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Vogelgrippe unter Beobachtung

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Panik in Hongkong: Eine Frau hat sich in China mit dem Virus H7N9 angesteckt. Wie gut hat sich der Erreger, der in Geflügelherden kursiert, schon an den Menschen angepasst?

In der vergangenen Woche haben die Gesundheitsbehörden in Hongkong Vogelgrippe-Alarm ausgelöst, nachdem sich eine 36 Jahre alte Haushaltshilfe aus Indonesien bei einem Besuch in China mit dem neuen Vogelgrippevirus H7N9 angesteckt hatte. Ihr Zustand ist kritisch. Die vierköpfige Familie, für die sie in Hongkong arbeitet, steht unter Quarantäne und zeigt mögliche Anzeichen einer grippalen Erkrankung. Der ausgelöste Alarm führt nun dazu, dass mehr Infektionskontrollen in den Krankenhäusern der Stadt gemacht werden, die Besuchszeiten in den Kliniken reduziert werden und die Hühnerställe und Märkte mit lebendem Geflügel gereinigt und desinfiziert werden. Rechtfertigt eine einzelne nachgewiesene Erkrankung in einer Metropole mit sieben Millionen Einwohnern diese Maßnahmen?

H7N9 ist nach H5N1 das zweite Vogelgrippevirus, das von den internationalen Behörden als potentielle Gefahr eingestuft wird. H7N9 ist im März zum ersten Mal im Osten Chinas aufgetaucht. Das Virus muss in den Wochen zuvor neu entstanden sein. Bis Ende Mai hatten sich nachweislich 132 Personen infiziert.

Beherztes Eingreifen

37 Männer und Frauen starben an der Infektion. Dann versiegte die Erkrankung erst einmal. Das hatte vor allem mit dem beherzten Eingreifen der chinesischen Behörden zu tun. Sie ließen im April 780 Geflügelmärkte schließen, die Tiere keulen und die Areale desinfizieren. Die Zahl der Neuerkrankungen ging daraufhin um 97 bis 99 Prozent zurück. Das berichtete die Zeitschrift „Lancet“ vor wenigen Wochen (doi:10.1016/S0140-6736(13)61904-2). Der wirtschaftliche Schaden durch diese Radikalkur wird allerdings auf rund acht Milliarden Dollar geschätzt. Im Oktober infizierten sich nachweislich wieder vier Personen in China. Bis heute sind 45 Patienten an einer H7N9-Infektion gestorben. Mit der Erkrankung in Hongkong ist das Virus nun auch in einer Metropole außerhalb des chinesischen Festlands angekommen.

Wie gefährlich ist H7N9? Christina Larson schreibt jetzt in „Science“, dass die bisher bekannten Fakten eher ein Anlass für Beschwichtigungen sind (Bd.342, S.1031). H7N9 ist ein Tiervirus. Die meisten Kranken haben sich wahrscheinlich beim engen Kontakt mit lebendem Geflügel angesteckt. Nur wenige scheinen sich bei kranken Angehörigen infiziert zu haben. In dieser Woche zeigen Ian Wilson und James Paulson vom Scripps Research Institute in La Jolla in „Science“, dass das neue Vogelgrippevirus den Menschen noch schlecht infizieren kann (Bd.342, S.1230). Die Virologen belegen dies anhand von Bindungsstudien und Röntgenstrukturanalysen. Zum Glück habe sich H7N9 noch nicht an den humanen Virus-Rezeptor angepasst, schreiben Wilson und Paulson in einer vom Scripps Research Institute herausgegebenen Erklärung. Weil frühere Veröffentlichungen eine solche Anpassung nahegelegt hätten, sei ein klares Statement nötig gewesen, so die Wissenschaftler weiter.

Lungenentzündung bei engem Kontakt

Nach der Sequenzierung der im Frühjahr sichergestellten H7N9-Proben war viel über eine gewisse Mutation spekuliert worden, die das Virus näher an menschliche Grippeviren heranrücken sollte. Alle Grippeviren entern ihren Wirt über Sialinsäure-Rezeptoren. Vogelgrippeviren bevorzugen allerdings eine andere Aufhängung für die Sialinsäure als humane Grippeviren. Vogelgrippeviren docken an Sialinsäuren an, die über eine Alpha-2,3-Verknüpfung an die Zellen montiert sind, menschliche Grippeviren bevorzugen eine Alpha-2,6-Verknüpfung. Beim Menschen ist die von den Vogelviren bevorzugte Aufhängung nur tief in der Lunge zu finden, nicht in der Nase, der Luftröhre oder den Bronchien. Vogelgrippeviren können bei engem Kontakt zwar eine Lungenentzündung hervorrufen, bleiben aber auch in der Lunge stecken. Richtig gefährlich werden sie für den Menschen nur dann, wenn sie auch an die Sialinsäure-Rezeptoren mit einer Alpha-2,6-Verknüpfung in den oberen Atemwegen andocken können. Wilson und Paulson zeigen nun in „Science“, dass H7N9 immer noch eine starke Präferenz für die Alpha-2,3-Verknüpfung hat und an die Alpha-2,6-Verknüpfung nur schwach bindet. Die beiden Wissenschaftler sind deshalb auch der Ansicht, dass H7N9 in seiner jetzigen Form keine Pandemie auslösen kann. Allerdings sollte seine Weiterentwicklung sorgfältig beobachtet werden. Diese Aufgabe wird aber dadurch erschwert, dass die H7N9-Infektion den Vögeln nicht anzumerken ist. Anders als bei H5N1 werden die Tiere durch H7N9 nicht krank und verenden auch nicht. Daher kann man einem Geflügelbestand nicht anmerken, ob die Tiere mit H7N9 infiziert sind oder nicht. Wer Geflügel hält oder für den Verzehr kauft, bleibt also über eine mögliche Infektion im Ungewissen.

Weil die Wissenschaftler nicht wissen, welche genetischen Änderungen nötig sind, damit H7N9 an die Alpha-2,6-verknüpften Sialinsäuren der oberen Atemwege andocken kann, schlägt der niederländische Virologe Ron Fouchier vom Erasmus Medical Center in Rotterdam vor, das Virus im Labor anzuschärfen. Ähnliche Experimente hat Fouchier auch schon mit H5N1 gemacht. Diese Experimente stehen weltweit in der Kritik, weil viele befürchten, dass die im Labor aufgerüsteten Viren von Bioterroristen für einen Angriff auf die Weltbevölkerung genutzt werden könnten.

Ein Verbot für Märkte?

In China wird derzeit darüber diskutiert, ob es in Zukunft noch Märkte mit lebendem Geflügel geben sollte. Ein permanentes Schließen scheine sich derzeit aber niemand vorstellen zu können, schreibt Christina Larson in „Science“. Zu tief sei in China die Tradition verwurzelt, lebendes Geflügel zu kaufen und keine abgepackte Ware. Ohne Pandemie wären chinesische Verbraucher wohl nie bereit, eine permanente Schließung der Geflügelmärkte zu akzeptierten, zitiert Larson den stellvertretenden Generaldirektor des chinesischen Centers for Disease Control, George Gao.

Derweil hat ein weiteres Vogelgrippe-virus die internationale Bühne betreten. Die Zeitschrift „Lancet Respiratory Medicine“ berichtet in ihrer Dezember-Ausgabe, dass sich eine zwanzig Jahre alte Frau aus Taiwan im Mai mit H6N1 angesteckt hatte (doi: 10.1016/S2213-2600 (13)70221-2). Dieses Virus ist bisher nur von Vögeln bekannt. Die Frau aus Taiwan ist der erste Mensch mit einer H6N1-Infektion.