Inland

Meinungsfreiheit: Was haben Autonome gegen de Maizière?

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Polizisten während einer Lesung von Thomas de Maizière (CDU) im Rahmen des Göttinger Literaturherbstes vor Demonstranten

Im Alten Rathaus in Göttingen liest der frühere Innenminister Thomas de Maizière aus seinem Buch übers Regieren. Ein paar Meter weiter sitzen zwei Autonome, die das verhindern wollten. Im Namen der Revolution.

Im Café „Gartenlaube“ in Göttingen sitzen an diesem Abend zwei Männer, die hier nicht reinpassen. Die meisten Gäste sind laut und lustig, sie trinken Bier oder Wein. Draußen haben gerade die Glühweinbuden geschlossen, drinnen schäumt vorweihnachtliche Geselligkeit. Die beiden Männer aber sind still und ernst. Und wie um den Abstand zu den Lustigen zu betonen, bestellen sie kein Bier, keinen Wein- einer nimmt einen Kirsch-Bananen-Saft, der andere Pfefferminztee. Die Männer, Mitte zwanzig, in schwarzen Sweatshirts, sitzen hier, weil sie sich bereit erklärt haben, über Meinungsfreiheit zu sprechen. Sie sind Linksradikale, Antifa-Leute, und an diesem Abend waren sie gleich um die Ecke wieder im Einsatz. Gegen den Staat im Allgemeinen und gegen Thomas de Maizière im Besonderen.

Das Café liegt neben dem Alten Rathaus. Dort ist eben de Maizière aufgetreten. Vor einem Monat hatte er es schon einmal versucht. Er wollte aus seinem Buch übers Regieren lesen, eingeladen hatte ein örtliches Literaturfestival. Doch Linksradikale blockierten die Rathaustür, und de Maizière kam nicht hinein. Die Lesung fiel aus. Die Nachricht ging herum in Deutschland. Was war an diesem CDU-Politiker, Spitzname: Büroklammer, so schlimm, dass er bekämpft wurde wie ein gefährlicher Extremist? Es war, als würde man einen Golf anzünden, weil man gegen SUVs ist. Auch woanders ging es hoch her, und wieder ging es um die Meinungsfreiheit. In Hamburg musste der AfD-Gründer Bernd Lucke seine Vorlesung abbrechen. Die Aufregung war groß.

Als sie schon beinahe wieder vergessen war und die Göttinger sich freuten auf den Nachholtermin der Lesung von de Maizière, brannte mitten in der Nacht die Ausländerbehörde der Stadt. Das war vor einer Woche. Ein Bekennerschreiben erschien auf einer linken Internetplattform. Da hieß es, man habe de Maizières baldige Rückkehr nach Göttingen zum Anlass genommen, einen Teil des Systems anzugreifen, für das auch er steht. Der Polizeipräsident der Stadt und der Oberbürgermeister, ein SPD-Mann, werteten den Anschlag als Linksterrorismus. Eine Sonderkommission ermittelt.

Was sagen die beiden Männer im Café dazu? Ausdrücklich nichts. Das war ihre Bedingung für das Gespräch. „Da muss ich Sie enttäuschen“, hatte einer von ihnen vorher gesagt. Es sei eine neue Lage. Interessant, darüber nachzudenken. Aber so kurz danach sei man noch nicht sprechfähig dazu. Das klingt nicht gerade traurig oder schockiert, eher sogar so, als könnten, um es mit de Maizière zu sagen, Teile der Antwort die Bevölkerung verunsichern. Das nehmen die Männer in Kauf. Sie verweisen darauf, dass der Verfassungsschutz sie beobachte. Darum auch keine vollen Namen. Einer nennt sich Tom, der andere Johann.

Dutzende Polizisten patroullierten

Tom und Johann ist daran gelegen, dass die Stadt, also Göttingen, und das Land, also Deutschland, nicht zur Ruhe kommen. Sie wollen, wie sie sagen, die Revolution. Bis dahin ist es noch weit. Kein Grund, sich nicht auf den Weg zu machen. Johann war dabei, als sie vor einem Monat das Alte Rathaus blockierten, und Tom wollte auch, aber er war „gesundheitsbedingt verhindert“. Heute, an dem Abend, wo de Maizière jetzt doch auftrat, waren beide auf der Straße. Bei einer Kundgebung in Rufweite zum Vortragssaal, dazwischen lag nur eine kleine, warm leuchtende Insel aus Weihnachtsmarktbuden. Die Kundgebung verlief friedlich- aber es hätte auch nichts gebracht, wieder eine Blockade zu versuchen, denn diesmal waren Dutzende Polizisten da. Sie patrouillierten zwischen Bratwurstständen, standen vor dem Gummibärchenladen gegenüber vom Alten Rathaus, bewachten die Treppe zum Saal. Als Thomas de Maizière vorfuhr, eskortierten sie ihn rasch hinein.