Familie

Das Spiel der Spiele wird 100 Jahre alt: Mensch ärgere Dich nicht!

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Das Spiel der Spiele wird 100 Jahre alt. Wir haben gelacht, geflucht und voller Freude die Pöppel umgehauen. Eine persönliche Erinnerung an unzählige Spieleabende.

Eines von 90 Millionen findet sich auch bei uns zu Hause. Die alte Kiste von anno dazumal ist immer noch da. Seit genau 100 Jahren gibt es nun in Deutschland schon „Mensch ärgere Dich nicht“, das Spiel der Spiele. Noch immer ist es ein Dauerbrenner. Für 100 Jahre und 82 Millionen Einwohner kommt mir die Verkaufszahl dieses Spiele-Schlagers noch nicht einmal besonders hoch vor. Aber die Spielbretter des Verlags „Schmidt Spiele“ halten nun mal ein halbes oder ganzes Leben lang oder noch länger.

Und die Männchen, die eigentlich Pöppel heißen, sind selbst dann nicht tot zu kriegen, wenn sie im Eifer des Gefechts mit dem Unterarm eines entnervten Spielers jäh vom Tisch gefegt werden und in die hinterste Ecke des Wohnzimmers fliegen. Irgendwie findet man sie immer.

Als Kinder haben wir das Brettspiel unendlich oft herausgeholt, bei jeder erdenklichen Gelegenheit. Wahrscheinlich nicht anders, als die drei Söhne des Spiel-Erfinders Josef Friedrich Schmidt, der seine aus Hutkarton und Holzklötzen gebastelte Idee 1907/1908 erst einmal in seiner Familie testete. Meine Eltern spielten, Freunde, Cousins und Cousinen, sogar mein Großvater, der eigentlich „Mühle“ präferierte.

Einfache Regeln, wenig Anspruch

Er behauptete jedes Mal, bei Mühle würden die strategischen Fähigkeiten des einzelnen deutlich mehr herausgefordert. Als passionierter Schachspieler musste er so denken. Aber da ich mit Spielen immer schon wenig am Hut und auf Schach nie wirklich Lust hatte, blieb es über Jahre bei „Mensch ärgere Dich nicht“. Das hat nämlich mehrere Vorteile: Die Regeln sind denkbar einfach, und es stellt keine zu hohen Ansprüche an den Intellekt.

Wenn ich verlor, konnte ich es auf den Würfel schieben oder maximal auf die eigene Disziplinlosigkeit, weil ich die gewürfelte Sechs mal wieder nicht dazu benutzt hatte, um mehr Männchen aufs Feld zu bringen, sondern um mit dem einzigen Läufer in Riesenschritten weiter voranzuziehen. Auch musste man sich nicht wie beim Schach mangelhaftes Abstraktionsvermögen eingestehen oder wie beim Skat erkennen, dass man einen grottenschlechten Spieler abgab, weil man nicht in der Lage war, aus einem mittelmäßigen Blatt etwas herauszuholen. Das konnten – aus meiner Sicht – sowieso immer nur meine Brüder.

Als kleine Kinder gewannen wir regelmäßig gegen die Erwachsenen, so wie bei „Memory“, bis uns irgendwann dämmerte, dass wir beim „Memory“ wirklich nicht zu schlagen waren, die Siege bei „Mensch ärgere Dich nicht“ allerdings dem Wohlwollen der Eltern und Großeltern geschuldet waren. Denen taten wir entweder leid – als wir ganz klein waren -, oder aber sie hatten schlicht keine Lust, sich nach dem Spiel aufgrund unseres Verdrusses über eine kassierte Niederlage noch ein paar Stunden lang beschimpfen zu lassen.

Je älter die Runde, je härter die Schlachten

Als wir älter wurden, kam es zu regelrechten Schlachten auf dem gelben Brett, in denen einer Runde die nächste folgte. Und mit jeder Runde gewann das Spiel an Fahrt. Es wurde bald im rasenden Tempo gewürfelt, gebrüllt, geschrien, gelacht. Die Schadenfreude entlud sich mitunter derart hemmungslos, dass selbst derjenige, der sich bei Rausschmissen zunächst provokant gelassen gab, nicht mehr an sich halten konnte. Irgendwann verlor auch er die Contenance und schleuderte mit hochrotem Gesicht seinem Killer das schlimme Wort entgegen: Du Ar…!

Das muss auch die Zeit gewesen sein, als wir die Regeln abwandelten, um dem Zufall einer gewürfelten Zahl zu noch gemeinerer, heimtückischerer Kraft zu verhelfen. Da durften die Männchen die erwürfelte Zahl sogar rückwärts gehen, je nachdem, was für den nächsten Rausschmiss opportun erschien. Ob die verwundeten Soldaten des Ersten Weltkriegs ähnlich findig waren, wissen wir nicht. Aber dass sie spielten, schon. Erfinder Schmidt war auf eine verblüffende Marketing-Idee gekommen, die dem anfangs wenig populären Spiel dann aber zum Durchbruch verhelfen sollte: Er ließ den Kriegsversehrten in den Lazaretten, als er mit seinem Spiel 1914 in die Massenproduktion ging, mehrere tausend Bretter zuschicken. Und die deutschen Soldaten liebten es.