
Mit dem Besuch bei Whistleblower Edward Snowden hat Hans-Christian Ströbele einen echten Coup gelandet. Der linke Grüne ist ein Meister der Selbstinszenierung.
Nach knapp sechzig Jahren hat es Hans-Christian Ströbele seinem Onkel gleichgetan, einem berühmten deutschen Radiomoderator. Jener Herbert Zimmermann hatte 1954 in Bern ins Mikrofon geschrien: „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt – Tooor, Tooor, Tooor!“ Deutschland war überraschend Fußballweltmeister geworden, Zimmermann war berauscht und mit ihm Millionen Deutsche, die neun Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs endlich mal wieder stolz sein konnten auf ihr Land.
Neffe Hans-Christian, der mittlerweile 74 Jahre alt ist, hat heute noch mit seinen Geschwistern die Rechte an der Reportage Zimmermanns. Den Stolz auf Deutschland hat er in seiner langen Zeit als Anwalt und Politiker nicht in den Vordergrund seiner Rhetorik gestellt. Vielmehr entschied er sich dafür, RAF-Terroristen wie Andreas Baader als Wahlverteidiger zur Seite zu stehen.
Über das Toreschießen kann Ströbele sich allerdings mindestens ebenso freuen wie sein Oheim. Vor allem, wenn er selbst getroffen hat. Das wurde selten so deutlich wie am Freitagmittag, als die Bundespressekonferenz Ströbeles Stadion war, bis über den Rand gefüllt mit Zuschauern, als wäre die Kanzlerin aufgelaufen. Ströbele selbst spielte Rahn und Zimmermann in einer Person.
Keine Schwierigkeiten mit Widersprüchen
Aus dem Hintergrund, ganz im Stillen, hatte er über Monate einen Besuch bei Edward Snowden in Moskau vorbereitet. Alle Beteiligten hatten dichtgehalten, so dass am Donnerstag, als Ströbele Snowden traf, die Überraschung perfekt war. Während Ströbele am Freitag vor mehr als zwanzig Kameras und zweihundert Journalisten seinen Auftritt genoss, war sein Gesichtsausdruck ein einziger Jubelschrei: „Tooor, Tooor, Tooor!“
Mit seinem Instinkt für publikumswirksame Auftritte hatte der zum linken Flügel der Grünen gehörende Bundestagsabgeordnete eines rasch begriffen: Snowden ist derzeit auf der weltweiten Prominentenskala die unbestrittene Nummer eins, klar vor Sebastian Vettel, Barack Obama und dem Papst. Mit dem Label „der Mann, der Edward Snowden traf“ würde er nicht nur in der deutschen Politik zum Star werden.
Ströbele in der Bundespressekonferenz
Ströbele feierte den ehemaligen amerikanischen Geheimdienstmann, der so großzügig aus dem Innenleben der NSA berichtet, genau dafür: dass er sich über alle Geheimhaltungsgebote hinwegsetzt und die Welt endlich mit der ganzen Wahrheit über die Abhöraktivitäten der Vereinigten Staaten versorgt. Als Ströbele dann gefragt wurde, was er in seinem mehrstündigen Gespräch mit dem Whistleblower erfahren habe, was es inhaltlich also Neues gebe, war ganz schnell Schluss mit dem Geheimnislüften. Ob volle Offenheit gut oder böse ist, scheint für Ströbele keine Prinzipienfrage zu sein, sondern ausschließlich davon abzuhängen, wer welches Geheimnis lüftet und dabei wem schadet oder nützt. Mit Widersprüchen hatte er noch nie Schwierigkeiten.
Bundesregierung will mit Snowden sprechen
Den beeindruckendsten Beleg dafür, dass er widersprüchliche Ziele in Einklang bringen kann, solange es seinen Interessen dient, lieferte Hans-Christian Ströbele Ende des Jahres 2001. Nach den Terroranschlägen des 11. September zog Amerika in den Krieg gegen die Taliban.
Der damalige Kanzler Gerhard Schröder wollte, dass die Bundeswehr mitzieht. Acht Grünen-Politiker stemmten sich kurz vor der Abstimmung noch gegen dieses Ansinnen, einer von ihnen war Ströbele. Weil Schröder wusste, dass er keine eigene rot-grüne Mehrheit für den Bundeswehreinsatz zusammenbekommen würde, falls alle acht Grünen mit Nein stimmten, verband er die Sachfrage kurzerhand mit der Vertrauensfrage. Von jenem Moment an wussten die acht Widerstrebenden von den Grünen, dass sie das vielzitierte rot-grüne Projekt nach nur drei Jahren versenken würden, blieben sie hart.
