Leib & Seele

„Mama Heroico“: Aus dem Leben eines Barbiers


Barbier Onay Temel bearbeitet mit einem Rasiermesser den Bart eines Kunden.

Onay Temel stutzt Bärte im eigenen Barber Shop in Berlin. Der Weg zur Selbstständigkeit war steinig. Auf die Unterstützung seiner Mutter konnte er aber immer zählen – und setzte ihr nach dem Tod ein Denkmal.

Zuerst fällt Onay auf, dass sein Cousin fremdgegangen ist. Er sieht es ihm am Vollbart an. Der glänzt nämlich. Mit Öl eingerieben, gekämmt. Sieht schick aus. Der Cousin war beim Barbier. Aber nicht bei Onay, dem Barbier in der Familie. Der Cousin hat sich den Bart fremd ölen lassen. Sie stehen sich in einem Restaurant in Berlin gegenüber. Onay sagt, der Cousin solle doch vorbeischauen. Damit sie sich sehen. Familie. Onay schaut zur Fensterscheibe nach draußen. Die Scheibe ziert das Gesicht einer Frau. Auch sie Familie, seine Mutter.

Onay Temel seift einen Kunden ein. In seinem Barber Shop in Berlin-Schöneberg verteilt der 25-Jährige den Rasierschaum über Wangen, Kinn und Hals, so wie er es in der Türkei gelernt hat. „Die schäumen den Bart erst mal einen Monat.“ Nach seiner Friseur-Lehre in Deutschland ging Onay ins Ausland: nach Izmir und Istanbul. Wenn er vor dem Auge der Meister dort etwas falsch machte, gab es mit der Griffseite des Rasiermessers auf die Finger. In Deutschland geht das nicht, lacht Onay. Sein Schnurr- und Kinnbart lachen mit.

In orientalischen Ländern gehören Barbier-Läden oft traditionell zum Straßenbild. In Deutschland sind sie seit einiger Zeit hip. Man nennt sie „Barber Shops“. Die Kunden sitzen bevorzugt auf Sesseln im Retro-Look, die Klingen und das Werkzeug der Barbiere liegen auf verchromten Flächen. Vieles ist auf alt gemacht, so läuft das Geschäft, sei es in Frankfurt, München, Berlin oder Hamburg. Nach Beobachtungen des Zentralverbandes des Deutschen Friseurhandwerks werden diese Läden vor allem im „urbanen Raum“ eröffnet, wo es junge Kundschaft gibt.

Der Weg bis zum eigenen Barber Shop war für Onay hart. In einem anderen Job hätte der Berliner vieles einfacher haben können. 1993, ein Jahr nach seiner Geburt, eröffnete seine Familie ein Köfte-Lokal nahe dem Kottbusser Tor. Das Geschäft in Berlin-Kreuzberg läuft gut, seit zweieinhalb Dekaden. „Ich hätte auf dem Thron sitzen können“, ist sich Onay sicher. Er redet dabei weniger wie ein stolzer Laden-Boss, sondern mehr wie ein Prinz, der seinen Titel abgelegt hat. Aus freier Entscheidung. Es wäre der Köfte-Thron gewesen. In seiner Kindheit und Jugend stand Onay dauernd am Grill, und an der Seite seiner Mutter. „Mama war der Stamm unserer Familie. Sie hat am meisten Fleiß und Arbeit geleistet.“

Mama sagte ihrem Sohn, dass er „Köfte-Mann“ werden könne. Onay entschied sich für eine Friseur-Lehre. Ein Onkel hatte mit dem Haareschneiden Erfolg gehabt. Onay stylte sich gerne. Das schien zu passen. Die Mutter unterstützte ihn, sie verstand. Der Vater erst nicht, er fand, das sei nichts für Männer.

Der 83 Jahre alte Walter kommt in den Laden. Seitlich um den Kopf kurze weiße Haare, Schnurrbart. Es ist das vierte Mal im Barber Shop für den Pensionär. Er setzt sich in einen Stuhl aus schwarzem Leder und Chrom. „Schön verwöhnen“, sagt Onay zu Kubilay, der die Haare des Schönebergers schneiden soll, Hals, Kinn und Wangen nass rasieren.

Als sein Gesicht glänzt, steht Walter auf. Onay streichelt ihm über den Rücken. Kubilay hilft dem Pensionär in seine Jacke. Ein weiterer älterer Herr kommt. Aber der will nur ein wenig reden. Die Mitmenschen möchte Onay behandeln, wie es seine Mutter gewollt hätte. Sie habe vielen Menschen geholfen, selbst Fremden.

Vor drei Jahren ist sie gestorben. Den Köfte-Laden führen nun Onays Brüder. Die Mutter schaut den jungen Männern über die Schulter, wie sie auch Onay weiter in seinen Entscheidungen beeinflusst. Das letzte Foto von ihr, aufgenommen kurz vor dem Tod, ziert groß die Frontscheibe des Lokals. Die Mutter lächelt. Das Foto soll immer dort bleiben. Die Gesichtskonturen der Frau, geheftet an die Scheibe. In Schwarz. Wie das Che-Guevara-Bild, das weltweit Millionen T-Shirts ziert. Dieses nennt man „Guerrillero Heroico“. Diese „Mama Heroico“ gibt es nur einmal, nahe dem Kottbusser Tor.

Zwei letzte Wünsche habe die Mutter gehabt: dass Onay selbständig werde und seinen Meister mache. Für sie geboren etwas südlich von Izmir, mit drei Jahren nach Deutschland gekommen, vier Kinder in Kreuzberg aufgezogen, ein Restaurant zu lokalem Ruhm gebracht, legt sich Onay ins Zeug. Die Voraussetzungen sind nicht schlecht.

Onay hat schon die Haare von Sänger Gunter Gabriel und Rapper Bushido geschnitten. Auf sein Geschick mit Klinge und Faden setzte auch Berlins berühmtester Friseur. In zweierlei Hinsicht. Nach seiner Zeit in der Türkei arbeitete Onay acht Monate bei Udo Walz. Der Chef ließ Onay sogar an sein eigenes Haar und den Bart. „Ich durfte immer nur drei Minuten schneiden“, Onay und lacht. „Dann ist Udo aufgestanden.“