Gesellschaft

Kartoffelkönigin Marie-Kristin Lüdemann im Porträt

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Die Kartoffellobby heult auf: Die Deutschen essen immer weniger Kartoffeln. Was tun? Zu Besuch bei der Deutschen Kartoffelkönigin lernen wir wenig über die erkaltete Kartoffel-Liebe der Deutschen – dafür umso mehr über das Leben auf dem Land.

Die deutsche Kartoffel schafft sich ab. Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist (Ferdinand Lassalle), darum hier Klartext: Der Verzehr von Kartoffeln geht in Deutschland seit Jahren dramatisch zurück. Mitte der Sechziger aß ein Bundesbürger im Jahr 110 Kilo Kartoffeln, heute bloß noch 58 Kilo, und da sind Pommes und Klöße schon mit drin. Kartoffellobbyisten beklagen, dass die Deutschen inzwischen zu faul zum Kartoffelschälen seien. Nudeln und Reis gibt es im Laden schon geschält. Kartoffeln jetzt auch, aber das sieht eklig aus. Ist die deutsche Kartoffel noch zu retten? Dazu gibt es keine Studien. Das soll die Deutsche Kartoffelkönigin beantworten.

Wer ihr eine E-Mail schreibt, bekommt umgehend Nachricht von einem Mann. „Ich betreue die Kartoffelkönigin und bin gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Königinnen.“ Der Mann schlägt Termine vor für ein Treffen mit der Kartoffelkönigin. Zum Beispiel einen Empfang beim niedersächsischen Ministerpräsidenten. Dahinter schreibt er verschwörerisch in Klammern: „Ich könnte Ihnen dort 25 weitere Königinnen aus Niedersachsen bieten.“ Ist die Kartoffelkönigin alleine nicht interessant genug, und was sagt das über die Lage der Kartoffel? Wieder nichts Gutes. Die Hälfte der anderen Termine hat mit Spargel zu tun: Spargelfest, Spargelmarkt. Mode-Gemüse, die Kartoffel nur Beiwerk. Sonst noch: Blütenfest, Mühlenfest. Dort ist die Kartoffel ja noch weiter weg. Dann eben das Spargelfest in Nienburg an der Weser, bekannt für seinen Spargel, unbekannt für alles andere. Der Zug, aus Hannover kommend, bremst im letzten Moment.

Die Deutsche Kartoffelkönigin spielt beim Spargelfest nur eine Nebenrolle, das hat der Betreuer am Telefon gleich gesagt. Die Spargelkönigin für das nächste Jahr wird gekrönt. Die Kartoffelkönigin darf ihr zur Feier Kartoffeln überreichen. Zuvor gibt es im Garten des örtlichen Spargelmuseums ein Essen, nämlich Spargel mit Kartoffeln. Dampf steigt aus Alu-Pfannen in den spargelfahlen Himmel auf. Die Deutsche Kartoffelkönigin ist noch irgendwo drinnen und zieht sich ihr Königinnenkleid an. Draußen übt der Moderator die Namen der Königinnen, die heute auf der Bühne Geschenke überreichen. Heidekönigin Sophia, Sonnenblumenkönigin Anna, Deutsche Erntekönigin Jenny und, ah, Deutsche Kartoffelkönigin Marie-Kristin. Dann aber: Kartoffelkönig Harm. Wer ist der Mann?

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Antwort weiß der Betreuer der Deutschen Kartoffelkönigin. Er ist mitgereist, um solche Fragen zu beantworten: ein weißhaariger Fußballtrainertyp mit Blousonjacke und der Gelassenheit eines Menschen, der nicht im Internet diskutiert. Die Antwort lautet: Es gibt verschiedenste Kartoffelköniginnen in Deutschland, zum Beispiel die Rheinische Kartoffelkönigin, die Bayerische Kartoffelkönigin und die Genthiner Kartoffelkönigin (auf Facebook eine „Person des öffentlichen Lebens“). Wenn ein Ort seine Kartoffeln hervorheben will, kürt er eine Kartoffelkönigin und nennt sie nach Belieben entweder möglichst regional oder möglichst staatstragend. Die Deutsche Kartoffelkönigin ist eine unter vielen, ohne herausgehobene Stellung. Sie kommt stets aus Niedersachsen und wird immer auf dem Kartoffelmarkt in Rotenburg an der Wümme gekürt.

Anzüglichkeiten ohne Aufschrei

Gerade mal 26 Kilometer entfernt, in Neuenkirchen, gibt es schon einen anderen Kartoffelkönig. Er ist genauso deutsch und genauso wichtig wie die Deutsche Kartoffelkönigin, er heißt bloß anders. Nämlich Neuenkirchener Kartoffelkönig. Dieser, mit Vornamen Harm, ist ebenfalls anwesend im Nienburger Spargelmuseum, ein ruhiger Neunzehnjähriger mit mattgoldener Kartoffel in Originalgröße am Jackettkragen. In einer herausgehobenen Position befindet er sich insofern, als er nach eigenen Angaben in einer Whatsapp-Gruppe mit 27 Majestäten der einzige Mann ist und darüber hinaus Single. Was bedeutet das alles nun aber für die deutsche Kartoffel?