Europäische Union

Günther Oettingers Vermittlung im Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine

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Für Günther Oettinger war die Vermittlung im Gasstreit eine der letzten Handlungen als EU-Energiekommissar. Mit Geduld und Akribie hatte er die Verhandlungen geleitet.

Dieser Freitag ist der letzte Arbeitstag für den Energiekommissar Günther Oettinger. Von diesem Samstag an verantwortet der CDU-Politiker in Brüssel das Ressort Digitales. Statt Gerangel um Beihilfen für erneuerbare Energien die Stärkung des Binnenmarkts für Gas und Strom, muss sich der 61 Jahre alte frühere baden-württembergische Ministerpräsident nun um die erhofften ökonomischen Segnungen digitaler Technologien, aber auch um den Schutz des Urheberrechts und persönlichen Daten im Internetzeitalter zu kümmern.

Zeit zum Einarbeiten blieb Oettinger kaum. Dazu hat der jetzt nach monatelangem Tauziehen unter seiner Vermittlung ausgehandelte Kompromiss im Erdgasstreit zwischen der Ukraine und Russland einfach zu viel Zeit gekostet. Seine fachliche Prüfung im zuständigen Ausschuss des Europäischen Parlaments hat Oettinger, der in Brüssel als „Aktenfresser“ gilt, unlängst mühelos bestanden. Und nebenbei hat er auch noch zu Protokoll geben, dass für ihn auch in seinem neuen Amt „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ gehen müsse.

Im Gasstreit, so berichten Vertraute Oettingers, sei es um beides gegangen. In den vergangenen Wochen hatte er stets jenen 1. November vor Augen, an dem der Spanier Miguel Arias Cañete seine bisherigen Aufgaben übernimmt. Nicht dass Oettinger an den fachlichen Qualitäten des Nachfolgers zweifelte. Aber er habe, so ist zu hören, so hartnäckig auf eine Lösung hingearbeitet, weil ihm eines bewusst gewesen sei: Ein Kompromiss sei nur möglich, wenn zwischen allen Verhandlungspartnern ausreichendes Vertrauen aufgebaut sei.

Wer Oettinger in den vergangenen Wochen beobachtet hat, bekam ein Gefühl für die Strategie des Schwaben. Schuldzuweisungen vermied er tunlichst. Auch auf die altbekannte Verhandlungsmasche, die Folgen eines Scheiterns in den schlimmsten Farben zu malen, verzichtete er. Allenfalls die wohl ehrlich gemeinte Einschätzung, dass die Chancen für einen Erfolg der Gespräche 50:50 stünden, ließ er sich am Mittwoch entlocken.

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Als der Kompromiss in der Nacht zum Freitag, fiel bei Oettinger die Anspannung. „Wir können den Bürgern Europas heute sagen: Die Versorgungssicherheit ist gewahrt“, erklärte der Kommissar. Den Verhandlungspartnern, bei aller Bescheidenheit aber auch sich selbst, bescheinigte er, „in kriegsähnlichen Zuständen klug gehandelt“ zu haben. Und dann stellte Oettinger klar, dass es mit dem „Winterpaket“ nicht nur um geheizte Wohnungen in der Ukraine gegangen sei: „Es ist auch ein Beitrag zur Deeskalation zwischen Russland und der Ukraine.“ Damit schloss sich auch für Oettinger ein Kreis. Mit der Vermittlungsmission hatte Kommissionspräsident José Manuel Barroso den deutschen Politiker im vergangenen April betraut. Damals sei ein Schreiben des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem Tenor eingetroffen, die EU lasse die Dinge im Gasstreit zu sehr treiben. Obwohl sich mit der Unterbrechung der russischen Gaslieferungen an die Ukraine die Aussichten auf eine Schlichtung eher verschlechtert zu haben schien, setzte Oettinger unverdrossen weiter auf Gespräche.

Sieben Dreiertreffen mit den Energieministern Russlands und der Ukraine, Alexander Nowak und Juri Prodan, hat es zuletzt Monaten gegeben. Und dann soll es noch jene diskreten Gespräche Oettingers mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderen Spitzenpolitikern gegeben haben, die wiederum ihre Kontakte nach Moskau und Kiew in die Waagschale geworfen haben dürften. Herausgekommen ist ein verästelter Kompromiss, wie er zum politischen Tüftler Oettinger passt: mit der Begleichung der Altschulden der Ukraine für russische Gasausfuhren und der Zusicherung neuer Lieferungen gegen Vorkasse – ein für Laien schwer durchschaubares Zahlenwerk von Zusagen und Verpflichtungen.

Als Oettinger am Freitag im „Deutschlandfunk“ gefragt wurde. wie man am Verhandlungstisch auf ein Ergebnis hinwirke, antwortete er in der für ihn typisch, zuweilen etwas abgehackt wirkenden Diktion: „Indem man stundenlang zu dritt verhandelt, der russische Minister und sein Chef der Gasprom, der Minister aus der Ukraine und sein Vorstandschef und wir als Kommission, aber dann auch wieder unterbricht und unter vier Augen spricht.“ Der Kompromiss bedeutet für Oettinger freilich nicht, jetzt die Hände in den Schoß zu legen. Das gegenseitige Vertrauen gelte es nun zu nutzen, um „in aller Ruhe über eine dauerhafte Neuordnung der Vertragsbeziehungen zu sprechen.“ Ob sich Oettinger mit der Rolle des Zuschauers begnügt, bleibt abzuwarten. Den Freitag hat er zu einem Abstecher in die schwäbische Heimat genutzt. Wenn er nach Brüssel zurückkehrt, wird er „Digitalkommissar“ sein.