Klima

Eine Wissenschaft in der Falle der eigenen Wichtigkeit

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Die Hypothese, dass der Mensch das Klima verändert, brachte die Klimaforschung auf den Gedanken, ihm ein neues Verhalten vorzuschreiben. Kritischer Blick auf den Erfolg eines Faches.

Von 1975 an hat Klaus Hasselmann das Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie zu einem weltbekannten Zentrum der internationalen Klimaforschung gemacht. Ich möchte eine Geschichte des MPI skizzieren, um vor diesem Hintergrund über die Möglichkeit einer nachhaltigen Nutzung der Ressource Klimawissenschaft im gesellschaftlichen Diskurs zu spekulieren. Wenn ich von „einer“ Geschichte spreche, dann um das subjektive Element zu unterstreichen- andere würden diese Geschichte sicher anders erzählen.

Zuerst gab es das stochastische Klimamodell, das 1976 veröffentlicht wurde: für einen theoretischen Physiker ganz naheliegend, für einen Meteorologen mit Interesse am Klima aber überraschend. Da ist Rauch ohne Feuer, Wandel ohne Grund. Stochastizität eben. Für einige Zeit waren es diese grundsätzlichen Überlegungen, die die Arbeiten am neuen Institut bestimmten. Ohne erkennbare gesellschaftliche Relevanz – vor allem interessant, Spaß am mathematisch-physikalischen Spiel.

Die gesellschaftliche Dimension war von Anfang an da

Dann kam die Wende, circa 1982, und sogar wir aus dem Uni-Institut – zwei, drei Stockwerke weiter unten – wurden dazugebeten. Der Chef wollte ein dynamisches Klimamodell, das auf dem Konzept der Zirkulationsmodelle für Atmosphäre und Ozean aufbaute. Erich Roeckner konnte das für die Atmosphäre, Ernst Maier-Reimer für den Ozean – die beiden Felsen, auf denen das Institut später stand. Die gesellschaftliche Relevanz rückte näher.

Klaus Hasselmann behauptete später, es habe da einen großen Plan gegeben. So liest man in einem Interview von 2007, im Original englisch: „Als das Institut gegründet wurde, hatte ich zwei Ziele. Das eine war, den Ursprung der natürlichen Veränderlichkeit des Klimas zu verstehen. Dieser wurde damals gar nicht verstanden, aber war offensichtlich ein wesentliches Thema, wenn wir zwischen natürlichen Klimaschwankungen und dem menschgemachten Klimawandel unterscheiden wollten.“ Was ja wohl bedeutet, dass Hasselmann von Anfang an das Thema des „human made climate change“ im Sinne hatte und schon früh „detection &amp- attribution“ (etwa: Aufdeckung und Ursachenbenennung) des menschgemachten Klimawandels in sein Programm aufnahm. So ganz glaube ich ihm das nicht- aber warum soll ein Forscher nicht auch einmal im Nachhinein ein bisschen rationalisieren? Wenn ich es mir genau überlege, dann halte ich die beiden Konzepte, stochastisches Klimamodell und „detection &amp- attribution“, für die wichtigsten seiner Leistungen, jedenfalls von denen, die ich verstehe.

Südafrika: Klimakonferenz beginnt

Mit anderen Worten, die gesellschaftliche Dimension war von Anfang an da. Und damit die Falle, in die wir gingen, unser Chef voran. Zusammengefasst wurde das in einem Diagramm, in dem zum einen ein interagierendes Gesellschaft-Umwelt-System seiner eigenen Dynamik folgt, aber durch geeignete Maßnahmen, seien es Abgaben oder Gebote, gesteuert werden kann. Ohne Steuerung führt das System in für die Gesellschaft nachteilige Bedingungen- durch geeignete Maßnahmen, vor allem durch die Minderung der Emissionen von Treibhausgasen, kann diese Entwicklung eingeschränkt werden.

Inzwischen gilt die Maßgabe als wissenschaftlich richtig

Bei Vorgabe eines gesellschaftlichen Willens zum hinnehmbaren Umfang der negativen Klimaänderungsfolgen reicht es, dass Ökonomen die Kosten für Anpassung und Vermeidung berechnen- am Ende wird vernünftigerweise jener Maßnahmenkatalog implementiert, der mit minimalen Kosten einhergeht. In diesem „Global Environmental Society Model“ findet sich der demokratische Willensbildungsprozess nur bei der Festlegung der akzeptablen Änderungen und der Metrik, wie diese zu messen sind. Der Rest folgt zwingend aus dem wissenschaftlich generierten Wissen. Die Wissenschaft wird zum Strategiegeber für die globale Gesellschaft.

