
Biologen basteln an Keimen, die extrem gefährlich sind. Soll man das verbieten? Wer haftet, wenn sie entkommen? Ein Gespräch mit dem Völkerrechtler Rüdiger Wolfrum.
Professor Wolfrum, Forscher haben Viren erzeugt, die es in der Natur so nicht gibt. Jetzt wird über Verbote diskutiert. Der Deutsche Ethikrat will sich demnächst zum Thema äußern. Verfolgen Sie die Diskussion?
Ja, natürlich. Vor vielen Jahren habe ich als Vizepräsident der DFG das Gutachten über die Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen geschrieben. So kam ich als Völkerrechtler zum Thema möglicher Einschränkungen von Forschungsfreiheit.
Halten Sie Verbote auch in Bezug auf Viren für gerechtfertigt?
Grundsätzlich: Ich bin Jurist, nicht Virologe. Ich denke, man sollte unterscheiden, worüber wir reden. Meinen wir damit ein Verbot, bestimmte Dinge überhaupt zu erforschen? Oder das Verbot, bestimmte Methoden anzuwenden? Oder zielen wir auf ein Verbot, bestimmte Ergebnisse zu veröffentlichen oder zu patentieren?
Zumindestens in Deutschland dürfen menschliche embryonale Stammzellen nicht aus Embryonen gewonnen werden. Das ist ein klares Forschungsverbot.
Genau. Aber das ist kein Denkverbot, sondern ein Verbot bestimmter Methoden der Gewinnung von Stammzellen.
Hilft diese Unterscheidung auch bei Laborviren, die eine weltweite Pandemie auslösen können?
Ich denke schon. Die erste Frage lautet: Sollte es Forschern untersagt werden, darüber nachzudenken, wie man Viren verändern und auch gefährlicher machen kann, wenn es dem Verständnis dient, welche Eigenschaften Erreger benötigen, um auf natürlichem Wege eine Pandemie auszulösen? Das wäre tatsächlich ein Denkverbot. Forschern sollte man das Denken aber generell nicht verbieten.
Das scheint Konsens. Aber der Niederländer Ron Fouchier will weiterhin neue Viren erschaffen.
Die Forschungsfreiheit endet nach meinem Dafürhalten dann, wenn natürliche Vogelgrippeviren experimentell so verschärft werden, dass sie erst zu einer Gefahr für den Menschen werden können. In meinem Verständnis handelt es sich dabei um eine neuartige Methode, womöglich sogar um erste Anwendungen von Ergebnissen.
Methoden und Anwendungen dürfen also eingeschränkt werden?
Es geht immer um die Abwägung von Grundrechten. Die Beschränkung der Forschung an Stammzellen war möglich, weil die Menschenwürde in unserer Verfassung absolut über allem steht. Darum geht es bei den Virenexperimenten zunächst nicht. Aber man sieht an diesem Beispiel auch sofort, warum Forschung nicht völlig frei sein kann. Das Risiko, dass diese Vogelgrippeerreger nach Experimenten freigesetzt werden, ist relativ hoch. Solche Arbeiten wären in Deutschland allenfalls in Hochsicherheitslabors der Stufe BSL-4 möglich.
Ron Fouchier hatte kein BSL-4-Labor, die Behörden in den Niederlanden waren der Meinung, BSL-3 plus reiche.
Auch das ist eine Einschränkung der Forschung.
Dürfen die Erkenntnisse dieser Forschung nun überall angewendet werden? Dürfen sie zum Beispiel patentiert werden?
Hier greift meiner Ansicht nach die ethische Generalklausel des Patentrechts. Ich würde kategorisch bestreiten, dass solche künstlichen Viren patentiert werden dürfen, und damit wäre auch ein Anreiz, sie zu schaffen, verringert.
Die Influenzaforscher argumentieren, sie wollten die Menschheit nur schützen.
Das mag sein. Aber es kommt neben Fragen der Biosicherheit ein weiteres Risiko hinzu. Wenn ich von möglichen Anwendungen spreche, meine ich, dass ein angeschärftes Virus nicht nur in der Impfstoffentwicklung verwendet werden kann, sondern natürlich auch für Zwecke der biologischen Kriegsführung. Mit Milzbrandbakterien ist das in der Vergangenheit bereits passiert.
