Inland

Es regiert der Konjunktiv

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Es ist durchaus üblich, dass Botschaften Geheimdiensten als Basis dienen. In Berlin ist man sich jedoch keineswegs sicher, ob auch Amerikaner dort Horchposten unterhalten.

Die Vermutungen schienen belegt, weil nichts dementiert wurde: Die amerikanische Botschaft in Deutschland, gelegen am Paris Platz in Berlin, nahe dem Brandenburger Tor also, sei ein Hort jener amerikanischen Geheimdienstmitarbeiter, die den großen Lauschangriff gegen ein Mobiltelefon von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) organisieren. Derlei Vermutungen wurde – jedenfalls von deutscher Seite – nicht energisch entgegengetreten. Antworten auf entsprechende Fragen blieben im Ungefähren, was – so sind Bräuche und so können Erfahrungen sein – dafür sprach, dass die Botschaft von John B. Emerson (ob nun mit oder ohne dessen Wissen) in die Sache involviert war. Die überaus ungewöhnliche Einbestellung des Botschafters in das deutsche Auswärtige Amt, angekündigt als eine nie dagewesene Aktion gegenüber dem Botschafter eines befreundeten Landes im Allgemeinen und der Vereinigten Staaten im Besonderen, konnte ebenfalls als Indiz gewertet werden. Und ohnehin sind an Botschaften, auch deutschen Vertretungen im Ausland, Mitarbeiter jeweiliger Nachrichtendienste tätig. Häufig werden sie sogar ganz offiziell und fast öffentlich als „Residenten“ geführt.

Dass Georg Streiter, der stellvertretende Regierungssprecher, am Freitag offiziell mitteilte, die Beteiligung der Botschaft sei „Teil der Aufklärung“, über welche die Bundesregierung nun in Gesprächen mit amerikanischen Stellen sei, konnte noch als Nebelkerze bewertet werden. Einzelheiten könne er nicht nennen. Regierungssprecher sollen, so verstehen sie ihren Auftrag, die Wahrheit sprechen – nicht immer aber die ganze.

„Keine zuverlässigen Erkenntnisse“

In der Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, dessen Mitglieder am Donnerstag etwa neunzig Minuten lang von Kanzleramtsminister Ronald Pofalla und den Chefs der deutschen Nachrichtendienste unterrichtet wurden, sind allerdings dem Vernehmen nach keine Beweise vorgelegt worden. Es gebe keine zuverlässigen Erkenntnisse, dass die Spähaktionen aus der Botschaft heraus organisiert worden seien, hieß es, hätten jedenfalls Pofalla und die Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes Gerhard Schindler und des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, die Sachverhalte beschrieben. Entsprechende Vermutungen seien von ihnen „weder bestätigt noch dementiert worden“, laute eine der Zusammenfassungen über die Sitzung. Eine andere lautet, es gebe Hinweise, die freilich nicht im rechtlich strengen Sinne als „Beweise“ bewertet werden könnten. Weder über das „Wie“, noch sogar über das „Ob“ der Involvierung der Botschaft habe es in dem Kontrollgremium handfeste Belege gegeben. Es sei lediglich bei einem „Wir können es nicht ausschließen“ derjenigen geblieben, die dem Gremium berichteten.

Unter Abgeordneten wurde erzählt, zu den Mitteilungen der Bundesregierung habe sogar gehört, dass die Herkunft der Unterlagen, die von der Zeitschrift „Der Spiegel“ den Fachleuten im Kanzleramt vorgelegt worden seien, ungewiss sei. Es sei für die Regierungsstellen nicht sicher, ob die Papiere aus dem Fundus von Edward Snowden, dem früheren NSA-Mitarbeiter stammten oder ob es sich um andere Papiere handele. Man habe „überhaupt“ keine Ahnung, woher die Dokumente stammten, wurden die Erläuterungen der Regierungsvertreter zusammengefasst.

Empörung aller Orten

Diese Ungewissheit freilich hat Folgen für die Bewertung. Manche Abgeordnete sind sich sicher, dass – jedenfalls im Kern – alle Hinweise aus den Snowden-Papieren zuträfen. Falls es sich aber um andere Unterlagen handele, sei man der Sache eben nicht sicher. Gleichwie: Die dem Kanzleramt vorgelegten Schriften setzten den deutschen Geheimdienstapparat in Gang. Sie führten dann auch zu dem in seinen Grundzügen veröffentlichten Telefongespräch Merkels mit dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama. Empörung aller Orten war die Folge.

