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Zu sehr auf China gehört?: Die WHO muss überprüft werden

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Die WHO-Zentrale in Genf

Niemand wird bestreiten, dass Donald Trump ein Meister darin ist, Schuld bei anderen abzuladen, um von eigenen Versäumnissen abzulenken. Seine Kritik an der Weltgesundheitsorganisation ist ohne Zweifel stark innenpolitisch motiviert. Aber das heißt noch lange nicht, dass eine Diskussion über die Rolle dieser UN-Organisation in der Corona-Pandemie überflüssig oder unangebracht wäre.

Die zweifelhaften Entscheidungen der WHO sind allgemein bekannt: Sie übernahm von der chinesischen Regierung die falsche Darstellung, dass sich das Virus nicht von Mensch zu Mensch übertragen lasse, obwohl es intern offenbar schon früh andere Einschätzungen gab. Sie riet von Einreiseverboten ab, obwohl Fernreisen genau der Weg sind, auf dem sich eine Seuche global verbreiten kann. Und sie rief erst eine Pandemie aus, als das Virus praktisch schon auf der ganzen Welt Menschen infiziert hatte.

Das sind keine Petitessen. Es gibt nicht viele Länder, die über gesundheits- und nachrichtendienstliche Mittel verfügen, um selbst zu beurteilen, welche Gefahr von einer Infektionskrankheit ausgeht, die sich in einer fernen chinesischen Provinz ausbreitet. Die meisten dürften auf die Empfehlungen und Einschätzungen der WHO angewiesen sein. Die kann sich natürlich irren, so wie der Irrtum Teil jeder menschlichen Unternehmung ist. Aber in diesem Fall hat die WHO erkennbar das Propagandalied der chinesischen Regierung gesungen, vor allem zu Beginn der Krise, womit kostbare Zeit vertan wurde. Das ist für die anderen 193 Vertragsstaaten nicht hinnehmbar, denn die Organisation hat, wie es in ihrer Verfassung unmissverständlich heißt, den Auftrag, „allen Völkern“ zum bestmöglichen Gesundheitszustand zu verhelfen.

Ihrer Aufgabe nicht gewachsen

Nach 9/11 ist die westliche, vor allem die amerikanische, Öffentlichkeit hart mit den Geheimdiensten ins Gericht gegangen. „Wieso habt ihr das nicht kommen sehen?“, lautete die berechtigte Frage. Verglichen mit der Corona-Pandemie, der schon mehr als 150.000 Menschen und große Teile der Weltwirtschaft zum Opfer gefallen sind, wirken die Al-Qaida-Anschläge wie eine Minikrise. Deshalb gibt es keinen Grund, das Agieren der WHO schönzureden oder die Organisation jetzt als vermeintlichen Stützpfeiler der multilateralen Ordnung zu schonen, wie das in Europa schon wieder versucht wird.

Die Corona-Krise ist der größte anzunehmende Unfall der globalen Seuchenkontrolle. Die WHO trägt nicht die Schuld am Ausbruch, aber es gibt zu viele Hinweise darauf, dass sie der Herausforderung nicht gewachsen war. Sie sollte von Grund auf überprüft und gegebenenfalls reformiert werden – und zwar jetzt, nicht irgendwann nach der Krise. Wenn uns das Virus noch länger beschäftigen wird, wie das so viele Fachleute meinen, dann braucht die Staatengemeinschaft schnellstmöglich eine Gesundheitsbehörde, die ihrer Aufgabe auch gewachsen ist.