In Jeans und Pullover
Ströbeles Verhalten war an Eindeutigkeit nicht zu überbieten. Er wollte partout verhindern, dass die Regierung zerbricht. In dieser Hinsicht stand er Schröder in nichts nach. In internen Gesprächen ließ er daran keinen Zweifel. Gleichzeitig legte er sich vor Kameras und Mikrofonen (die mochte er schon damals sehr!) bretthart fest, er werde im Bundestag am 16. November mit Nein stimmen. Fortan bearbeitete er diejenigen in der kleinen Gruppe, von denen er sich erhoffte, sie könnten den Kampf gegen ihre schweren Zweifel an dem Militäreinsatz so entscheiden, dass sie sich zu einem Ja durchringen. Da agierten der grüne Außenminister und Oberrealo Martin Joseph Fischer und das selbsternannte linke Gewissen der Partei Ströbele genau gleich. Die Sache gelang bekanntlich im Sinne der Machtpolitiker.
Es fanden sich vier Kriegsgegner, die zustimmten. Ströbele stimmte mit Nein, die rot-grüne Koalition als Bühne blieb ihm erhalten. Vielleicht ahnte er da schon, dass er die Rolle als linker Kriegsgegner bald brauchen würde, um seine politische Existenz zu retten. Denn im Januar 2002 stand er politisch auf wackeligen Beinen. Ausgerechnet der grüne Superrealo Werner Schulz verdrängte ihn von einem aussichtsreichen Platz auf der Berliner Landesliste für die Bundestagswahl im Herbst des Jahres. Ströbele bewies Wagemut und bewarb sich um das Direktmandat im Wahlkreis Kreuzberg-Friedrichshain.
In Jeans und Pullover fuhr er mit dem Fahrrad kreuz und quer durch den Wahlkampf. Er versuchte auf die traditionelle Methode, seine Popularität zu steigern. Er spielte sich als Rebell in den eigenen Reihen auf. Sein Slogan hieß damals: „Ströbele wählen heißt Fischer quälen.“ Diese Masche konnte nur funktionieren, solange Fischer Außenminister war. Sich an einem nach drei Regierungsjahren in die Opposition zurückkatapultierten Ex-Promi zu reiben hätte kaum Funken geschlagen. Der Plan ging auf. Zur allgemeinen Überraschung wurde Hans-Christian Ströbele als erster Grüner direkt in den Deutschen Bundestag gewählt. Dieses Kunststück konnte er seither bei jeder Wahl wiederholen.
An der Grünen-Spitze hielt Ströbele nur kurz durch
Ströbele ist weit über die Grenzen Berlins hinaus bekannt, nicht nur bei Grünen-Sympathisanten. Zumindest für diejenigen unter den Wählern, denen die einstige Anti-Parteien-Partei zu weit von links in die Mitte gerutscht ist, dürfte er ein Argument sein, die Stimme doch noch einmal den Grünen zu geben. Obwohl er gern gegen das Parteiestablishment zu Felde zieht, um seinen eigenen Ruf zu pflegen, hilft er also dem ganzen Verein, an dessen linkem Rand er herumturnt.
Einmal war Ströbele sogar Vorsitzender der Grünen, also in der Gesamtverantwortung. Er hielt nicht mal ein Jahr durch. Im Juni 1990 war er gewählt worden. Die Zeichen standen damals nicht gut für die Öko-Partei. Am Ende des Jahres scheiterten die Westgrünen bei der Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde. Auch für Ströbele lief es schlecht. Der Friedenskämpfer beteiligte sich an der Diskussion über den Irak-Krieg.
Mit einer Delegation der Grünen reiste er im Februar 1991 nach Israel. In der „Jerusalem Post“ erschien ein Interview des Parteisprechers, wie die Vorsitzenden damals hießen. Ströbele antwortete darin auf die Fragen des Journalisten Henryk M. Broder. Es ging um einen möglichen Zusammenhang zwischen Angriffen des Irak auf Israel und der Palästina-Politik Israels. Ströbele sagte: „Die irakischen Raketenangriffe sind die logische, fast zwingende Konsequenz der Politik Israels.“ Broder fragte nach, ob also Israel selbst schuld daran sei, dass es mit Raketen beschossen würde. Ströbele wiederholte seine Auffassung. Im Vorstand der Grünen sorgte das für mächtig Streit. Ströbele trat zurück. Nicht immer hat er mit Auslandsreisen so viel Glück wie mit seinem jüngsten Abstecher nach Moskau.