Diese Sichtweise wird heute von Klimaforschern weitgehend geteilt. In diesem Bild wird der Zwang zur Implementierung der richtigen Politik konterkariert durch die Unsicherheit des wissenschaftlich konstruierten Wissens sowie durch moralisch fragwürdige Vertreter engstirniger Interessen. Die Herausforderung besteht darin, die absolut richtige Wahrheit einer oft dummen und von bösen Kräften irregeleiteten Masse nahezubringen. Inzwischen hat die Wissenschaft auch die ursprüngliche Frage an den Souverän, die nach dem akzeptablen Umfang der Änderungen, selbst entschieden: zwei Grad und Stabilisierung zum Ende des Jahrhunderts. Wir hatten dieses Szenario als Möglichkeit durchgespielt, inzwischen aber gilt die Maßgabe als wissenschaftlich richtig und zwingend. Das demokratische System hat nur noch zu vollziehen, und wenn es das nicht tut, dann sind die Leute blöd oder unzureichend gebildet.

Verschlüsselten Hinweise in den Medien

Ist diese Beschreibung zutreffend oder nur eine Übertreibung, geboren aus der Lust am Zweifel und Widerspruch? Ich habe nichts dagegen, wenn man meine Überlegungen so abtut. Ich habe nicht den Anspruch, die Welt zu retten.

In meinen Augen ist hier die Denkschule des klimatischen Determinismus am Werk. Das Klima bestimmt, wie wir leben sollen: wie wir Energie nutzen, ob wir vermehrt Nierensteine oder häufiger Depressionen bekommen. Eine Denkschule, die unter Naturwissenschaftlern häufig anzutreffen ist – und wir sind in diese Falle getappt, wussten wir doch damals gar nichts von solchen Ideen, obwohl wir sie mit uns latent herumschleppten, als integralen Bestandteil unserer westlichen Kultur. Nico Stehr, ein für uns seinerzeit merkwürdiger Besucher aus der sozialwissenschaftlichen Welt, machte uns früh auf diese Falle aufmerksam, aber wir verstanden das nicht. Wir sind physikalische Naturwissenschaftler, unsere Kultur hat keinen Einfluss auf unsere wissenschaftliche Praxis, wir verkünden Wahrheit.

Und zu dieser Wahrheit gehörte die moralische Verpflichtung des Aufrüttelns. Das taten wir, auch wenn wir dann und wann über das Ziel hinausschossen, etwa wenn wir den Peak der Sturmtätigkeit Anfang der neunziger Jahre voreilig zum Beleg für den menschgemachten Klimawandel ausriefen und uns mit verschlüsselten Hinweisen in den Medien interessant machten, wonach dieses oder jene Extremereignis zwar nicht nachweisbar auf den Klimawandel zurückgehe, de facto aber jeder wisse, dass es doch so sei.

Die industrielle Produktion von Szenarien verliert an Bedeutung

Das MPI wurde bekannt als die Kaderschmiede der weltrettenden Klimaforschung in Deutschland. Tatsächlich gab es weniger und weniger Arbeiten, die nichts mit dem immer dominanteren Thema des menschgemachten Klimawandels zu tun hatten. In dieser Zeit trug Hasselmann aber noch einmal dazu bei, den Hype zu begrenzen – durch die Durchsetzung des Prinzips samt einer Methodologie von „Detection &amp- Attribution“. Aber aus dem Triumph, der Öffentlichkeit erklären zu dürfen, dass der gegenwärtige Temperaturanstieg unplausibel im Rahmen der natürlichen Variabilität ist und mit dem derzeitigen Wissen ohne die Kausalität der Wirkung der Treibhausgase nicht erklärt werden kann, wurde der Niedergang der Eisbären. Aus der Irrtumswahrscheinlichkeit für die Detection-Aussage von weniger als 5 Prozent wurde: 95 Prozent des derzeitigen Wandels sind auf die Treibhausgase zurückzuführen.

Im Grunde konnte es von dort aus nur noch zwei Wege gehen – nämlich die Bestimmung der Downstream-Effekte von Klimawandel und -variabilität auf andere Systeme, sei es Seegang, die Apfelproduktion oder die Verbreitung von Malaria. Diese Aufgabe ging an das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung- ich nahm diese Thematik im begrenzten Umfang – auf Küsten bezogen – mit ins GKSS-Forschungszentrum Geesthacht. Dem MPI blieb die andere Richtung, die Erdsystemmodellierung. Heute hat das Institut eine neue Richtung aufgenommen- die industrielle Produktion von Szenarien verliert an Bedeutung, und „interessante Fragen“ nach der Dynamik der Erdoberfläche im Klimasystem oder nach dem Mechanismus und der Vorhersagbarkeit des „Meridional Overturning Current“ im Atlantik oder auch das Studium kleinskaliger atmosphärischer Prozesse mit höchstauflösenden Modellen beginnen das Gefängnis der gesellschaftlichen Relevanz zu sprengen. Ein neues Forschungsprogramm wird demnächst veröffentlicht werden.

