
Serbiens Regierungschef Vučić wollte in Srebrenica ein Zeichen für Versöhnung setzen. In Erinnerung bleiben die Bilder seiner Demütigung.
Der Gang nach Srebrenica wird niemals leicht sein fü-r einen Politiker aus Serbien. Srebrenica steht fü-r die dunkelste Stunde serbischer Geschichte, fü-r die Ermordung von mehr als 7000, nach offizieller Darstellung in Sarajevo sogar fast 8400 bosnischen Muslimen durch die Soldaten des Generals Ratko Mladić im Juli 1995. Es dauerte zehn Jahre, bis sich erstmals ein ranghoher Reprä-sentant aus Belgrad in den zu trauriger Berü-hmtheit gelangten ehemaligen Luftkurort im Osten Bosniens wagte.
Steinwürfe auf Serbiens Regierungschef
Am 11. Juli 2005 nahm der damalige serbische Staatsprä-sident Boris Tadić an der Gedenkveranstaltung auf dem Mahnmalgelä-nde teil, das im September 2003 von Bill Clinton erö-ffnet worden war. Tadić hatte vor seiner Reise angekü-ndigt, er gehe nach Srebrenica, um sich vor den Opfern des Verbrechens zu verneigen und Serbiens Haltung zu Kriegsverbrechen zu demonstrieren: „Die Menschen in Serbien standen nicht hinter diesem Verbrechen. Wir mü-ssen die Distanz zwischen den Bü-rgern und den Kriminellen zeigen. Serbiens Zukunft hä-ngt davon ab“, sagte Tadić vor einem Jahrzehnt. Es war kein einfacher Besuch fü-r ihn, aber er verlief glimpflich. Die Menschen in Srebrenica wussten, dass Tadić in den neunziger Jahren, als Mladićs Soldaten und die noch viel gefü-rchteteren serbischen Freischä-rlereinheiten nicht nur in Srebrenica, sondern auch in vielen anderen Orten im Osten Bosniens gewü-tet hatten, auf der anderen Seite gestanden hatte. Tadić hatte in Opposition zu der Politik „ethnischer Sä-uberungen“ in Bosnien und zum serbischen Prä-sidenten Slobodan Milošević gestanden, der aus Kalkü-l vom Kommunisten zum Nationalisten geworden war.
Vučić kommt von der „anderen Seite“
Zehn Jahre nach Tadić hat nun abermals ein wichtiger Politiker aus Serbien Srebrenica besucht, und das unter weitaus schwierigeren Umstä-nden. Denn Serbiens Ministerprä-sident Aleksandar Vučić stand in den neunziger Jahren nicht „auf der anderen Seite“. Als rechte Hand des von dem Haager Kriegsverbrechertribunal angeklagten serbischen Chauvinisten Vojislav Šešelj sowie zeitweiliger Presseminister in einer von Milošević kontrollierten Regierung wirkte er an einer Politik mit, die millionenfaches Leid ü-ber den Balkan brachte. Zwar hatte er keine Schuld am Krieg in Jugoslawien, denn als der 1991 ausbrach, spielte der 1970 geborene Vučić politisch noch keine Rolle. Doch er lud im Krieg Schuld auf sich, was Vučić auch nicht bestreitet. Seit einigen Jahren spricht und handelt er nun anders. Er hat sein Land erfolgreich nä-her an die EU gefü-hrt. Seine Reise nach Srebrenica war jedoch ein vö-lliger Fehlschlag. Die Bilder davon, wie Vučić und die serbische Delegation, bedroht von einer aufgebrachten und gewalttä-tigen Menschenmenge, Srebrenica fluchtartig verlassen, werden im Gedä-chtnis bleiben.
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Dabei hatte der Besuch gut begonnen. Wie damals Tadić hatte auch Vučić schon vor seiner Ankunft in Srebrenica eine Erklä-rung verbreiten lassen. Es gebe keine Worte, „um die Wut und die Bitterkeit gegenü-ber jenen auszudrü-cken, die dieses monströ-se Verbrechen begangen haben“, hieß- es darin. Das waren klare Worte, die auch in den bosnischen Medien zitiert wurden. Anders als unmittelbar nach dem Ende des Krieges ist eine solche Haltung heute in Serbien mehrheitsfä-hig. Sogar Vučićs ehemaliger politischer Ziehvater Šešelj, der bis heute die Schaffung „Groß-serbiens“ propagiert, bestreitet nicht, dass es in Srebrenica „einige Verbrechen“ gab. Zwar gab es Buhrufe und Pfiffe, als Vučić das Gelä-nde des Mahnmals betrat, doch damit hatte er rechnen mü-ssen. Vučić trug sich in kyrillischer Schrift, einem der beiden Alphabete, in dem Serbisch geschrieben wird, in das Kondolenzbuch ein. „Ich hoffe, dass sich so ein schreckliches Verbrechen niemals wieder ereignen wird. Von einer anderen und besseren Zukunft des serbischen und des bosniakischen Volkes ü-berzeugt, spreche ich allen Opfern und ihren Familien meine tiefste Anteilnahme aus“, schrieb Vučić laut einem Bericht des nach Srebrenica entsandten Korrespondenten der Belgrader Zeitung „Politika“.
