Nach Jahren der textilen Abstinenz ist die Lust an der Opulenz besonders groß. Die Hersteller toben sich im Design aus, sind auf der Suche nach innovativen Techniken und Materialien – und sie machen Entwürfe für alle Lebensbereiche.
Wer übers Wohnen nachdenkt, muss auch über das Leben nachdenken, und damit wird es mitunter kompliziert. Denn Wohnen ist in der Neuzeit Ausdruck des persönlichen Lebensgefühls, mal mehr, mal weniger bewusst gewählt. Schön einfach war es noch zu Zeiten des puristischen Stildiktats. Möglichst wenig Einrichtung, klare Linien, das war’s. Doch ein Blick in aktuelle Wohnmagazine offenbart: Davon sind wir längst weit entfernt. Nach Musterjahren mit leer geräumten Lofts und spartanisch eingerichteten Wohnräumen darf es jetzt wieder ein bisschen mehr sein: Mehr Möbel, mehr Farbe, Vorhänge und Teppiche breiten sich aus. Vorbei die Zeit, in der der Charakter eines puristischen Ausstellungsraumes für die eigenen vier Wände propagiert wurde.
Die Entwicklung kommt nicht von ungefähr. Was dem Menschen in der Welt vor der Wohnungstür missfällt oder fehlt, sucht er im Innern des Hauses zu kompensieren. Hektik im Beruf, eine beschleunigte Freizeit und die Digitalisierung – vielfach verstehen wir die Welt nicht mehr. Die kaum noch fassbare, flüchtige Umwelt macht neu empfänglich für das Sinnliche. In der Abgrenzung zum flüchtigen Außen soll die Wohnumgebung begreifbar, ja im Wortsinn greifbar sein. „Wir haben ein Bedürfnis nach Ruhe und nach Zeit für uns selbst und versuchen uns eine Komfortzone zu schaffen mit Bezügen zum eigenen Lebensraum. Dabei spielt das Haptische und Sensuelle eine große Rolle“, sagt Isa Glink, Creative Director beim Textilhersteller Kinnasand. Zu Hause liefern Teppiche und Vorhänge die haptischen Erlebnisse, die uns außerhalb fehlen. Das Spartanische hat ausgedient, aber zum Glück kehrt nicht verstaubte Gemütlichkeit zurück.
Die Hersteller von Möbeln und Wohntextilien reagieren souverän auf die veränderte Nachfrage. Die Formen der Sofas und Sessel verlieren an Strenge. Teppiche liegen wieder im Raum, und an die Fenster dürfen die Vorhänge zurück. Dass wir nun in den Wohnzimmern kein Revival der Nachkriegsspießigkeit erleben, ist auch Designern und Stoffherstellern zu verdanken, die wenig Retro, aber ziemlich viel Zukunft und Stil im Sinn haben.
Nya Nordiska begibt sich mit Stoffen wie Soho CS auf Streifzüge.Bilderstrecke
Auf der einen Seite bedienen die Textilverleger den Wunsch der Kunden nach Ausdruck des individuellen Lebensstils, auf der anderen folgen sie ihrer eigenen Gestaltungsphilosophie. Die Bandbreite des aktuellen Angebots reicht denn auch von üppigen Floralmotiven bis zu klassisch klaren Linien. Ein einheitlicher Trend in der Gestaltung ist nicht zu entdecken, was die Hersteller in den oberen Marktsegmenten verbindet, ist die Suche nach unbekannten Qualitäten. Den Stoffen gemeinsam ist die überaus große Lust am Spiel mit Farbkompositionen, Verarbeitungstechniken und edlen Materialien. Stetig wird nach neuen Herstellungsmethoden und an neuartigen Materialinterpretationen geforscht.
„Urban Luxury“ oder „Citylife“ – schon die Label der meist jährlichen wechselnden Kollektionen geben erste Hinweise auf den Einsatz in Wohnwelten, die sich ganz am persönlichen Geschmack orientieren.
Bei Nya Nordiska aus dem niedersächsischen Danneberg hat man den Blick auf die große weite Welt gerichtet. Die Stoffe der Frühjahrskollektion sind nach Trendvierteln in internationalen Metropolen benannt. Beim Transparentstoff „Piccadilly“ prägen große Farbtupfen, die wie von Hand aquarelliert wirken, das Bild, „Soho CS“ lebt vom schrillen Farbwechsel des Streifenrasters. „Streifzüge“ ziert als Oberthema die Kollektion, und Geschäftsführer Remo Röntgen sieht in der Interpretation des textilen Streifens eine Kernkompetenz des Unternehmens. Es wird zerschnitten, überlagert und neu zusammengesetzt. Vielleicht ist es dieses variantenreiche Spiel mit Materialien und Techniken, das die Raumausstatter neu für Textilien begeistert.