Nach der Sitzung des Kontrollgremiums hatte Pofalla zwar öffentlich eine kurze Erklärung abgegeben. Fragen waren nicht zu stellen. Im Kern hatte Pofalla dabei vieles offen gelassen – und darauf verwiesen, die Aufklärung der Vorwürfe sei noch nicht abgeschlossen. Sein verlesener Text ist vom Konjunktiv geprägt. „Durch Recherche des Magazins ,Der Spiegel‘ haben wir jetzt neue Hinweise erhalten, die darauf hindeuten, dass das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin möglicherweise durch die NSA abgehört worden ist. Das würde eine völlig neue Qualität darstellen und auf alle Aussagen der NSA aus den vergangenen Wochen in den vergangenen Monaten ein neues Licht werfen.“ So ging es in der Erklärung Pofallas auch weiter: „So hat das Weiße Haus zwar gestern Abend ausgeschlossen, dass die Kommunikation der Bundeskanzlerin jetzt und in der Zukunft abgehört wird- dieses Dementi hat das Weiße Haus aber nicht für die Vergangenheit abgegeben. Sollte sich daher der Rückschluss bewahrheiten, dass die NSA in der Vergangenheit die Bundeskanzlerin tatsächlich abgehört hat, würde dies für mich bedeuten: Es würde sich hierbei um ein Vorgehen handeln, das unter Partnern und engen Verbündeten völlig inakzeptabel ist.“

Mit der Materie befasste Abgeordnete wunderten sich jedenfalls noch am Tag nach der Sitzung des Gremiums darüber, mit welcher Sicherheit in Medien berichtet worden sei, die amerikanische Botschaft sei – neben anderen – die Quelle der Abhöraktion. Öffentlich hatte sich dazu im Fernsehen am Donnerstagabend nur Thomas Oppermann geäußert, der Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion und amtierender Vorsitzender des Kontrollgremiums ist. Zwar verwies er auf entsprechende Zeitungsberichte. Doch hob Oppermann die darin enthalten Einschränkungen hervor. „Möglicherweise“ sei von der amerikanischen Botschaft heraus operiert worden. „Das wäre natürlich ein Akt der Spionage“, fügte er an. Wäre. Tags darauf wurde versichert, Oppermann habe sich die Berichte jedenfalls nicht in dem Sinne zu eigen gemacht, dass er sie für bewiesen halte.

Keine Stellungnahme aus der Botschaft

Nun gehört es allerdings zum Brauch unter Bündnispartnern, sich nicht gegenseitig an den Pranger von Spionage-Vorwürfen zu stellen. Geheimdienstmitarbeiter von befreundeten Staaten werden – so ist seit langem der Brauch – auch im Falle des Falles nicht mit großem Wirbel von Staatsanwälten verfolgt und vor Gericht gestellt. Sie werden nach stillen Hinweisen und dann im gegenseitigen „Einvernehmen“ in die Heimat zurückgerufen. So gesehen, auch das wurde unter Abgeordneten vermutet, könne es in der Sitzung natürlich auch der Fall gewesen sein, dass dem Gremium – zumal Beweise fehlten – nicht einmal vorliegende Erkenntnisse im Detail berichtet worden seien. Dazu passt die Versicherung, das Thema „amerikanische Botschaft“ habe nicht auf der Tagesordnung gestanden.

Ortskundige Abgeordnete glauben jedenfalls den Hinweisen aus der Bundesregierung, Späh-Hubschrauber des Bundesamtes für Verfassungsschutz hätten zwar das amerikanische Konsulat in Frankfurt am Main, nicht aber die Botschaft am Pariser Platz zum Zwecke des Fotografierens von Antennen-Anlagen überflogen, um anschließend Schlussfolgerungen über Spionage-Aktivitäten zu ziehen. Zum ersten gebe es auf der amerikanischen Botschaft in Berlin keine Antennenanlagen- zum zweiten könnten entsprechende Vorrichtungen auch von außen unsichtbar unterhalb des Daches untergebracht werden. Als drittes folgt ein Scherz: Selbst wenn es Antennen-Anlagen gäbe, wäre man nicht auf Hubschrauber angewiesen. Sie könnten auch von der Glaskuppel auf dem Reichstagsgebäude aus fotografiert werden. Die amerikanische Botschaft gab am Freitag keine Stellungnahme ab.