Europäische Union

An der roten Linie

• Bookmarks: 1


Warten auf Einlass: Migranten campieren an der serbisch-ungarischen Grenze bei Tompa.

Ungarn ist für seine harte Haltung in der Flüchtlingsfrage bekannt. Weiterhin gelangen Migranten aber ins Land. Was geschieht mit ihnen?

Ostbahnhof Budapest: In der Unterfuhrung hat das UN-Fluchtlingshilfswerk eine kleine Fotoausstellung aufgebaut. Sie zeigt Bilder vom vergangenen Sommer. Menschen, die auf Inseln ankommen, in Zuge steigen, vor Grenzen warten, uber Gleise und Autobahnen laufen. Die Texte handeln davon, dass Fluchtlinge Menschen sind wie du und ich, die eine Wurde und Rechte haben. Symbolträchtig sind die Bildfolien auf Bauzäune gespannt. Die Gitter scheinen im Gegenlicht durch.

In dieser Unterfuhrung sind vor einem Jahr immer mehr Menschen gestrandet, die sich aus Afrika und Asien uber die Turkei, Griechenland und den Balkan auf den Weg gemacht hatten. In ungarische Camps wollten sie nicht. Weiter nach Westen, wohin sie eigentlich wollten, durften sie nicht. Die Zustände rund um die Budapester Bahnhofe wurden immer ärger. Dann baute die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orb&aacute-n ihre Grenzzäune und erließ strenge Strafen fur deren uberquerung. Die Migranten, die im Land waren, durften nach osterreich und Deutschland weiterreisen. Später wurde auf Betreiben osterreichs auch die ubrige Balkan-Route ab Mazedonien gesperrt. Zu. Dicht.

So hieß es jedenfalls immer wieder. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. In Wirklichkeit kommen längst wieder jeden Tag hundert bis zweihundert Menschen uber Serbien nach Ungarn und uber Ungarn nach osterreich – und das ist nur die Zahl der Personen, die von den Behorden bemerkt werden. Scheuen die Durchreisewilligen nicht vor der Drohung zuruck, bei illegalem Grenzubertritt bis zu drei Jahre, bei Beschädigung des Zauns sogar bis zu funf Jahre ins Gefängnis zu kommen? Und was ist mit denen, die durch das Nadelohr der sogenannten Transitzonen kommen, in denen Ungarn nach wie vor Asylanträge annimmt, um dem Buchstaben nach seinen Verpflichtungen aus der Fluchtlingskonvention und europäischen Dokumenten nachzukommen?

Niemand wird festgehalten.

Eine dieser Transitzonen ist am Grenzubergang bei Roszke, neben der Autobahn Budapest-Belgrad. Das Areal ist nach Ungarn hin hoch eingezäunt und wird von Bewaffneten bewacht. Links steht eine vielleicht hundert Meter lange Reihe blau gestrichener Container. Darin werden Asylbegehren angenommen: 15 pro Tag. Anfangs hieß es, die Verfahren sollten auch gleich dort abgewickelt werden. In jeder Transitzone sollen sich 50 Fluchtlinge gleichzeitig aufhalten konnen. Das fur die ungarischen Behorden Praktische an der Idee: Niemand wird festgehalten. Wer will, kann nach Serbien zuruckgehen, doch ins Land kommt auch keiner, bis sein Antrag bewilligt wurde. Aber das wird bislang kaum so praktiziert. Knapp 4800 Asylanträge wurden im ersten Halbjahr 2016 an den Transitzonen eingereicht, 3800 Antragsteller hat man in ein Aufnahmezentrum weitertransportiert. Familien mit Minderjährigen, Alte, Kranke und Behinderte wurden bevorzugt, heißt es.

Auf dem Kiesstreifen zwischen den Containern und dem Zaun spielt eine Handvoll Kinder. Eine blonde Polizistin und zwei Soldaten mit Sturmgewehr bauen sich am verriegelten Tor auf und weisen durchs Gitter hindurch die Bitte ab, sich umsehen zu durfen. Es scheint, als wollten die Behorden nicht, dass man genau hinsehen kann.