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Ukraine-Konflikt: Angela Merkel mahnt Einhaltung der Minsker Vereinbarung an

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Die Kanzlerin sieht in vielen Punkten große Defizite bei der Umsetzung des Waffenstillstandsabkommens für die Ukraine. In Berlin hat sie mit François Hollande und Petro Poroschenko über den Konflikt beraten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der franzosische Präsident Francois Hollande haben nach einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko deutlich gemacht, dass sie ungeachtet des bruchigen Waffenstillstandes in der Ostukraine nicht nur am Minsker Abkommen, sondern auch am sogenannten Normandie-Format festhalten wollen. Merkel sagte am Montagabend im Kanzleramt, das Gespräch mit Hollande und Poroschenko habe der „Stärkung und der Kräftigung“ des Verhandlungsformats gedient, an dem seit Sommer 2014 neben Berlin, Paris und Kiew auch Moskau teilnimmt, um den Russland-Ukraine-Konflikt zu entschärfen. Minsk sei „das Fundament“ dafur.

Hollande sagte, dass es dank dieses Formats gelungen sei, das Maßnahmenpaket zur Umsetzung der Minsker Beschlusse zu unterzeichnen – durch Unterschriften, die „nun alle Seiten binden“. Auch Poroschenko bekräftigte, es gebe „keine Alternative“ zu Minsk. uber die Normandie-Runde sagte er, man benotige kein anderes Format- er sei aber auch bereit, uber gewisse Fragen etwa im Genfer Format unter Einbeziehung Amerikas zu verhandeln.

Vor dem Dreiertreffen hatte es in Moskau Kritik daran gegeben, dass die Runde ohne den russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammenkomme. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte Merkel und Hollande aufgerufen, Druck auf Poroschenko auszuuben, um ihn zur Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk zu bewegen. Er warnte, der Ruf Deutschlands und Frankreichs als Vermittler stehe auf dem Spiel. Merkel verwies darauf, dass es unlängst ein intensives Telefonat der vier Staats- und Regierungschefs gegeben habe und auf Mitarbeiterebene weiterhin in diesem Format gesprochen werde. Wenn alle Seiten „den Eindruck haben, dass es notwendig ist“, werde es auch wieder ein Vierertreffen geben. „Ich schließe nicht aus, dass man sich auch wieder einmal zu viert trifft“, sagte sie.

Waffenstillstand von beiden Seiten gebrochen?

Die Kanzlerin wies aber darauf hin, dass es erhebliche Defizite bei der Umsetzung des Minsker Abkommens gebe. Diese reichten von der mangelnden Einhaltung der Waffenruhe uber den schleppenden Austausch der Gefangenen bis zur Vorbereitung von Lokalwahlen in den von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebieten. „Ich halte diese Frage fur eine der Schlusselfragen“, sagte sie. Zudem hob sie hervor, die Arbeit der Organisation fur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sei das „A und O“. Sie sehe mit Sorge, dass es Angriffe auf die Beobachtermission gegeben habe und die Aufklärungsdrohnen der OSZE „gestort“ worden seien. Poroschenko forderte die Separatisten auf, auf die von ihnen geplanten Regionalwahlen zu verzichten, weil sie gegen ukrainisches Recht verstießen. Hollande sagte, das Treffen finde an einem symbolischen Tag, nämlich am Unabhängigkeitstag der Ukraine, statt. An dieser musse immer noch gearbeitet werden.

Poroschenko hatte zuvor in Kiew bei den Feierlichkeiten zum 24. Jahrestag der Unabhängigkeit von der Sowjetunion daran erinnert, dass der Ukraine wegen der russischen Intervention in ihren ostlichen Gebieten ein weiteres schwieriges Jahr bevorstehe. Vor mehreren tausend Zuhorern in der Hauptstadt sagte er, die Ukraine musse das beginnende 25. Jahr ihrer Unabhängigkeit so umsichtig und aufmerksam durchschreiten, als laufe sie „auf bruchigem Eis“. Moskau warf er vor, die Idee eines direkten Angriffs auf die Ukraine weiterzuverfolgen. „Wir mussen verstehen, dass auch der kleinste Fehltritt fatal sein kann“, sagte er. „Der ukrainische Unabhängigkeitskrieg geht weiter.“

Beide Seiten im russisch-ukrainischen Krieg um das ukrainische Industrierevier Donbass beschuldigten sich am Montag gegenseitig, auch am vergangenen Wochenende den zuletzt im Februar bekräftigten „Minsker Waffenstillstand“ gebrochen zu haben. Ukrainische Militärsprecher sprachen von mehreren Artillerieangriffen vom Territorium der prorussischen Separatisten, bei denen ein Soldat verletzt worden sei. Die „Behorden“ des abtrunnigen Gebiets Donbass dagegen beschuldigten die ukrainischen Streitkräfte, in der Nacht zum Sonntag ein Wohngebiet in der Regionalmetropole Donezk beschossen zu haben. Allerdings wurden keine Opfer vermeldet. Seit dem Beginn des Krieges im Fruhjahr 2014 sind nach Angaben der Vereinten Nationen etwa 6500 Menschen ums Leben gekommen.

Poroschenko bezichtigte Russland, etwa 9000 Soldaten illegal auf ukrainischem Territorium stationiert zu haben. Nehme man die aus der ortlichen Bevolkerung rekrutierten Krieger hinzu, stunden in den separatistischen „Volksrepubliken“ von Donezk und Luhansk etwa 40.000 Mann unter Waffen. Weitere 50.000 Soldaten halte Russland auf seinem eigenen Territorium nahe der ukrainischen Grenze in Bereitschaft. Den Kämpfern auf ukrainischem Territorium habe Moskau 500 Panzer, 400 Artilleriesysteme und 900 Panzerfahrzeuge zur Verfugung gestellt. Allein in der vergangenen Woche seien drei lange Militärkolonnen aus Russland eingetroffen. Moskau leugnet die Intervention, obwohl Kiew immer wieder Gefangene präsentiert hat, die sich auch im Gespräch mit OSZE-Beobachtern als russische Soldaten vorstellten. Die Nachrichtenagentur Tass berichtete unterdessen, die russischen Streitkräfte hätten am ukrainischen Unabhängigkeitstag im westlichen und im zentralen Militärbezirk Russlands abermals ubungen begonnen.