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Vietnam: Antichinesische Proteste entgleiten der Regierung

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Vietnams Regierung schürt seit Jahren Hass auf Peking, um ihren Führungsanspruch zu sichern. Doch nun scheint sie die Kontrolle über den Mob verloren zu haben. Dabei ist das Land immer noch von China abhängig.

Anfang der Woche hatte ein Hotel in der südvietnamesischen Stadt Nha Trang ein Schild aufgestellt. „Wir bedienen keine Chinesen, bis die chinesische Regierung die Ölplattform HD-981 aus dem vietnamesischen Seegebiet geholt hat“, soll es darauf nach einem Bericht der Zeitung „Dan Viet“ geheißen haben. Da war schon klar, dass der aktuell wiederaufgeflammte Konflikt um die Territorialfragen im Südchinesischen Meer nicht nur zwischen zwei Regierungen tobt. Auch in der vietnamesischen Bevölkerung ist die Wut groß. Das Schild, sagte der Besitzer des Hotels, zeige, „wie sehr wir uns über Chinas unerträgliches Verhalten ärgern“. Die Reservierungen chinesischer Gäste habe er storniert, sagte der Vietnamese.

Derartige antichinesische Gefühle sind in Vietnam schon lange verbreitet. Die Verlegung einer chinesischen Ölplattform in ein Seegebiet, das von beiden Ländern reklamiert wird, hat sie neu entflammt. Bei Angriffen aufgebrachter Demonstranten auf chinesische und andere ausländische Fabriken kam mindestens ein Chinese ums Leben, zehn weitere wurden am Donnerstagabend noch vermisst. Berichte über mehr als 20 Tote wurden zunächst nicht bestätigt. Hunderte Chinesen sollen von Vietnam ins benachbarte Kambodscha geflohen sein, nachdem am Mittwoch zahlreiche Fabriken verwüstet und in Brand gesteckt worden waren. Fachleute sind sich weitgehend einig, dass die Regierung den nationalistischen Furor nutzen wollte, um Druck auf China aufzubauen. Jedoch scheint die Lage inzwischen aus dem Ruder gelaufen zu sein. Ein Sprecher des Außenministeriums in Hanoi verurteilte die Gewalt, fügte aber auch hinzu, dass es legitim sei, dass die Vietnamesen ihrem Patriotismus Ausdruck verliehen.

China ist der größte Handelspartner

Vietnam hat zu China ein ambivalentes Verhältnis, das zum Teil historisch begründet ist. Eintausend Jahre seiner Geschichte war Vietnam eine Provinz des ostasiatischen Großreichs China. Bis zur Ankunft der französischen Kolonialherren war Vietnam zudem weitere 900 Jahre dem Nachbarn im Norden zu Tribut verpflichtet. Der Kampf gegen die „Han-Aggression“ wurde zum Leitmotiv des vietnamesischen Geschichtsverständnisses. Es wird im Unterricht gelehrt und in den Museen vermittelt, überall im Land erinnern Schreine, Namen und Zeichen daran. In Sagen, Liedern und Legenden wird der antichinesische Heldenkult am Leben erhalten.

Den Revolutionsführer Ho Chi Minh, der in Frankreich studiert hatte, bewegten die historischen Erfahrungen seines Landes zu dem Ausspruch: „Es ist besser, noch für eine bestimmte Zeit die Scheiße der Franzosen zu riechen, als für den Rest der Tage die Scheiße der Chinesen zu fressen.“ Für die Vietnamesen ist das prägend. Doch im Kampf gegen die französischen und später die amerikanischen Imperialisten verbündete sich der marxistische Norden Vietnams dann doch mit China. Dabei kamen sich die sozialistischen Brudervölker dann angeblich so nahe „wie Lippen und Zähne“. Später trat das gegenseitige Misstrauen dann aber wieder offen zutage. Schon im Jahr 1974 hatte es eine militärische Auseinandersetzung über die von beiden Seiten beanspruchten Paracel-Inseln gegeben, die seitdem von China kontrolliert werden. Außerdem beunruhigten Vietnams Beziehungen zur Sowjetunion das Nachbarland. In einem kurzen, aber heftigen „Straffeldzug“ zogen chinesische Soldaten über die Grenze. Das Ergebnis waren Zehntausende Tote auf beiden Seiten. Auf ihrem Rückzug hinterließen die Chinesen ein Bild der Zerstörung. Die Verbitterung darüber wirkt bis heute nach.

Das Verhältnis verbesserte sich erst wieder in den frühen neunziger Jahren. Beide Länder haben sich wirtschaftlich reformiert und hohe Wachstumszahlen erreicht. China ist mit Abstand der größte Handelspartner Vietnams. Das Handelsvolumen betrug im vergangenen Jahr 50 Milliarden Dollar. Chinesen stellen die größte Touristengruppe in Vietnam – wobei die Behörden in Hongkong und Peking inzwischen Reisewarnungen für Vietnam veröffentlicht haben.

Vietnam fehlen mächtige Verbündete

Die beiden Völker fühlen sich auch durch die Erfahrung der Kolonialisierung und die konfuzianische Gesellschaftslehre verbunden. Zu Beginn des Jahrtausends konnten Abkommen zur Festlegung der Land- und der Seegrenze im Golf von Tonkin geschlossen werden. „Die beiden Regierungen haben ein enges und relativ positives Verhältnis, es ist nicht annähernd so sehr von Feindseligkeit und schlechter Kommunikation geprägt wie die derzeitigen Beziehungen Pekings zu Manila und Tokio“, schreibt der amerikanische Politologe Ely Ratner in einem Beitrag im Internet. Japan und die Philippinen streiten sich mit China um Inseln im Ost- und Südchinesischen Meer.

Militärisch wäre die einst fünftgrößte Streitmacht der Erde, Vietnam, nach Ansicht von Fachleuten ein deutlich stärkerer Gegner als die militärisch unterentwickelten Philippinen, die ebenfalls in einem Territorialstreit mit China stecken. Im Zuge der schnellen chinesischen Aufrüstung hat auch Vietnam versucht, seine militärischen Fähigkeiten weiter auszubauen. Anders als den Philippinen fehlen dem Land aber mächtige Verbündete wie die Vereinigten Staaten, auch wenn es seit einigen Jahren eine leichte Annäherung Hanois an Washington gegeben hat.

Um den eigenen Führungsanspruch zu legitimieren, fördert die Kommunistische Partei in Vietnam seit Jahren den Nationalismus und stellt das eigene Land als Opfer Chinas dar. Deshalb kommt es immer wieder zu antichinesischen Protesten in Hanoi und Saigon. Weil dabei oft auch regierungskritische Untertöne und Rufe nach Demokratisierung zu hören sind und wegen der wirtschaftlichen Abhängigkeit von China hatte sich die Regierung in Hanoi immer wieder darum bemüht, die antichinesische Stimmung im Zaum zu halten. Jedenfalls bis jetzt.

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