der F.A.Z. vorliegt.
Nachdem das Konsortium nicht in der Lage gewesen sei, „schnell eine halbwegs funktionierende und datenschutzfreundliche Lösung zu liefern, sollte nun technisch ausgereiften und datenschutzrechtlich gebotenen Ansätzen unbedingt der Vorzug gegeben werden“. Unterzeichnet hat den Brief neben dem Chaos Computer Club unter anderem auch der SPD-nahe Verein D64 und die Gesellschaft für Informatik.
PEPP-PT setzt vor allem auf eine Speicherung der Daten auf einem zentralen Server. Die Unterzeichner des Briefes wünschen sich etwas anderes. „Eine Corona-Tracing-App sollte, wenn überhaupt, nur auf Basis eines dezentralen Ansatzes (…) aufgebaut und programmiert werden“. Namentlich genannt wird in dem Brief der Ansatz von DP3T, der zunächst Teil von PEPP-PT war.
„Experten mehr Gehör schenken“
Dieser sieht vor, dass die Daten einer Begegnung mit einem Infizierten nur auf dem Handy des Nutzers selbst gespeichert werden, dem Zugriff des Staates also entzogen bleiben. Sollte sich die Regierung nicht für eine dezentrale Speicherung der Daten entscheiden, so das Argument des Chaos Computer Clubs, stehe zu befürchten, dass das „Vertrauen in die Verwendung einer solchen App“ ausgehöhlt und „die Akzeptanz für spätere digitale Lösungen“ in der Krise leichtfertig unterminiert werde.
Im Brief heißt es weiter, in der derzeitigen politischen Debatte werden „Erwartungen für eine Corona-Tracing-App geschürt, die möglicherweise nicht eingehalten werden können“. Inwiefern eine App die Pandemie-Bekämpfung unterstützen könne, werde erst in Monaten zu beurteilen sein. Die Unterzeichner bitten deshalb darum, den Argumenten und „Vorbehalten“ von „Experten“ mehr Gehör zu schenken.
Positiv heben die Autoren die Beispiele Schweiz und Österreich hervor, wo man Empfehlungen von Experten berücksichtigt und einen Ansatz gewählt habe, „für den sich die beiden Marktführer für Smartphone-Betriebssysteme, Google und Apple, bereits zur Kooperation bereit erklärt haben“. Diese sei unabdingbar, damit eine App auf der Basis von Bluetooth-Technologie überhaupt funktionieren könne.
Die Anonymität so weit wie möglich schützen
Besorgt zeigen sich die Unterzeichner über angeblich immer lauter werdende Rufe nach einer „Pflicht zur App“ in Deutschland. Die gemeinsame Bekämpfung der Pandemie benötige das „Vertrauen und Kooperation aller“. Die Bereitschaft dazu werde mit einer „Pflicht ohne Not“ verspielt. Auch die Einführung einer „indirekten“ Pflicht zu App, die etwa das Betreten bestimmter Orte von der Verwendung abhängig machen würde, lehnen die Autoren ab.
Eine App, die „zumindest eine Aussicht auf Erfolg hat, muss ein transparentes Konzept verfolgen, quelloffen programmiert werden, auf zentrale Datenspeicherung verzichten und die Anonymität der Nutzerinnen und Nutzer so weitgehend wie möglich schützen“, bilanzieren die Autoren. „Diese Anforderungen erfüllt der nun eingeschlagene Weg nicht.“
Der vom Chaos Computer Club unterstützte Ansatz DP3T stand zunächst ebenfalls unter dem Dach der europäischen Initiative PEPP-PT. Vergangenes Wochenende verschwand er allerdings plötzlich von der Website von PEPP-PT, was mehrere renommierte Wissenschaftler und Forschungsinstitute dazu veranlasste, aus der Initiative auszutreten.