Teil unserer Kulturen

Die Einbettung von Wissenschaft in einen gesellschaftlichen Kontext wird zum Gefängnis, wenn die Nützlichkeit der wissenschaftlichen Ergebnisse für eine bestimmte Politik in den Vordergrund tritt, die Angst vor vermeintlichem Missbrauch durch politische Feinde die Feder führt. Dann werden einige Gedanken inopportun und a priori unplausibel, aber andere opportun und a priori plausibel. Verschiedene Wissensformen mischen sich, und andere „Wissensbestände beeinflussen den wissenschaftlichen Erkenntnisakt“, um Ludwig Fleck zu zitieren. Was ist Wissen? Nico Stehr bestimmt Wissen als „Fähigkeit zu handeln“ und „Möglichkeit, etwas in Bewegung zu setzen“. Wissen ist laut Stehr ein „Modell für Wirklichkeit“. Dieses Wissen darf auch „wahr“ sein, muss aber nicht. Aber es ist handlungsleitend.

Ebenso bei Ludwig Fleck. Sein Buch „Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache“ von 1939 stellt fest: „Was Wissen ist, wird von dem jeweiligen kulturellen und sozialen Kontext festgelegt.“ Wissen ist somit, wie Sylwia Werner und Claus Zittel, die Herausgeber einer Anthologie über Fleck, erläutern, nicht wie in der philosophischen Tradition als wahre und gerechtfertigte Meinung definiert, sondern als „fixation of belief“. Sie fordern im Sinne Flecks: „Daher müssen nun die kulturellen Faktoren und Praktiken untersucht werden, die solche Fixierung von Wissen herbeiführen. Je nach kulturellem und sozialem Kontext kommt es zu pluralen Wirklichkeitsentwürfen, deren Geltung nur innerhalb des jeweiligen Denkstils verhandelt werden kann, und das gilt auch für die harte Wissenschaften.“

Das Ergebnis unseres Wissensschaffens ist Wissen. Aber es gibt Alternativen zu unserem Wissen, Alternativen, die auch etwas in Bewegung setzen können, aber eben anders. Wir Wissenschaftler werden auch gesteuert von kulturellen Wissenssystemen, in denen es um gut und nicht gut geht, also um Wertfragen. Dagegen können wir nicht wirklich etwas tun, weil wir ja Teil unserer Kulturen sind, denen wir nicht entkommen können und auch nicht wollen. Aber wir können uns darüber klarwerden, wie dieser soziale Prozess des Wissensschaffens konditioniert wird durch kulturelles Wissen- wir können versuchen, dem Anspruch der Objektivität näherzukommen.

Wissenschaftliches Kapital

Wir sollten uns auch fragen: Welche Rolle wollen wir in der Gesellschaft spielen? Und andersherum: Was erwartet die Gesellschaft von uns? Sollen wir Ja-Sager für den Zeitgeist sein- sollen wir dafür sorgen, dass soziale Prozesse zügig in eine bestimmte Richtung laufen, oder sollen wir durch ungefiltertes Fragen zur Kakophonie der Unsicherheit beitragen und so eher Sand in das Getriebe werfen, um einen breiteren demokratischen Prozess zu ermöglichen? Ich denke: Letzteres.

Wie jeder soziale Prozess kann Wissenschaft nachhaltig oder nicht nachhaltig durchgeführt werden- man kann netto Kapital aufbauen oder verbrauchen. Das Kapital ist in diesem Falle: die Autorität der Wissenschaft, komplexe Vorgänge zu erklären mit einem Produktionssystem, das sich zumindest prinzipiell einer Ethik des arbeitsteiligen, uneigennützigen Skeptizismus im Sinne von Robert Merton unterwirft. Durch Opportunismus oder wahrgenommenen Opportunismus wird dieses Kapital verbraucht. Als wir in der Vergangenheit nicht gegen alarmistische Exzesse aufgetreten sind, haben wir Kapital verbraucht- als neulich der „Times“-Atlas fehlerhafte Angaben zur Verminderung des grönländischen Eisschildes machte, standen sofort kompetente Leute auf und widersprachen- da wurde Kapital erzeugt.

