
Freude am Fahren liegt den Deutschen im Blut. Viel Spaß am Essen können sie aber auch haben, wenn sie nur wollen – und besonders ausgiebig in Bobby Bräuers „Esszimmer“ in der Münchner BMW-Welt.
Ist es einer Kulturnation wie der bayerischen angemessen, dass ihre beliebteste Sehenswürdigkeit keine Pinakothek und auch kein Märchenkönigsschloss, sondern das Repräsentationsgebäude eines Automobilherstellers ist? Ist es Anlass zum Kulturpessimismus, dass sich nur ein Bruchteil der 3,2 Millionen Besucher von Münchens BMW-Welt für deren größte Attraktion, nämlich das „Esszimmer“, interessieren, weil sie die dort geschaffenen Werke nicht als Teil ihrer Kultur begreifen? Nein, das ist es nicht, denn wir sind nun einmal ein Volk, das keine Bouillon, sondern Benzin im Blut hat und für eine Flasche Wein im Durchschnitt kaum mehr als für einen Liter Sprit ausgibt. Und darüber zu klagen wäre das müßige Lamento über die Unveränderbarkeit des Unveränderlichen.
Bobby Bräuer hat ohnehin keinen Grund zur Klage. Er verantwortet alle acht Restaurants des BMW-Kosmos, kümmert sich noch um jeden vertrockneten Blumenkübel, hat aber auch Zeit und Muße genug für das Herz- und Lieblingsstück seines kulinarischen Kleinimperiums: das „Esszimmer“, das wie eine Kaiserloge auf einer verglasten Empore mitten in dem Luxusautohaus thront und der technizistisch kühnen Kühle des Baus eine Atmosphäre zwischen Lounge und Wohnzimmer entgegensetzt. Die Teppiche sind flauschig, vor einem offenen Kamin stehen Lounge Chairs von Charles Eames, auf Holzregalen Bücher, Vasen, Karaffen und ein Jugendbildnis des Chefs, der in seiner Schulzeit der „Bravo“ Modell stand. Und auf den Tisch kommt eine Küche, die ihren Gästen nichts anderes als Freude am Essen verschaffen will.
Geschmack frei von stilistischen Grenzen
Von der ersten Sekunde an lässt Bobby Bräuer keinen Zweifel daran, dass er ein Alter erreicht hat, in dem man sich keinen Dogmen mehr unterwerfen muss, weder geographischen noch stilistischen und schon gar keinen modischen. Von dieser Unbekümmertheit der Weisheit des Alters zeugen ein grünes Gazpacho und eine Sobrassada-Creme mit schwarzem Knoblauch oder eine Renke mit Saiblingskaviar und eine Gelbschwanzmakrele mit Mango, Buttermilch und Brunnenkresse als vier Miniaturen ohne den minimalsten technischen Makel, die sich unter keinem anderen Etikett als der künstlerischen Kochfreiheit subsumieren lassen.
Schubladen vermisst man bei Bräuer auch nicht, solange man sein Täubchen aus Anjou mit Miso, Mispel und Mairübchen essen darf, ein Wunderwesen von solcher Zartheit, solcher Weichheit, solchem Sanftmut, als habe der Chef Picassos Friedenstaube in die Pfanne gehauen. Das mag keine kulinarische Gegenwartskunst sein, doch manchmal ist die klassische Moderne eben nicht zu übertreffen. Und dass Bräuer die Klassik auch virtuos variieren kann, zeigt er gleich danach mit seiner Gänseleber: Sie wird pochiert und schwimmt als eine Art extrem verfeinertes Luxusmarkklößchen in einer Erbsenessenz mit frischen Erbsen, leicht aromatisiert mit Birne und Kardamom. Und statt des traditionellen, backsteinschweren Brioche gibt es eine federleichte Variante mit Dattel, auf die eine roh marinierte Gänseleber fein wie Sägespäne gehobelt ist.
