Eine Seuche, wie sie zuvor noch nie dokumentiert wurde: Der Chytridpilz hat weltweit schon neunzig Amphibien-Arten ausgerottet, Hunderte sind extrem bedroht. Die erste globale Bilanz des Schreckens.
Eine Seuche, die wie ein stiller Zyklon über den Planeten fegt, die Art um Art auslöscht und innerhalb kürzester Zeit eine ganze Großgruppe von Tieren ins Verderben stürzt, noch dazu eine der stammesgeschichtlich ältesten und faszinierendsten Gruppen – ein solcher Killer ist ausgerechnet in unserer Zeit unterwegs, in der Klimawandel, Lebensraumverluste und Umweltverschmutzung die Lebensvielfalt ohnehin massiv bedrohen. Die Opfer sind Amphibien, der Auslöser ist ein Pilz, der sogenannte Chytridpilz, und der dringenden Mittäterschaft beschuldigt wird, wie sollte es anders sein: der Mensch. Denn der aus Asien stammende Pilz (genauer: die beiden Tröpfchenpilzarten Batrachochytrium dendrobatitis und Batrachochytrium salamandrivorans) reitet auf der Globalisierungswelle rund um den Globus.
In den achtziger Jahren waren die ersten kollabierenden Amphibienpopulationen beobachtet worden. Inzwischen sind nicht weniger als 501 Frosch- und Schwanzlurch-Arten Opfer des Pilzerregers geworden – inklusive der 90 Arten, die in dieser Zeit völlig verschwunden sind und bis auf Weiteres als ausgestorben gelten müssen. Lediglich von den Kaninchen ist etwas ähnliches, wenn auch mit Blick auf Artenverluste längst noch nicht so verheerendes, bekannt geworden: die Myxomatose hat weltweit etwa vierhundert Kaninchenspezies erfasst.
In Europa hat in den vergangenen Jahren vor allem der „Salamanderfresser“ – Batrachochytrium salamandrivorans (kurz Bsal) – von sich reden gemacht. Der Feuersalamander, eine Charaktertierart hierzulande und einer der geheimnisvollsten Waldbewohner, wird seit einigen Jahren immer stärker durch die Verschleppung der Pilzsporen bedroht (unsere Multimedia-Dokumentation dazu hier). Dabei ist Europa ohnehin nicht mit einer großen Amphibienvielfalt gesegnet. Das hat damit zu tun, dass viele Regionen wegen der langen, ausgedehnten Eiszeiten erst spät von Amphibien wieder besiedelt wurde und die Artenzahl deshalb auch sehr klein ist verglichen mit den Tropen und Subtropen.
Der Schwerpunkt der weltweiten Chytridenpidemie liegt eindeutig in Süd- und Zentralamerika sowie in Australien. Hier kam es bereits in den achtziger Jahren zum ersten Höhepunkt des Massensterbens. Eine internationale Forschergruppe um Ben Scheele von der National University im australischen Canberra und dem belgischen Chytridenspezialisten Frank Pasmans hat in „Science“ zum ersten Mal die globale Dimension der Pilzseuche aufgearbeitet. Sie zeigen darin vor allem: Die Seuche setzt sich praktisch unvermindert fort. Zwar hat man in den vergangenen Jahren immer wieder lokale oder regionale Erholungen registriert, was die Hoffnung genährt hat, dass die folgenden Lurchen-Generationen Resistenzen entwickeln können. Doch die Realität ist eine andere: oft sind es nur einzelne Populationen einer Art, denen der Pilz eine Atempause gönnt. Das ist allerdings durchaus bemerkenswert, denn der Erreger ist extrem infektiös. Die Tiere infizieren sich oft schon vor der Metamorphose zum ausgewachsenen Tier, meist schon beim ersten Kontakt. Die extrem robusten Sporen verbreiten sich schnell, sie kleben an Schuhsohlen, überdauern im Boden und werden mutmaßlich durch Wasservögel oder durch infizierte Terrarien- und Teichtiere verschleppt.
Der infektiöse Pilz dringt in die Haut und zerstört sie großflächig. Wie der Pilz außerdem die inneren Organe schädigt ist noch nicht vollständig geklärt, doch klar ist: einmal infiziert, gibt es für die Amphibien kaum ein Entrinnen – jedenfalls für die Arten, die nicht wie der afrikanische Krallenfrosch völlig widerstandsfähig sind.
Neben den neunzig dokumentierten Arten, die als ausgestorben gelten, sind annähernd zweihundert Froscharten bekannt, für die gilt: Tendenz weiter fallend. Und für 124 Arten gibt es besonders schlechte Nachrichten: Ihre Bestände schrumpfen scheinbar unaufhaltsam, sie haben mehr als neunzig Prozent ihrer Individuen verloren. Das betrifft vor allem Tiere, die höher gelegene Feuchtgebiete bewohnen und schmale ökologische Nischen besetzen. Ihre Chance, als eigene Art die nächsten Jahre zu überstehen, beziffern die Forscher auf weniger als eins zu zehn.
Der Terrarienhandel ist in den Augen der Wissenschaftler besonders in der Verantwortung. „Der Handel muss sofort stark reduziert werden, und Maßnahmen zur Eindämmung der Seuche in betroffenen Gebieten sind dringend nötig“, schreiben die Science-Autoren.
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