
Was trinkt ein Wein-Guru, wenn es etwas stärker sein darf? Perfekt für den Winter sind Whiskeys, und die gibt es in allen Preisklassen. Gute Cocktails lassen sich mit Gin kredenzen.
In der kalten Zeit konsumieren viele Menschen deutlich häufiger Spirituosen als im Sommer. Greift also der Weinfachmann, insbesondere der Autor der Wein-Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, ebenfalls vermehrt zu Whiskey, Rum, Cognac & Co.? Warum nicht ein „Spezial“ zum Thema alkoholstarke Getränke?
Glücklicherweise ist eine diesbezügliche Anfrage der Ressortleitung erst diese Saison und nicht bereits vor einigen Jahren auf meinem Schreibtisch gelandet. Denn die Wahrheit lautet, dass viele Weinfachmenschen bei Spirituosen entweder gänzlich ahnungslos oder gar Snobs sind- ich bin da keine Ausnahme. Spirituosen lassen sich leicht mit Begriffen wie „harte Sachen“ pauschal abwerten. Genau das habe auch ich jahrelang getan. Für mich ging es dabei um die Abgrenzung des „eleganten“ Weins mit (rein theoretisch) geschmacklich nicht spürbarem Alkohol gegenüber den „hammerharten“ Spirituosen.
Bei näherer Betrachtung indessen ist das ein sorgfältig getarntes Vorurteil – das sich selbstverständlich widerlegen lässt. Da war etwa neulich der edle 2012er „Bricco dell’ Uccelone“-Rotwein aus Piemont/Italien. Er hat gut, aber üppig geschmeckt und ging mit seinen 16 Prozent natürlichem Alkohol ganz schön auf den Kopf! Und das ist heutzutage keine Ausnahme. Andererseits gibt es Spirituosen wie den Brand aus Hardenponts Winterbutterbirne vom Weingut Hummel in Villány/Ungarn mit 43 Prozent, bei dem die Aromen (man denke an vollreife Birnen) so intensiv sind, dass man den Alkohol kaum spürt. Das Gleiche gilt für zahlreiche Rotweine aus dem Mittelmeerraum und Übersee. Trotzdem erschien mir meine eigene Ablehnung der Spirituosen lange Zeit als harmlose Laune.
Im Winter trinkt man Whiskey
Glücklicherweise aber bin ich davon durch die letzten vier Jahre, die ich zwischen den Bars von Berlin und New York pendelnd verbracht habe, geheilt worden. Heute bin ich ein Multikulti-Trinker, der auch gerne Flaschen bestimmter Spirituosen in die Hand nimmt. Welche? Nun, nichts Hartes passt besser zur Jahreszeit als Whiskey- eine Welt, die ebenso vielfältig und verwirrend ist wie die des Weins. ähnlich wie beim Wein finde ich diese Vielfalt spannend und nehme die Komplexität des Angebots gerne in Kauf. Viele sehen Whiskey als Digestif oder zumindest als Getränk für den späten Abend. Dann liegt seine Aufgabe meistens darin, sanfte Wärme und Entspannung zu spenden. Mir ist dieses Verlangen keinesfalls fremd, und ich finde, Bourbon, also aus Mais gebrannten amerikanischen Whiskey, ist dafür besonders gut geeignet.
Wein-Guru Stuart Pigott bei der Arbeit: Er probiert einen Cocktails aus Hendrick’s Gin und dem Wermut „Merwut“.
Viele der besten Bourbons sind in Europa kaum oder gar nicht erhältlich. Das ist schade und teilweise dem Image geschuldet, das Whiskey in Europa qualitativ unter den Spitzenprodukten aus Schottland, den Single Malts, ansiedelt. Tatsächlich kann die Qualität hier genauso hoch sein wie die Preise. Wie etwa beim zwanzigjährigen „Family Reserve“ von Pappy van Winkle, einer Marke der Buffalo Trace Destillery im anderen Frankfort, jenem in Kentucky. Dessen empfohlener Endverbraucherpreis liegt bei 140 Euro, doch ist es schwer, auf dem freien Markt eine Flasche für unter 1400 Euro aufzutreiben! Der Drink ist Kult, welcher einerseits durch die Kluft zwischen knappem Angebot und immenser Nachfrage angeheizt wird. Andererseits ist da der konzentrierte, zugleich aber sehr feine Geschmack nach vielerlei Trockenfrüchten, eingelegtem Ingwer, Vanille und Karamel. Dieser Preis scheint mir genauso jenseits von Gut und Böse zu liegen wie der von Château Lafite.
Glücklicherweise gibt es günstigere, aber ähnlich stimmige Alternativen, wie den „Hudson Baby Bourbon“ aus Upstate New York, der in der 35 Zentiliter kleinen Standardflasche für knapp 50 Euro zu bekommen ist (in New York leider auch nur maximal 10 Euro pro Flasche günstiger). Sämtliche Whiskeys dieser Destillerie sind sehr charaktervoll und stellen dar, was Amerikaner „the real McCoy“ nennen: das einzig Wahre. Süßlicher und auch milder ist der „Bulleit Bourbon“, der ab 20 Euro zu haben ist.
