Ausland

Wo das Baltikum wirklich verwundbar ist

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Helikopter der Nato-Einheiten zur Befreiung der Suwalki Gap in Litauen

Die Litauer blicken sorgenvoll auf das kommende Herbstmanöver des russischen Militärs. Es könnte die Lage in der Region weiter verschärfen. Die Nato antwortet auf ihre Weise.

Am vergangenen Wochenende haben Nato-Einheiten das Suwalki Gap befreit. So nennen Militärs die „Lücke“, die schmale Landverbindung zwischen Polen und Litauen, hundert Kilometer breit. Hunderte Royal Marines, polnische und amerikanische Infanteristen wurden in der Abenddämmerung mit Transporthubschraubern abgesetzt. Sie sammelten sich in einem Waldstück im östlichen Teil des Korridors, schon auf litauischer Seite. Am Morgen griffen sie dann an drei Stellen den Gegner an, der eine strategisch bedeutsame Achse in die Hauptstadt Vilnius unter seine Kontrolle gebracht hatte. Nach ein paar Stunden eroberte die Nato-Truppe die Straße zurück. Danach rückten amerikanische und polnische Panzer vor, um die multinationalen Streitkräfte in der Nähe zu verstärken.

Okay, es war nur eine Übung, kein Ernstfall. Der Gegner wurde von litauischen Soldaten verkörpert, ein fiktiver Staat namens „Bothnia“. Mit dem bekommen es Nato-Soldaten in den letzten Jahren regelmäßig zu tun, wenn sie die Verteidigung ihres Bündnisgebiets üben. Kein Wunder, denn „Bothnia“ liegt gemäß Schulungsunterlagen der Allianz an der Ostsee, ist eine „nicht reformierte, altmodische Volksrepublik, mit einem Anschein demokratischer Repräsentation“, zugleich aber „bedeutsamen militärischen Fähigkeiten“ und dem „politischen Willen, den Einsatz militärischer Macht zu erwägen, um seine Ziele zu erreichen“. Schon klar, wer gemeint ist – Russland natürlich.

Hochgerüstet mit Luftabwehr, Raketen und Panzern

Nun wird Wladimir Putin nachts nicht wach liegen, weil tausend Nato-Soldaten gezeigt haben, wie sie einen winzigen Teil ihres eigenen Territoriums zurückerobern. Die „Bothnier“ waren den Befreiern hoffnungslos unterlegen – wie stets bei Nato-Manövern. In der realen Welt wäre es eher umgekehrt. Russland hat Zehntausende Soldaten in Kaliningrad und in seinem westlichen Militärbezirk stationiert, es ist hochgerüstet mit Luftabwehr, Artillerie, Raketen und Panzern. Kein Vergleich mit den drei baltischen Staaten, die ihre Streitkräfte nach der Unabhängigkeit von null an aufbauen mussten und weder Kampfflugzeuge noch schwere Panzer besitzen.

Sorgen machen sich deshalb schon eher die Litauer. Sie sind eingeklemmt zwischen der russischen Exklave Kaliningrad, dem früheren Königsberg, und Weißrussland, Russlands engstem Verbündeten. Ihre Hauptstadt Vilnius liegt direkt an der Grenze. Und Mitte September steht wieder ein gewaltiges Manöver auf der anderen Seite an: die Übung „Zapad“, russisch für „Westen“, in die der gesamte westliche Militärbezirk Russlands einbezogen ist, zusammen um die 100.000 Soldaten. Soweit bekannt, sollen die Russen diesmal das von der Nato besetzte Weißrussland freikämpfen. Die litauische Regierung glaubt, dass die ganze Übung in Wahrheit eine Invasion des Baltikums simuliert. Dalia Grybauskaite, die Staatspräsidentin, spricht von einem „aggressiven und offensiven Manöver gegen den Westen“.

Infografik / Karte / Russische Raketen und Battle Groups der Nato

Man sollte das nicht als Paranoia abtun, denn auch andere machen sich Sorgen. Ben Hodges zum Beispiel, der Oberkommandierende der amerikanischen Landstreitkräfte in Europa. Der Drei-Sterne-General warnte gerade erst, dass es zu Grenzverletzungen kommen könnte oder Russland Truppen in Weißrussland belassen könnte – was die Lage in der Region verschärfen würde. Die Russen hätten schon zweimal im Schatten großer Manöver echte Vorstöße unternommen, 2008 in Georgien und 2014 in der Ukraine. „Ihre Geschichte ist voll mit Beispielen dafür, dass sie sich nicht an Verträge halten“, sagte Hodges. Dachte der General nur laut nach oder hatte er Hinweise auf russische Planungen?