Politik

Fraktur: Der Wind des Wahnsinns

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Der Wind des Wahnsinns: Noch eine Rolle rückwärts?

Für das sagenhaften Ereignis in Erfurt – Kleinpartei knapp über der Fünf-Prozent-Hürde stellt immerhin ein paar Stunden lang den Ministerpräsidenten – sind viele Bezeichnungen gefunden worden. Parteiübergreifend am beliebtesten waren Ausdrücke der Empörung. Die nutzte sogar die AfD, freilich erst, nachdem der Regierungschef von ihren Gnaden das Hasenpanier ergriffen hatte. Ja, man sollte sich die Leute, die man wählt, schon vor dem dritten Wahlgang anschauen.

Wir wollen uns hier nur mit dem Befund beschäftigen, der im Getümmel der Worte noch am sachlichsten erschien, jedenfalls zunächst: dem „Tiefpunkt der Nachkriegsgeschichte“. Der stammt von Lars Klingbeil, der sich als SPD-Generalsekretär bestens mit tiefen Punkten auskennt. Seine Partei erlebte schon so viele Tiefpunkte, dass man von einer Tiefebene sprechen muss. Doch halt: Ist „ein Tiefpunkt der Nachkriegsgeschichte“ somit vielleicht eine unerträgliche Verharmlosung des Machtergreifungsversuchs in Erfurt? Und was ist mit den anderen Tiefpunkten der vergangenen Woche, die durchaus beim Tiefgang mithalten können?

Erinnerungen an „ein protestantisches Kirchenparlament“

Den zweiten entdeckten wir in jenem finsteren Tal, das die katholische Kirche durchwandern muss, seit sie sich auf den langen synodalen Weg zu sich selbst machte, der – die Wege des Herrn sind wahrlich wunderbar – in einem evangelischen Kloster begann. Schon angesichts des Orts war es kein Wunder, dass der Kölner Kardinal Woelki sich an „ein protestantisches Kirchenparlament“ erinnert fühlte. Als naiver Protestant hätte man das glatt als ökumenisches Kompliment ansehen können, denn in evangelischen Kirchenparlamenten dürfen ja sogar Frauen etwas sagen. Doch wenn wir die Reaktion von Woelkis Kardinalskollegen Marx richtig verstanden haben, scheint in gewissen katholischen Kreisen „protestantisch“ immer noch für „pfui Teufel“ zu stehen, „Kirche“ für eine Anmaßung und „Parlament“ für Schwatzbude, Affenfelsen und so weiter. Demnach wäre Woelkis Unmutsäußerung über den neuen Reformationsversuch in seinem Verein gleich ein dreifacher Tiefschlag gewesen. Aber immer noch nicht der tiefste.