Europäische Union

Europäische Kommission: Schmeckt ziemlich deutsch

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Jean-Claude Juncker hat die EU-Kommission geschickt umgebaut. Die Staaten bekamen, was sie wollten – und werden sich noch wundern. Eine Analyse.

Jean-Claude Juncker beugt sich über den Tisch. Seine neuen Kommissare sind drei Nummern kleiner als er und wuseln vor seiner Nase herum. Jeder hat einen Aufziehschlüssel im Rücken. Schon klar, wer den bedient hat: natürlich Juncker, der neue Kommissionspräsident. Er ist jetzt der Boss. Fast. Denn Juncker hat auch so einen Schlüssel im Rücken, an dem dreht gerade eine über allem schwebende Angela Merkel. So sah es der Karikaturist des „Economist“ in dieser Woche. Die neue Kommission: Merkels Maschine.

Typisch Briten, könnte man jetzt sagen, die nehmen eben alles in Europa verzerrt wahr. Stimmt in diesem Fall aber nicht, denn auch eine italienische Zeitung nannte die neue Kommission einen „Schraubstock der Sparsamkeitsfanatiker aus dem Norden“. Und ein französisches Blatt schrieb, der neue Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici würde künftig von zwei – ziemlich deutschen – Gendarmen bewacht. Nur in Deutschland fühlen sich einige mal wieder schlecht behandelt: Juncker habe sich an Merkel für deren schwache Unterstützung gerächt und dem deutschen Kommissar Günther Oettinger nur ein zweitklassiges Ressort überlassen. So stand es nicht nur in Zeitungen, so redeten und twitterten auch Abgeordnete aus der zweiten Reihe – Leute, die vornehmlich aus Zeitungen wissen, was so läuft.

Moscovici und Katainen – ein ungleiches Pärchen

Aber wer gibt denn nun künftig den Ton an in Brüssel? Juncker hat ein paar Vorstellungen dazu und teilte sie letzte Woche der neuen Mannschaft auf eigene Weise mit. Die neuen Kommissare fuhren nach Genval, in ein Konferenzzentrum der Kommission vor den Toren Brüssels. Manche Teilnehmer fühlten sich an den Tag ihrer Einschulung erinnert, wenn die Klasse das erste Mal zusammenkommt und der Lehrer ein paar Ansagen macht.

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Die wichtigste Ansage lautete: Wer Kommissar ist, gibt seinen Pass am Eingang ab. Er dient nicht mehr seinem Heimatland, obwohl er von dort nominiert wurde, sondern ist von nun an auf die Kommission und ihren Chef verpflichtet. Das sagt sich leicht, aber Juncker führte auch gleich vor, was es praktisch bedeutet. Jeweils zwei Kommissare sollten zu den wichtigen Herausforderungen der nächsten Zeit eine Power-Point-Präsentation entwickeln. Vor allem ein Pärchen zog die Blicke auf sich: der Franzose Pierre Moscovici und der Finne Jyrki Katainen.

Zwei, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Moscovici war als Finanzminister für die Schuldenpolitik von Präsident Hollande verantwortlich- Katainen hat sein Land mit eiserner Faust durch die Euro-Krise gesteuert. Was würde da rauskommen? Eine Tortenschlacht? Nein, es ging sehr zivilisiert zu. Beide lieferten eine nüchterne und sachliche Bestandsaufnahme der Schuldenlage in Europa. Als dann alle darüber debattierten, schälte sich ein Konsens heraus: Wie bisher kann es nicht weitergehen, viele Mitgliedstaaten brauchen dringend Strukturreformen. So eindeutig hatte es nicht einmal Juncker erwartet. Er fühlte sich wie der einzige Sozialpolitiker im Raum.

Neues System von Macht und Gegenmacht

Die kleine Trockenübung zeigt, wie Juncker künftig mit seiner Mannschaft arbeiten will. Einerseits hat er vielen Kommissaren die Posten gegeben, die ihre Heimatstaaten wollten. Frankreich drang auf Moscovici als Mann für den Euro – sicher nicht, um sich von einem Franzosen belehren zu lassen, sondern um die Spielräume bei der Schuldenpolitik auszureizen. Die Briten waren scharf auf die Zuständigkeit für Finanzmärkte. Sie schickten einen Mann nach Brüssel, der mal als Lobbyist für Finanzkonzerne gearbeitet hat, um den weitgehend unregulierten Finanzplatz London zu schützen. Die Griechen bekamen den Posten für Migration und Asylpolitik – als Staat, der mit Flüchtlingen seine liebe Not hat. Und ein Ungar wird für Bildung und Kultur zuständig, ein Gefolgsmann Viktor Orbáns, der sich gerade mit sämtlichen Intellektuellen anlegt – ausgerechnet! Schnell machte in Brüssel das Wort die Runde, Juncker habe lauter Böcke zu Gärtnern gemacht.