Leben & Gene

Genom-Editierung: Mit diesem Urteil hat die europäische Vernunft ausgedient

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Kritik am EuGH-Urteil: fatale Gleichsetzung von Produkt und Methode

Es gäbe viele Fragen, wie mit Gen-Scheren im Agrarsektor umzugehen ist – die EuGH-Rechter haben davon aber keine tangiert. Ein Gastkommentar.

Die Richter des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) haben mit ihrer Entscheidung neue Züchtungsverfahren wie die Genom-Editierung für Nutzpflanzen unter die Gentechnikverordnung zu stellen, eine fatale Entscheidung getroffen. Sie haben fälschlicherweise die Methode zur Herstellung genveränderter Sorten (transgener Ansatz mit Hilfe fremder Gensequenzen) mit einem Produkt gleichgesetzt, das keine fremden Gene enthält. Das Einführen eines Gens einer anderen Spezies kann man nicht mit der Erzeugung einer Mutation in einem Organismus gleichsetzen. Es entbehrt jeder Logik, dass die chirurgische Erzeugung einer Mutation potentiell gefährlicher sein soll als die Erzeugung einer Vielzahl zufälliger Mutationen durch Strahlen, wie das bisher üblich ist. Die Entscheidung der Richter mag populär sein, es war sicher die einfachste Lösung, aber sie hat massive negative Konsequenzen.

Eine Folge des Gentechnikgesetzes war und ist die Stärkung der Konzerne. Die Zulassung eines einzigen gentechnischen Produkts kostet circa 35 Millionen Euro. Wer kann sich das leisten? Eine Universität? Ein kleines Start-up-Unternehmen? Nein, nur Konzerne. Die Genom-Editierung ist eine Chance zur Demokratisierung, eine sehr gut erforschte einfache Methode, mit der ohne immense Kosten innovative Produkte erzeugt werden können. Nun werden auch weiterhin nur Konzerne in der Lage sein, die Kosten des Zulassungsverfahrens zu schultern. Hilft das dem Wirtschaftsstandort Europa? Nun, ein Großteil der Unternehmen, die auf diesem Gebiet arbeiten, ist bereits in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Dort dürfen mit modernen Züchtungsmethoden erzeugte Pflanzen, die kein Fremdgen enthalten, ausdrücklich ohne Genehmigung im Feld angebaut werden. Und zwar mit der Begründung, dass chemische Mutagenese die gleichen Mutationen erzeugen kann wie klassische Züchtung und dass keine grundsätzlich neuen Eigenschaften oder etwas noch nie Dagewesenes entsteht.

Konsequenzen über Europa hinaus

Vor allem verhindert die Entscheidung aber humanitäre Projekte, die der Landwirtschaft in Afrika oder Asien helfen könnten. Europa hat eine Vorbildfunktion für viele Länder in der Welt, vor allem in Afrika. Jedes Jahr werden landwirtschaftliche Produkte im Wert von16 Milliarden Euro aus Afrika importiert. Afrikanische Bauern, die auf dem europäischen Markt ihre Produkte verkaufen wollen, müssen sich den europäischen Regeln anpassen. Es besteht daher die Gefahr, dass die neuen Züchtungsmethoden auch dort regulatorisch stranguliert werden.

Die Food and Agriculture Organisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt, dass wir in den nächsten 30 Jahren 50 Prozent mehr Ertrag brauchen werden, um die Weltbevölkerung auch nur halbwegs zu versorgen. Viele Pflanzen wie Kochbananen, Cassava und Hülsenfrüchte sind in den Entwicklungsländern Grundnahrungsmittel, die mit klassischen Züchtungsmethoden nicht oder nicht schnell genug verbessert werden können, um ausreichende Ernten für Kleinbauern zu generieren. Gleichzeitig haben große Konzerne kein kommerzielles Interesse an diesen Pflanzen. Neue Züchtungsmethoden böten auch Forschern in Afrika und Asien die Chance, Lösungen für einige ihrer Probleme zu erarbeiten. Nun besteht die Gefahr, dass solche Pflanzen aufgrund der Kosten des Zulassungsverfahrens nie auf die Felder der Bauern in Afrika kommen werden.

Kritische Fragen wurden nicht addressiert

Zudem muss die Frage erlaubt sein, ob das Nein die Richter nicht auch für derartige Konsequenzen verantwortlich macht? Wir meinen: Ja, denn die Richter hatten alternative Entscheidungsmöglichkeiten, viele sogar. Es wäre durchaus möglich gewesen eine differenzierte, faktenbasierte Gerichtsentscheidung zu treffen. Die Vereinigten Staaten, Kanada, Argentinien, Chile und Brasilien haben es vorgemacht. Sie stellen das Produkt in den Vordergrund, nicht das Verfahren. Dort wird überprüft, ob artfremde DNA in die neue Sorte gelangt. Falls ja, werden die Pflanzen den GVO-Regularien unterworfen, falls nein, werden die neuen Sorten nicht reguliert. Anstatt die neuen Züchtungstechniken und gentechnisch veränderte Organismen in einen Topf zu werfen und damit einer extrem teuren Regulierung zu unterwerfen, hätten die Richter die Chance gehabt, die kritischen Fragen zu adressieren: Sollte man sicherstellen, dass alle Teile der Gen-Schere in den Nachkommen entfernt wurden? Sollte sichergestellt werden, dass nach dem Einsatz der Gen-Schere tatsächlich nur die beabsichtigten Veränderungen vorhanden sind? Und sollten derartig erzeugte neue Sorten verbindlich gekennzeichnet werden?

Es bleibt die Frage, warum der EuGH so entschieden hat, wenn doch die Begründung der Richter jeglicher Logik entbehrt und alle Tatsachen verleugnet. In einer Zeit, in der Ängste den Alltag regieren und man weder Politikern noch Experten traut, reflektiert die Entscheidung vielleicht den Zeitgeist. Bei aller oft gehörten Kritik an den Vereinigten Staaten und deren Regierung – vielleicht liegt ja dann doch dort die Zukunft des Rationalismus, der Wissenschaft, der Innovation und damit des wirtschaftlichen Erfolgs?