Neben der Klimaproblematik weitere Herausforderungen

Wie können wir uns die Zukunft der Klimaforschung vorstellen? Das hängt natürlich davon ab, wie sich der Klimawandel entfalten wird. Ich erwarte, dass es den Gesellschaften in wenigen Jahrzehnten gelingen wird, das Anwachsen der Emissionen von Treibhausgasen deutlich abzubremsen – aber es wird wohl kaum eine Stabilisierung geschweige denn eine Trendwende geben. Der Klimawandel wird sich daher gegenüber den pessimistischsten Perspektiven etwas verlangsamen, sich aber dennoch auf absehbare Zeit ziemlich stetig weiter entfalten. Im letzten Jahr sind die Emissionen wieder erheblich angewachsen, stärker als zuvor. Der menschgemachte Klimawandel wird sich wohl deutlich herausschälen, mit den Attributen einer generellen Erwärmung, einer polwärtigen Verschiebung der Klimazonen und eines verstärkten hydrologischen Zyklus. Ich erwarte keine dramatischen Überraschungen – abgesehen von Phasen, in denen die Erwärmung mal schneller, mal langsamer vonstattengeht.

Gleichzeitig wird deutlich werden, dass es neben der Klimaproblematik weitere Herausforderungen geben wird, die das globale Wohlergehen beeinflussen: vielleicht Nachwirkungen der Wirtschaftskrise, Gesundheitsgefahren, Bevölkerungszuwachs, soziale Ungleichheit, Armut, Hunger, Ressourcenübernutzung, radikal verschiedene Weltsichten oder ganz neue Probleme

Optimist in Bezug auf den Einsatz der Vernunft

Auf der Wissensbedarfsseite wird das Interesse an Szenarien für zukünftige Entwicklungen weiter zunehmen. Die Aufgabe der Szenarienerstellung wird aber von einer wissenschaftlichen Herausforderung zur rein technischen Aufgabe degenerieren. Der Hype um katastrophale Entwicklungen wird sich legen, allein schon wegen einer Ermüdung des Publikums und des Generationswechsels in der Wissenschaft. Insofern wird sich die naturwissenschaftliche Klimaforschung auf legitim neugiergetriebene Fragen, etwa zur Erdgeschichte, fokussieren, während eine de facto ingenieurwissenschaftliche Richtung sich auf klimatechnische Fragen kaprizieren wird: Ableitung von Szenarien, Klima-Monitoring, lokale und regionale Anpassung und Klimasteuerung. Dazu wird sich eine aktive, anwendungsorientierte sozial- und kulturwissenschaftliche Klimaforschung entwickeln.

Ich erwarte außerdem, dass die Gesellschaften dieser Welt zu einem vernünftigeren, auch praktisch realisierbaren Umgang mit dem Klimaproblem übergehen. Dass erreichbare Ziele formuliert werden und Antworten auf die Frage der zukünftigen Entwicklung diverse sich ändernde Faktoren neben dem Klima berücksichtigen. Dieses Szenario einer möglichen Zukunft weist mich als Optimisten in Bezug auf den Einsatz der Vernunft aus. Das ist in sich selbst nicht sonderlich vernünftig und konsistent, verweisen die Erfahrungen aus der Vergangenheit doch plausiblerweise auf eine Zukunft, die ebenso wenig vernünftig wie die Gegenwart und Vergangenheiten sein wird.

Wenig ist so gefährlich wie der Wille zur Weltverbesserung

Welche Alternativen sehe ich? Eine pessimistische Zukunftserwartung ist, dass das Klimathema nicht mehr wirklich ernst genommen wird, eventuell noch zur Motivation für eine allgegenwärtige Regulierung fast aller Lebensbereiche instrumentalisiert werden könnte. Die Klimaforschung würde die gegenwärtige Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit verlieren – trotz oder auch wegen eines langen Feuerwerks immer wieder neu entdeckter Gefahren und in Aussicht gestellter Weltuntergänge. Am Ende stünden ein Rückzug auf die von Wetterdiensten betriebenen Überwachungsaufgaben, spannende Nischenforschung im Elfenbeinturm und versprengte übrig gebliebene Alarmisten. Gleichzeitig würde der Platz der Angst vor der Klimakatastrophe durch die Angst vor etwas anderem übernommen werden, hoffentlich ohne wirklich drastische Folgen für den friedlichen Umgang der Menschen untereinander.

Ich möchte aber den Standpunkt des Optimisten einnehmen, gerade weil ich glaube, dass wenig so gefährlich ist wie der Wille zur Weltverbesserung. Was aber der Tatsache keinen Abbruch tut, dass die Zeit mit Klaus Hasselmann am MPI für Meteorologie eine wunderbare und aufregende Zeit war.