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Gut zu wissen

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Washington belauscht seine Freunde nicht einfach so. Sondern weil es einen Vorsprung haben will. Der Ärger in Berlin ist groß.

Die Lektüre des Lebenslaufs der 48 Jahre alten Susan Elizabeth Rice ist eine Wanderung über die Gipfelpfade der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik. Geboren am Nabel der Weltmacht, in Washington, startete sie nach dem Besuch von Elite-Universitäten eine steile außenpolitische Karriere. Mit Ende zwanzig wurde sie Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat, anschließend Unterstaatssekretärin im amerikanischen Außenministerium. Schon im Wahlkampf von Barack Obama war sie dessen außenpolitische Stimme. Heute ist sie die nationale Sicherheitsberaterin des Präsidenten. Wenn jemand die Mechanismen der amerikanischen Interessenpolitik in- und auswendig kennt, dann ist das Susan Rice.

Es ist noch nicht lange her, da war sie amerikanische Botschafterin bei den Vereinten Nationen. Dort musste sie vor drei Jahren im Namen ihrer Regierung eine Iran-Resolution vorantreiben, die neue Sanktionen gegen Teheran vorsah. Frankreich galt den Amerikanern als Wackelkandidat bei der Abstimmung. Doch zum Glück gab es auch damals schon die fleißige NSA. Die Damen und Herren vom amerikanischen Geheimdienst hörten die französischen Akteure so gründlich ab, dass sie von Rice später in einer internen Mitteilung ein großes Lob bekamen: „Das hat mir geholfen, die Wahrheit zu erfahren, die einzelnen Positionen zu den Sanktionen herauszubekommen, und es hat uns erlaubt, in den Verhandlungen einen Vorsprung zu behalten.“ Dieses Zitat wurde vor wenigen Tagen in der Zeitung „Le Monde“ veröffentlicht, als die Franzosen sich darüber erregten, dass sie vom amerikanischen Geheimdienst flächendeckend ausspioniert werden. Die Worte von Rice belegen: Die amerikanischen Geheimdienste hören ihre Partner nicht zum Spaß ab oder weil sie gerade die geeignete Technik dafür haben. Nein, sie wollen sich einen Vorteil gegenüber ihren Freunden verschaffen.

Blatt Papier löst Lawine aus

Kaum war der Artikel in der französischen Zeitung gedruckt, fingen die Deutschen an, sich über die weltweite Neugierde der Amerikaner aufzuregen. Die Lawine wurde von einem Blatt Papier ausgelöst. Es besteht aus gerade dreizehn Zeilen, einer Maske, in der einzelne, meist technische Begriffe sowie Ziffern stehen. Der „Spiegel“ hatte es aus dem Material bekommen, das Edward Snowden, der Whistleblower aus der NSA, seinem ehemaligen Arbeitgeber entwendet hatte. Es sind Angaben zu einem Handy in Deutschland, dessen Besitzer in Zeile neun mit „Status A“ bewertet wird. Entscheidend ist Zeile sechs: „Subscriber GE CHANCELLOR MERKEL“ steht dort in Großbuchstaben, übersetzt: Abonnent Deutschland Kanzlerin Merkel.

Da die Leute vom Hamburger Magazin unschlüssig waren, was das Dokument zu bedeuten hatte, wandten sie sich ans Kanzleramt. Das schaltete die deutschen Nachrichtendienste ein, die zu dem Schluss kamen, dass die Kürzel plausibel, die Maske echt sein könnten. Die Amerikaner, damit konfrontiert, machten das, was man in solchen Dingen zu machen pflegt: Man bestätigt nicht und dementiert nicht. Das war das etwas kleinlaute Eingeständnis, dass der von den Deutschen gehegte Verdacht zutreffen könnte.

An dieser Stelle kam Susan Rice wieder ins Spiel. Sie telefonierte am Mittwoch mit ihrem deutschen Gegenüber, dem außen- und sicherheitspolitischen Berater von Angela Merkel, Christoph Heusgen. Der Anruf von Rice war die Bitte um Entschuldigung bei Heusgen und zugleich die Ankündigung, dass der Präsident mit einem entsprechenden Anliegen noch persönlich bei der Kanzlerin vorstellig werde.

