
Er schmeckt nach Trauben und Rosinen und war bisher alles andere als ein cooles Zeitgeistprodukt. Doch gerade erlebt der südamerikanische Weinbrand seinen Aufstieg in deutschen Bars.
Vor den alten Hallen des ehemaligen Berliner Postbahnhofs, eingeklemmt zwischen Gleisdreieck und Landwehrkanal, warten geduldig Hunderte Neugierige auf Einlass. Den meisten sieht man an, dass die letzte Nacht äußerst kurz war. Gegen die Müdigkeit helfen Zigaretten. Versammelt haben sich junge Menschen aus Friedrichshain, vom Prenzlauer Berg und aus Mitte. Doch nicht nur: Es wird Spanisch, Italienisch, Russisch, Polnisch und natürlich Englisch in allen möglichen Varianten gesprochen. Szeneschick überwiegt: schmal geschnittene Anzüge, kurze Röcke, großgemusterte Jacketts, Cocktailkleider im Vintage-Look. Willkommen auf dem 7. Bar Convent Berlin.
Aber nicht nur Partywütige, Clubgänger und Barflys haben sich vor den Toren des alten Bahnhofs versammelt, sondern auch Fachbesucher, Vertreter der Getränkeindustrie und Bartender aus der ganzen Welt. Denn auch die Barszene kennt ihre Moden. Und wo könnte man einem Trend besser nachspüren als hier? Zumal eine Trendspirituose im Mittelpunkt des Interesses steht: Pisco, die Spezialität des diesjährigen Gastlandes Peru.
Pisco ist ein Weinbrand. Anders als europäische Weinbrände wie Cognac oder Armagnac wird Pisco nicht aus Wein, sondern aus vergorenem Traubenmost hergestellt. So erhält er seine charakteristische, an Trauben und Rosinen erinnernde Grundaromatik. Wie Cognac durchläuft der Pisco nur eine Brennstufe, was ihm geschmacklich eine gewisse Robustheit verleiht und von mehrfach destillierten Zeitgeistprodukten unterscheidet. Gelagert wird der Pisco in Stahl- oder Glastanks, was ihm eine für Weinbrände untypische Klarheit ebenso belässt wie charakteristische Aromen. Dem Gaumen schmeichelnde Holznoten, wie man sie von Rum, Whiskey oder Cognac kennt, findet man indes beim Pisco nicht. Und das ist auch ein Grund dafür, dass der Pisco in Amerika seit Jahren größere Marktanteile erobert und auch in deutschen Bars immer häufiger anzutreffen ist.
Streit gibt es in Südamerika darüber, wo der einzig wahre und echte Pisco hergestellt wird – in Chile oder doch in Peru. Beide Piscos unterscheiden sich erheblich – vor allem, was ihre Herstellungsverfahren angeht: Anders als bei der Produktion seines chilenischen Pendants darf bei der Herstellung des peruanischen Pisco weder Hefe noch Wasser oder Zucker zugesetzt werden. Diese Vorschriften sind strenggenommen noch keine Qualitätsmerkmale. Schließlich werden viele hochwertige Brände, manche Rums etwa oder Whisky, mit Wasser trinkfähig gemacht. Doch sorgt das peruanische Reinheitsgebot für die typischen Eigenarten des heimischen Piscos.
Zu diesen gehört auch, dass unterschiedliche Jahrgänge eine eigene Charakteristik entwickeln können. Das liegt an der Vergärung mit ausschließlich natürlichen Hefen. Aus diesem Grund muss nach dem „Reglamento de la Denominación de Origen de Pisco“ auf jeder Flasche der entsprechende Jahrgang angegeben werden.
Schon die ersten Verkostungen an der zentralen Pisco-Bar machen deutlich, dass sich die Abwechslung, die diese Spirituose bietet, vor allem den acht Rebsorten verdankt, die zu ihrer Herstellung verwendet werden dürfen: vier sogenannte nichtaromatische (Quebranta, Negra Criolla, Mollar und Uvina) und vier aromatische Sorten (Italia, Torontel, Moscatel, Albilla). Der Pisco, der aus aromatischen Sorten destilliert wurde, ist meist fruchtiger und häufig ausgeprägter im Geschmack.
