
Von Wien nach Palo Alto: Ohne Carl Djerassi hätte es keine sexuelle Revolution gegeben. An diesem Dienstag wird der vielfach geehrte Chemiker und Schriftsteller neunzig Jahre alt.
Auch in diesem Jahr blieb der Ruf aus Stockholm aus. Dabei wird Carl Djerassi, der in Wien geborene Stanford-Professor, seit Jahrzehnten als Kandidat für den Chemie-Nobelpreis gehandelt. Vor gut sechzig Jahren hat er aus Yams-Wurzeln die hormonelle Grundlage für die „Pille“ entwickelt, die die sexuelle Revolution ermöglichte. Bald darauf synthetisierte er das Kortison, machte bei der Schädlingsbekämpfung wichtige Entdeckungen und entwickelte Methoden zum Nachweis von Heroin im Blut. Auf 100 Patente brachte er es, erhielt alle wichtigen Preise seines Fachs und 31 Ehrendoktorhüte.
Das einundzwanzigste Ehrendoktorat kam 2009 von der kulturwissenschaftlichen Fakultät der TU Dortmund für seine literarische Tätigkeit. Denn er versucht sich seit 1983 als Romancier und bezeichnet sich heute hauptberuflich als Schriftsteller und Bühnenautor. Schon Djerassis erster Roman, „Cantors Dilemma“, erschien in dieser Zeitung 1991 in Fortsetzungen. Erzählt wird kenntnisreich, mit Witz, Spannung und einer Prise Häme vom dornenreichen Weg eines amerikanischen Zellbiologen zum Nobelpreis. Auch das nachfolgende „Bourbaki-Gambit“ illustrierte den Kampf um Anerkennung in der Wissenschaft. Darin ist viel Autobiographisches.
Unter besonderer Anerkennung
Die Literatur gibt dem Multitalent die Möglichkeit der „Autopsychoanalyse“ und der eleganten Sublimierung von Enttäuschungen. Mit viel Selbstironie schildert er in seiner gerade erschienenen „allerletzten“ Autobiographie „Der Schattensammler“, wie er 1983 ein allererstes Romanmanuskript „aus Rache“ verfasste, aber nie veröffentlichte, als ihm seine spätere dritte Ehefrau, die Literaturprofessorin Diane Middlebrook, kurzfristig wegen eines anderen davonlief. Dort berichtet er auch über seine Suche nach jüdischer Identität und die Entwicklung seiner Paul-Klee-Sammlung. Inzwischen pendelt der Workaholic zwischen seinen Wohnsitzen San Francisco, London und Wien.
An diesem Dienstag feiert Carl Djerassi seinen neunzigsten Geburtstag – mit einem Besuch des „Rosenkavaliers“ in der Wiener Staatsoper. Und dann nimmt er in der Frankfurter Goethe-Universität seinen zweiunddreißigsten Ehrendoktorhut entgegen, vom Fachbereich Biochemie, Chemie und Pharmazie, „unter besonderer Anerkennung der gesamten Lebensleistung als Wissenschaftler, Künstler und Autor“.