Obama soll von Abhöraktion nichts gewusst haben

So kam es. Dem Vernehmen nach gab Obama sich in dem Telefonat mit Merkel zerknirscht und hatte Freundschaftsbekundungen im telefonischen Gepäck. Jedenfalls beteuerte er, von der Abhöraktion seiner Geheimdienstler auf die Bundeskanzlerin nichts gewusst zu haben. Das klang wie ein Eingeständnis, dass der Verdacht der Bundesregierung zutrifft. In der offiziellen Erklärung der amerikanischen Seite hatte es lediglich geheißen, man höre die Kanzlerin nicht ab und habe das auch nicht vor. Was in der Vergangenheit geschehen war, blieb damit offen. Merkel soll reichlich sauer gewesen sein, was sich in der Atmosphäre des Gesprächs niedergeschlagen haben muss. Wer mehr als die Hälfte seines Lebens im Überwachungsstaat DDR zugebracht hat und die Freiheit schon deswegen als enormen Wert betrachtet, der wird durch eine solche Erfahrung tief enttäuscht.

Ist Obama also unschuldig? Sind seine Geheimdienste nur aus der Kontrolle geraten? Machen sie einfach, was sie technisch können, ohne dass die politische Führung weiß, was sie tun? In Berlin wird das unter Sicherheitsfachleuten wie auch unter Politikern bezweifelt. Man erinnert an die tägliche Information des Präsidenten durch die Geheimdienste. „Obama ist doch der Nutznießer solcher Informationen“, sagt ein Unionsmann. Angeordnet habe Obama die Abhöraktion möglicherweise nicht, sagt der ehemalige BND-Chef Hans-Georg Wieck. „Aber er hat sie auch nicht verhindert.“

Die NSA-Affäre hat schon seit den ersten Veröffentlichungen von Edward Snowden gezeigt, dass die Amerikaner in der Auswahl ihrer Ziele nicht zimperlich sind. Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff sagte im Oktober einen Staatsbesuch in Washington ab, nachdem bekanntgeworden war, dass sie abgehört wurde. Zu Mexiko sind die Beziehungen belastet, seit bekannt wurde, dass man den ehemaligen Präsidenten Felipe Calderón, einen engen Verbündeten, jahrelang ausspioniert hatte. Auch die Europäische Union wurde ausgehorcht, etwa die EU-Mission bei den Vereinten Nationen in New York oder die EU-Botschaft in Washington. Mal waren sie verwanzt, mal war das interne Computernetzwerk angezapft worden. Auch die französische Botschaft in Washington stand auf der Abhörliste.

Neue Snowden-Enthüllungen werden anders wahrgenommen

Das alles war und ist bekannt, seit Monaten wird darüber diskutiert. Doch erst mit dem Handy der Kanzlerin scheint die Affäre vollends in Deutschland angekommen zu sein. Neue Snowden-Enthüllungen wie jene vom Freitag, dass die NSA 35 führende Politiker aus aller Welt bespitzelt habe, werden nun anders wahrgenommen. Oder auch die Meldung, dass die NSA schon 2006 amerikanische Regierungsbeamte aufforderte, ihnen alle Telefonnummern führender ausländischer Politiker zu nennen. Als vorbildlicher Lieferant wurde ein Beamter angeführt, der 200 Telefonnummern lieferte, von denen 43 noch nicht bekannt gewesen seien.

Was die Deutschen umtreibt, ist, dass die Amerikaner offenbar nicht sehen, was sie mit ihrem Vorgehen bewirken. Die „Washington Post“ zitierte am Freitag Stewart A. Baker, einen ehemaligen NSA-Berater, mit den Worten: „Jedes Land in der Welt hat Interessen, die den Interessen der USA in einigen Belangen entgegenstehen, auch wenn sie sich selbst in anderen Zusammenhängen als Verbündete definieren.“ Die Europäische Union sehe sich zwar als Nato-Partner, aber wolle beim Handel alles tun, um es mit den Vereinigten Staaten aufzunehmen.