In all diesen Reben spiegelt sich eine eigenständige peruanische Weinkultur, wie Ana Rosa Trelles Santana de Elflein, Importeurin des Pisco-Produzenten „Viñas de Oro“, erklärt: „Mit Ausnahme des Moscatel sind alle Reben in Europa ausgestorben, oder sie haben sich durch Mutationen verändert.“
Zusätzliche Abwechslung bieten die drei Pisco-Arten (Puro, Acholado und Mosto Verde), nach denen der Weinbrand klassifiziert wird. Ein Puro wird aus einer Rebsorte hergestellt. Der Acholado hingegen ist ein Blend. Bei dem Mosto Verde, den es sowohl als Puro als auch als Blend gibt, wird die Fermentation des Mostes gestoppt. Dadurch bleibt eine Restsüße erhalten, die den Brand fruchtiger und intensiver macht.
Deutlich wird die aromatische Vielfalt des Pisco durch einen Vergleich des 2011er Quebranta und des 2009er Moscatel des Hauses „Oro“. Gibt sich der Quebranta als charakteristischer Pisco Puro, der aufgrund der verwendeten Rebsorte mit einem dezenten Bukett aus grünen Äpfeln und Karamellnoten daherkommt, die sich im Mund mit leichten Anklängen an Pflaume und Dörrobst verbinden, so beeindruckt der Moscatel geruchlich durch ausgeprägte florale Eindrücke: Noten von Orangenschalen und Rosinen. Dies alles verbindet sich im Gaumen zu einem komplexen und harmonischen Gesamtbild. Ein weicher, vollmundiger und nachhaltiger Pisco der Extraklasse.
Seit 2011 auf dem deutschen Markt erhältlich ist der von der Bodega San Isidro hergestellte „Pisco Barsol“ – lange Jahre Perus größte Exportmarke. Ihr Acholado, ein Blend aus Quebranta, Italia und Torontel, entfaltet ein Bukett aus Trockenfrüchten mit leicht floralen Untertönen. Dieser Eindruck verstärkt sich im Mund noch und wird ergänzt durch leicht würzige Anklänge. Der Mosto Verde Italia von Barsol hingegen ist deutlich fruchtbetonter. Dominieren in der Nase noch Eindrücke von Fallobst, so werden diese Aromen auf der Zunge durch starke Akzente von Rosine und leichte Zitrusnoten ergänzt.
Bemerkenswert ist auch der „Pisco Portón“, ein für den amerikanischen Markt kreiertes Marketingprodukt mit einem finanzkräftigen texanischen Finanzier im Hintergrund, das dennoch durch seine Qualität überzeugt. Der Portón ist eine Misto Verde aus Quebrante, Albilla und Torontel mit dem Geruch von tropischen Früchten, die sich im Mund mit Aromen von Zitrusfrüchten und Dörrobst verbinden. Weich, mild und anhaltend im Abgang. Ein sehr kosmopolitischer Pisco.
Einen gewissen Kontrast hierzu bieten die Produkte der Bodega „Torre de la Gala“, die auf dem Bar Convent von Ricardo Carpio, Inhaber der „Piscobar“ in Limas Stadtteil Miraflores, vorgestellt werden. Insbesondere der 2012er Torontel überzeugt durch sein fruchtig-weiniges Bukett, das sich im Mund mit Lakritz- und Zitrusnoten verbindet und einen nachhaltigen, vollen Abgang bietet.
Für Cocktails bevorzugt Carpio jedoch den Italia, dessen 2011er Jahrgang etwas zurückhaltender, aber mit deutlichen Traubenakzenten daherkommt. Das macht sich sowohl bei dem von Carpio gemixten „Capitan“ – einer Art „Manhattan“ auf Pisco-Basis – als auch bei dem sehr erfrischenden und angenehmen „Chilcano“ bemerkbar. Zwei Drinks, die sehr schön illustrieren, dass man mit Pisco weitaus mehr anfangen kann, als einen „Pisco-Sour“ herzustellen. Aber das hat das Berliner Szenepublikum vermutlich schon geahnt. Und so waren die zur Verkostung ausgestellten Probierflaschen auffallend schnell geleert.
