
Die Amerikaner sind besorgt über den Ärger im Ausland. Der „USA Freedom Act“ soll die NSA-Tätigkeiten einhegen. Doch im Einzelnen ist vieles umstritten.
Die Rebellen wollten unbedingt die Ersten sein. Am Dienstag brachten der demokratische Senator Patrick Leahy und der republikanische Abgeordnete Jim Sensenbrenner den ersten umfassenden Gesetzentwurf zur Einhegung der National Security Agency (NSA) ein – zum Verdruss ihrer Kongresskollegen in den Geheimdienstausschüssen, die der Sache mehr Zeit geben wollen. Mit verschmitzter Miene sagen die Autoren seit Wochen den Namen ihres Kindes auf, das sie am Dienstag offiziell vorstellten: „Gesetz zur Vereinigung und Stärkung Amerikas durch die Verwirklichung von Rechten und die Beendigung von Lauschangriffen, Schleppnetz-Sammlung und Online-Überwachung“. Das ist auch im Englischen ein unhandlicher Titel – bis man ihn zur Abkürzung schrumpft: Leahy und Sensenbrenner wollen den Kongress für einen „USA Freedom Act“ gewinnen.
Die erfahrenen Volksvertreter, beide im achten Lebensjahrzehnt, kennen die Tricks. Schließlich waren sie es maßgeblich, die in den Wochen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in einem überparteilichen Kraftakt das „Gesetz zur Vereinigung und Stärkung Amerikas durch die Bereitstellung angemessener sowie für die Abstellung und Behinderung des Terrorismus erforderlicher Werkzeuge“ verfassten. Es ging, ebenfalls dank gut sortierter Anfangsbuchstaben, als „USA Patriot Act“ in die Geschichte ein und öffnete die Tür zur präzedenzlosen Aufrüstung der Spähdienste.
Leahy und Sensenbrenner sind sich heute wieder einig: Diese Tür wurde wesentlich weiter aufgestoßen, als sie es sich damals ausgemalt oder der Kongress beabsichtigt hatte. Ihr „Freedom Act“ soll nun alle Schlupflöcher im Patriot Act und dem Gesetz zur Auslandsspionage schließen, durch welche die NSA ihre Fangnetze ausgeworfen hat, um massenweise die Telefon-Verbindungsdaten, E-Mails oder digitalen Adressbücher unbescholtener Amerikaner zu sammeln. Leahy und Sensenbrenner versichern, dass ihr Gesetz den Diensten die Möglichkeit lasse, „in gezielterer Weise Informationen zu sammeln“ – also auf Grundlage eines begründeten Verdachts. Wenigstens im Repräsentantenhaus, das nach den ersten Enthüllungen beinah schon vor der Sommerpause gleichsam im Affekt dem Dienst die Mittel gestrichen hätte, gibt es reichlich Sympathie für den Vorstoß. Auch viele Republikaner schütteln heute den Kopf, wenn der frühere Vizepräsident Dick Cheney die Datensammlung auf Vorrat uneingeschränkt verteidigt. „Man weiß nie, was man brauchen wird, wenn man es braucht“, sagte Cheney am Montag. Auf die einzelnen Programme, die während seiner Zeit im Weißen Haus begonnen wurden, wollte er unter Verweis auf die nationale Sicherheit nicht eingehen.
Reformvorschläge noch vor Weihnachten
So verhalten sich auch die meisten aktiven Politiker, die von sich glauben, einen Überblick über die Machenschaften der Geheimdienste zu haben. Wieder und wieder haben die Vorsitzenden der beiden Kontrollausschüsse in den vergangenen Wochen die Gefahren beschworen, welche die Geheimdienste dank ihrer technischen Überlegenheit abgewehrt hätten. Wer nach Beispielen fragt, bekommt zwar einsilbige Antworten. Besonders empört hat der republikanische Abgeordnete Mike Rogers dennoch alle Vorwürfe gegen die NSA zurückgewiesen, insbesondere solche aus dem Ausland. Doch auch die demokratische Senatorin Dianne Feinstein hatte bis zuletzt deutlich gemacht, dass sie zwar die Dienste straffer kontrollieren will, ihnen die Fesseln aber auch nicht allzu festziehen will.
