Leib & Seele

Lippenbekenntnisse: Wie wir mit Küssen kommunizieren

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Rote Lippen soll man bekanntlich küssen.

Ob flüchtig zur Begrüßung oder im erotischen Kontext: Ein Kuss ist die berühmteste Form der menschlichen Kommunikation. Ein Versuch, ihn einzuordnen.

Rote Lippen soll man küssen, denn zum Küssen sind sie da, rote Lippen bringen uns dem siebten Himmel ja so nah“, heißt es in einem Schlager der sechziger Jahre. So fesch die Antwort klang: Die Frage, wozu die Lippen da sind, ist keineswegs abwegig. Es muss einem nicht gleich der siebte Himmel einfallen. Manche mögen ans Schmollen denken. Lippen halten aber auch beim Einparken im Parkhaus den Parkschein, und beim Trinken sind sie unersetzlich. Aber erst das Küssen erschließt den Zugang zu ihrem magischen Potential. Mit dem Kuss erlebt man einen faszinierenden Moment menschlicher Kommunikation, leiblich veranschaulicht. Aufregendes liegt ihm zugrunde, Aufregendes bringt er zum Ausdruck, und zwar ganz gleich, ob es sich um den erotischen Kuss handelt, der keine Zeit kennt, oder um den flüchtigen Kuss bei Begrüßung und Abschied.

Das Küssen versieht die Beziehung mit einer Zäsur, der das Versprechen auf Kontinuität eingeschrieben ist. Üppige Theoriegebäude, wie das umfangreiche Werk des Soziologen Niklas Luhmann, widmen dem Anfang und dem Danach höchste Aufmerksamkeit und sprechen von einer Krise, mit der Akteure konfrontiert seien: A weiß nicht, was B tun wird, dasselbe gilt für B, und beide unterstellen eine entsprechende Ungewissheit ihres Gegenübers. Das mag angesichts eines unerschöpflichen mimischen und gestischen Repertoires für die Gestaltung des Grußes vielleicht überraschen, verdeutlicht aber als gedankliche Abstraktion das Abenteuer, das jeder Begegnung innewohnt, besonders wenn sie mit einem Kuss akzentuiert wird.