Damit sind wir beim Dürrenmatt-Dilemma: der doppelten Verwendbarkeit von wissenschaftlichen Erkenntnissen, dem sogenannten Dual-Use. Ist ein gefährliches Wissen erst in der Welt, ist es nicht mehr rückholbar. Bei den H5N1-Viren von Fouchier wurde sogar schon die wissenschaftliche Publikation zum Anwendungsfall, weil genetisches Wissen, anders als das, was man zum Bau von Atomwaffen braucht, immateriell ist.
Eben. Man braucht für die Anwendung bestimmter Erkenntnisse der Virologie im Grunde nur die Buchstabenfolge des Erbgutes des Erregers. In der Max-Planck-Gesellschaft haben wir über solche Risiken intensiv diskutiert. Wir dachten zunächst weniger an Viren, sondern an Waffen, an Giftgas und Ähnliches. Seit 2010 gibt es Regeln der Max-Planck-Gesellschaft zum verantwortlichen Umgang mit Forschungsfreiheit und -risiken.
Und wie lauten die?
Unter anderem müssen bestimmte Informationen über Forschungsergebnisse zunächst geheim gehalten werden. Wenn ein MPG-Wissenschaftler Dual-Use-Forschung betreiben will, entscheidet letztlich der Präsident der MPG, was geschehen darf und was nicht.
Was passiert, wenn schon die Veröffentlichung eines Ergebnisses den Missbrauch außerhalb des eigenen Labors zur Folge haben kann?
Dann müsste die Publikation verhindert oder so umgeschrieben werden, dass Dritten die Herstellung entsprechender Viren nicht möglich ist. Ob dieser Fall vorliegt, darf ein Forscher nicht selbst entscheiden, hier endet ebenfalls seine Forschungsfreiheit.
Wer entscheidet stattdessen?
Wenn Ron Fouchier bei der Max-Planck-Gesellschaft angestellt gewesen wäre, hätte er seine Publikation vorher einer Ethik-Kommission vorlegen müssen, die derzeit von dem Strafrechtler Ulrich Sieber geleitet wird.
Wann genau muss ein Forscher diese Kommission informieren?
Wie gesagt: Die Fragestellung des Forschers ist frei. Schon die Methode aber unterliegt womöglich einer Regulierung. Selbst wenn ein Wissenschaftler mit der entsprechenden Genehmigung ein übertragbares Vogelgrippevirus erzeugt hätte und die Ergebnisse publizieren will, ist er in seiner Wahl nicht mehr frei. Denn er weiß ja dann, welches Virus er in Händen hält.
Hätten Sie die umstrittene Publikation im Fall Fouchier zur Veröffentlichung freigegeben?
Gute Frage. Ich bin kein Virologe. Aber ich hätte wahrscheinlich gesagt: nicht publizieren. Oder wenigstens in einer Form, in der man die Ergebnisse nicht klar erkennt. Es müssen ja nicht alle Schritte konkret beschrieben werden.
Nun ist das Rezept bekannt. Die Influenzaforscher haben das Moratorium für beendet erklärt. Wenn der Nutzen doch aber größer als das Risiko ist?
Natürlich muss man das abwägen. Aber die Risiken sind in diesem Falle gigantisch. Wir reden hier über die Herstellung von Viren, die von Terroristen sehr einfach eingesetzt werden könnten. Oder die schlicht nach einem Laborunfall oder durch kriminelle Handlungen freigesetzt werden könnten.
Das sei unwahrscheinlich, sagen die Befürworter. Und verweisen wieder auf den Nutzen.
Seien wir ehrlich: Was wurde uns bei den embryonalen Stammzellen damals nicht alles versprochen? Heilung von Parkinson, Alzheimer und so weiter. Was ist dabei herausgekommen? Die Versprechungen in der Medizin nehme ich schon ernst. Aber sie sind nicht gleichzusetzen mit Gewissheiten. Selbst die Beteiligten räumen das ja ein.
Nehmen wir den hypothetischen Fall, ein hochpathogener Erreger entkäme aus einem Hochsicherheitslabor am Robert-Koch-Institut in Berlin. Wer haftet dann?