Das entspricht der Linie von Präsident Barack Obama. Er hat zwar Wissenschaftler und ehemalige Regierungsmitarbeiter beauftragt, die Fähig- und Tätigkeiten der NSA zu untersuchen und vor Weihnachten Vorschläge für eine Reform vorzulegen, die dann in eine Regierungsvorlage münden könnten. Doch der Präsident hat vorab klargemacht, dass das Hauptproblem nicht die Arbeit der Geheimdienste, sondern deren ungerechtfertigter Vertrauensverlust sei. Auch in einem Fernsehinterview am Montag variierte Obama seine seit Wochen bekräftigten Thesen zum Thema: Die NSA beschütze Amerika. Angesichts der technischen Entwicklung sei aber zu fragen, „ob sie alles, was sie tun können, zwangsläufig auch tun sollten“.
Kein Ausspähen unter befreundeten Regierungen
Ob sich der Präsident noch auf Dianne Feinsteins Unterstützung verlassen kann, wenn er das Spionagesystem nur ein wenig neujustieren möchte, ist seit Montagabend eine offene Frage. Die Enthüllungen über die Abhöraktion gegen die deutsche Bundeskanzlerin hat für die kalifornische Senatorin offenbar den letzten Beweis erbracht, dass nicht nur das Weiße Haus, sondern auch die für die Geheimdienstkontrolle zuständigen Kongressmitglieder von der NSA zu wenig ins Bild gesetzt wurden.
Anders als im Fall der von Geheimgerichten genehmigten Speicherung von Telefondaten seien „gewisse Überwachungsaktivitäten seit mehr als einem Jahrzehnt in Gang, ohne dass der Geheimdienstausschuss des Senats hinreichend informiert worden wäre“, teilte Feinstein mit. Die Überwachung von führenden Mitgliedern befreundeter Regierungen „einschließlich Frankreichs, Spaniens, Mexikos und Deutschlands“ lehne sie „total“ ab. Nur wenn die Vereinigten Staaten Feindseligkeiten mit einem Land austrügen, könne die Ausspähung von dessen Regierung gerechtfertigt sein, urteilte Feinstein. Und dass der Präsident von Merkels Überwachung nichts gewusst habe, sei „ein großes Problem“. Die Zeitung „Washington Post“ berichtete am Dienstag, Obama sei davon erst berichtet worden, als er sich wegen der Empörung in Mexiko und Brasilien erkundigt habe, was an den Behauptungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden dran sei. Als er im Bilde war, habe sich der Präsident keinen Ärger anmerken lassen.
USA Freedom Act
Feinstein verkündete, das Weiße Haus habe ihr versichert, „dass die Sammlung von Daten über unsere Verbündeten nicht fortgesetzt wird“ – doch Mitarbeiter des Präsidenten bezeichneten diese Aussage sogleich als „fehlerhaft“- ein Beschluss sei noch nicht gefallen. Es wäre zum einen wohl auch kaum möglich für Obama, die Spionage gegen die politischen Führer („leaders“) von Verbündeten formal und öffentlich auszuschließen, denn dann müsste er definieren, wer Verbündeter ist (Ägypten? Pakistan?) und wer als „Führer“ gilt (Minister? Oppositionspolitiker?). Zum anderen behält sich Amerika das Recht vor, auch in befreundeten Staaten Erkenntnisse zu sammeln, um etwa den Terrorismus, das organisierte Verbrechen oder die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen einzudämmen.
Nie zuvor seit Beginn der NSA-Affäre ist in Washington der Ärger im Ausland über die Spähaktivitäten so ernst genommen worden wie dieser Tage. Der „USA Freedom Act“ von Patrick Leahy und Jim Sensenbrenner würde die Rechte der Dienste im Ausland nicht beschneiden, sofern das Ziel der Ausspähung auch indirekt kein amerikanischer Staatsbürger ist. Ein niederländischer Diplomat sprach Sensenbrenner kürzlich darauf an, als dieser vor einem überwachungssekptischen, konservativen Publikum bei der Cato-Stiftung seinen Gesetzentwurf vorstellte. Ob denn nicht die Bevölkerung verbündeter Staaten das gleiche Recht auf Privatsphäre habe wie die amerikanische, fragte der Europäer höflich. Darüber habe er noch nicht nachgedacht, machte der Republikaner unverblümt deutlich. „Aber wir sind für gute Ideen immer offen.“
