
Iberogast ist ein altbewährtes Pflanzenextrakt gegen Magenbeschwerden. Nun steht es im Verdacht, Leberschäden zu verursachen. Nach einem Todesfall ermittelt die Kölner Staatsanwaltschaft.
Am Ende blieb nur eine Transplantation der kaputten Leber. Doch der 56-jährigen Patientin der Uniklinik Leipzig half auch das nicht mehr: Sie starb an den Komplikationen der aufwendigen Operation. Ihre Ärzte führten an dem geschädigten Organ eine Reihe von Tests durch. Die Ergebnisse veröffentlichten sie Ende Juni im „American Journal of Gastroenterology“. Ihr überraschendes Fazit: Die Schäden an der Leber wurden von dem pflanzlichen Magenmittel Iberogast verursacht.
Die Kräutertinktur ist nun ein Fall für die Kölner Staatsanwaltschaft. Sie ermittelt einem Bericht des „Handelsblatts“ zufolge im Fall Iberogast wegen fahrlässiger Tötung gegen unbekannt. Ob die verstorbene Patientin der Uniklinik Leipzig diese Ermittlungen ausgelöst hat, lässt sich nur vermuten – bisher lehnen die Kölner Juristen jede Stellungnahme ab. Doch dies ist nur einer von vielen Fällen, die das scheinbar harmlose, da rein pflanzliche Iberogast des Herstellers Bayer ins Zwielicht rücken. Ein heikler Verdacht, denn das Magenmittel ist einer der Bestseller unter den apothekenpflichtigen Arzneien mit einem geschätzten Jahresumsatz von 120 Millionen Euro.
Das gefährliche Schöllkraut
Iberogast ist ein Gemisch von Extrakten aus neun verschiedenen Heilpflanzen. Problematisch ist vor allem das darin enthaltene Schöllkraut Chelidonium majus. Das Gewächs ist seit der Antike für seine heilende Wirkung bekannt. In Mitteleuropa findet man das Kraut mit den gelben Blüten heute an Straßenrändern, Schuttplätzen oder in Mauerspalten. Typisch ist der gelbe, extrem bittere Milchsaft, der aus abgebrochenen Stengeln tritt. Er enthält mehr als 20 Verbindungen aus der wirkungsstarken Stoffgruppe der Alkaloide. Sie werden zusammenfassend als Chelidonin bezeichnet und verursachen in hohen Dosen, etwa nach dem Verschlucken des Krauts, schwere Vergiftungserscheinungen wie Kreislaufstörungen und Erbrechen. Die Dosis macht jedoch bekanntlich das Gift, und so ist das Chelidonin eben auch für die traditionell zugeschriebenen und teilweise auch belegten Heilwirkungen des Schöllkrauts verantwortlich, etwa als Tinktur gegen Warzen.
Doch auch geringe Dosen von Chelidonin stehen schon länger im Verdacht, in Einzelfällen schwere Leberschäden zu verursachen. Aus diesem Grund widerrief das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM, bereits 2008 die Zulassung für Arzneimittel mit einer Tagesdosis Chelidonin von mehr als 2,5 Milligramm. Ab einem Tausendstel davon, also 2,5 Mikrogramm, verlangte das BfArM zumindest die Aufnahme von Warnhinweisen auf eine mögliche Lebertoxizität in den Beipackzettel. Wie viel Chelidonin genau in Iberogast enthalten ist, wird in den Produktinformationen nicht aufgeführt. Nach Angaben von Bayer liegt die Tagesdosis bei rund 0,3 Milligramm – und somit deutlich über der verweisfreien Menge.
Der Pharmakonzern legte Widerspruch gegen die BfArM-Auflagen ein. Das Verfahren stockte zehn Jahre lang, in der Zwischenzeit durfte Bayer sein Produkt weiterhin ohne die geforderten Warnhinweise verkaufen. Bayer argumentiert, dass Iberogast schließlich schon seit 1961 auf dem Markt ist. 80 Millionen zufriedene Kunden sprächen für den Nutzen der Kräutertropfen. Das Schöllkraut-Extrakt sei so niedrig dosiert, dass es keine Risiken mit sich bringe, Warnhinweise seien demnach unbegründet.