Wenn von dort ein Pandemievirus freikäme, wäre sicher eine Zuordnung zum deutschen Staat möglich. Genauso läge der Fall bei einer Großforschungseinrichtung wie den Helmholtzzentren. Sollte der Ernstfall eintreten, haftet der Staat fast automatisch, sobald grenzüberschreitende Schäden eintreten. Es reicht schon, wenn er es unterlassen hat, diese von vornherein auszuschließen.
Unbegrenzt?
Es gäbe keine Haftungsgrenze.
Gilt das nur bei gentechnisch hergestellten Erregern oder auch beim Entkommen bekannter Erreger wie dem ausgerotteten Pockenvirus?
Die Haftung gilt für jedes völkerrechtswidrige Verhalten.
Gibt es andere Bereiche, wo das ähnlich geregelt ist?
In der Antarktis gilt eine noch viel strengere Regelung. Wenn dort die deutsche Neumayer-Station Schäden an der Umwelt verursachen würde, haften das Alfred-Wegener-Institut und die Oberaufsicht, also das Bundesforschungsministerium. Im Grunde könnte jeder dort private Aufräumarbeiten durchführen und alle Kosten der Bundesrepublik in Rechnung stellen. In der Antarktis gilt nicht mal mehr der Einwand höherer Gewalt. Wer dort Müll hinterlässt, der haftet.
Noch mal zurück zu den Viren: Ein Forscher publiziert die genetische Sequenz eines im Labor erzeugten Pandemievirus. Wenig später wird der Erreger in einem anderen Genlabor anhand des veröffentlichten Codes nachgebaut. Dieser Erreger entkommt und löst einen weltweiten Seuchenzug aus. Wer haftet?
Ganz einfach: Wenn die Regeln so aussehen, dass die Forschungsergebnisse vor der Publikation einer Kommission hätten vorgelegt werden müssen, und hätte der Forscher gegen diese Regel verstoßen, dann würde die Haftung des Betreibers fast unmittelbar ausgelöst.
Heißt das, wenn ein Labor auf die Idee käme, ein H5N1-Virus wie das von Ron Fouchier nachzubauen und dabei eine Pandemie auslösen würde, dann stände die Universität Rotterdam in der Haftung?
Ja, wenn das Virus wirklich nach Lektüre der Publikation nachgebaut werden kann. Aber natürlich nur dann, wenn der Forscher nicht alle einschlägigen Regeln befolgt hat. Deswegen ist es ja absolut entscheidend, alle Wissenschaftler auf entsprechende Verhaltensregeln zu verpflichten.
Die werden sich bedanken.
Nun, die Regeln werden von den Forschern meist als Einschränkung ihrer Freiheit empfunden. Aber es ist genau andersherum. Ein solcher Kodex dient dem Schutz der Wissenschaftler. Ein Beispiel: Nehmen wir an, er hält sich an alle Regeln, ihm wird aber sein Manuskript gestohlen und dann mit den Ergebnissen Missbrauch betrieben. In diesem Fall haftet er nicht. Solange sich die Forscher an das halten, was in den Regeln festgeschrieben ist, bleiben sie auf der sicheren Seite.
Was würden Sie nun dem deutschen Ethikrat empfehlen?
Ich denke, man sollte die drei erwähnten Stufen möglicher Einschränkungen der Forschungsfreiheit sorgfältig unterscheiden und sich jeweils fragen, wo die Grenzen liegen. Ich persönlich halte Denkverbote nicht für legitim, bei der Methodenentwicklung kann es selbstverständlich Einschränkungen geben. Und drittens kann vor einer Publikation eine Prüfung nötig werden.
Und welche Kriterien könnte eine Ethikkommission in diesem Fall anlegen?
Entscheidend bleibt die Abwägung: Welchen möglichen Nutzen bringt die Veröffentlichung, welche möglichen Gefahren würde sie auslösen? Für die Impfstoffforschung mit künstlich erzeugten H5N1-Viren braucht es zum Beispiel nicht zwingend eine Veröffentlichung in Nature oder Science.
Rüdiger Wolfrum, geboren 1941, war Direktor am Max-Planck-Institut für Völkerrecht und Präsident des Internationalen Seegerichtshofs.
Die Fragen stellte Volker Stollorz.