Wie viel transatlantisches Porzellan die National Security Agency zerschlagen hat, lässt sich in Berlin nach Auffliegen des Lauschangriffs auf die Kanzlerin gut beobachten. Plötzlich äußern sich Politiker aus SPD und Union, die vom Verdacht antiamerikanischer Gesinnung völlig frei sind, empört und enttäuscht über die Freunde auf der anderen Seite des Atlantiks. Der CSU-Mann Hans-Peter Uhl schimpft, dass auch die Vereinigten Staaten nicht alles machen dürften, wozu sie technisch in der Lage seien: „Wir wollen keine digitale Besatzungsmacht USA in Deutschland haben.“

„Ich habe nie den Auftrag bekommen, Verbündete aufzuklären“

Mancher fragt sich, ob, wann und in welchem Ausmaß auch er schon zum Ziel der geheimdienstlichen Neugier Washingtons geworden ist. Es gibt Außenpolitiker, die es für möglich halten, dass die Amerikaner vor zehn Jahren begannen, ihre Freunde in Berlin auszuspähen, oder dieses Geschäft damals besonders intensiv betrieben. Im Jahr 2003 hatte der Streit über den Irak-Krieg von Präsident George W. Bush zu einer Eiszeit zwischen Washington auf der einen, Berlin und Paris auf der anderen Seite geführt. So schlecht waren die Amerikaner damals auf die bockigen Europäer zu sprechen, dass manche Restaurants in den Vereinigten Staaten Pommes Frites nicht mehr als „French Fries“, sondern als „Giant Fries“ bezeichneten.

In dieser Zeit staunte man im Auswärtigen Amt gelegentlich, wie genau die Akteure in Washington über die innenpolitische Debatte in Deutschland informiert waren. Und mancher fragte sich, ob diese Informationen wirklich nur durch die Zeitungslektüre oder Gespräche der fleißigen, nach Berlin entsandten Diplomaten zusammengekommen waren. Oder ob da eine dunklere Macht ihre Finger im Spiel hatte. Beweise hatten die Deutschen damals nicht – und haben sie heute ebenso wenig.

In Berlin bezweifelt man, dass die Amerikaner das Wort „Verbündeter“ im Zusammenhang mit Deutschland noch wirklich ernst nehmen. „Ich habe nie den Auftrag bekommen, Verbündete aufzuklären“, sagt der ehemalige BND-Chef Hans-Georg Wieck. Von Verbündeten könne man alles Wichtige auf normalem Wege erfahren, amtlich oder halbamtlich, da sei für Nachrichtendienste kein Platz. „Wenn ich die Positionen meines Verbündeten ausspioniere, dann ist es nur noch ein Sonntagsverbündeter“, sagt Wieck. Die Amerikaner zerstörten mit ihren Spähaktionen nicht nur das Vertrauen ihrer europäischen Partner, sondern sie schwächten alle, die in Deutschland für enge Beziehungen zu den Vereinigten Staaten einträten. Die amerikanische Politik glaubt, so sagt Wieck, dass ihr die fanatische Sammlung aller Informationen auch von Verbündeten nutze. „In Wirklichkeit ist dieser Nutzen gering, der Schaden aber gewaltig.“

So sieht man es in der Regierung, im Kanzleramt, in den Sicherheitskreisen. Man will sich wehren, aber es herrscht Ratlosigkeit, wie das geschehen soll. Bisher weiß man ja nicht einmal, wie das Handy der Kanzlerin abgehört wurde. Es liegt derzeit beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Dort soll überprüft werden, ob ein Trojaner eingeschleust wurde.

Aber Angela Merkel könnte auch ganz anders ausspioniert worden sein. Die amerikanische Botschaft liegt – wie die der Briten und der Russen – so nah am Kanzleramt, dass der Mobilfunkverkehr über Spezialantennen mitgehört werden kann, ohne dass Spuren hinterlassen werden. Hubschrauberflüge des Verfassungsschutzes über die amerikanische Botschaft haben kein eindeutiges Ergebnis erbracht. Die Antennen könnten auch unter den Dachaufbauten versteckt sein. Im Moment scheint man in Berlin den Amerikanern fast alles zuzutrauen.