Klima

Der kostbare Kaffeesatz in den Klimamodellen

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Mit Supercomputern und Algorithmen wird längst Klimapolitik gemacht. Den Klimahistorikern war das ein Dorn im Auge. Inzwischen sind sie zu Kronzeugen geworden.

Vor zehn oder zwanzig Jahren, als die Klimaforschung drastische Bilder und noch bedrohlichere Prognosen aufzubieten begann, um die Welt mit den Folgen des globalen Klimawandels zu konfrontieren, da war ihre eigene Welt mehr oder weniger zweigeteilt: auf der einen Seite die progressiven Forscher, die Klimamodellierer, die mit ihren Algorithmen vorzugsweise in die Zukunft blickten und die Rolle der Kassandras übernahmen. Und auf der anderen Seite mehrheitlich die Paläoklimatologen mit ihrem Blick in die tiefste erdgeschichtliche Vergangenheit, die nicht müde wurden, die Lücken im Verständnis der natürlichen Klimaschwankungen zu betonen und damit zur Mäßigung mahnten. Schnelle Veränderungen der Temperaturen, wie sie mit dem steilen Anstieg seit Mitte des vorigen Jahrhunderts zu beobachten sind, seien historisch gesehen für den Planeten gewissermaßen Alltag.

Diese Rollenverteilung innerhalb der Klimatologie hat sich heute praktisch erledigt. Zwar kennt man die natürliche Schwankungsbreite des Weltklimas auf kürzeren Zeitskalen immer noch nicht bis ins Detail, und erst recht nicht die jeweiligen Ursachen. Aber die mit der Industrialisierung einhergehende starke, vor allem aber extrem schnelle Erwärmung der Erdatmosphäre zeigt Eigenschaften, die mit den traditionell wirksamen Naturkräfte allein nicht mehr zu erklären sind.

In der Zeitschrift &quot-Nature Geoscience&quot- wurde vor wenigen Tagen von der Gruppe um Reto Knutti von der Eidgenössisch-Technischen Hochschule eine neue, von bisherigen Klimamodellen unabhängige Analyse vorgestellt, die sich auf Rekonstruktionen der Energiebilanz stützt und zu einer Erwärmung – trotz des Kühleffektes von Partikeln aus der Luftverschmutzung – um um 0,85 Grad seit 1950 kommt. Nur zu einem Anteil von 26 Prozent könnte diese Entwicklung mit der &quot-internen Variabilität&quot- – direkte und indirekte Veränderungen der Sonneneinstrahlung oder Vulkanaktivitäten – erklärt werden. Zu drei Vierteln muss der Klimawandel demnach auf die Freisetzung von Treibhausgasen durch den Menschen zurückgeführt werden.

Die Paläoklimatologie liefert immer öfter die entscheidenden Daten und Hinweise, mit denen Unsicherheiten verkleinert und die Schwächen der grobskaligen Modelle gemindert werden – die unvermeidliche &quot-Parametrisierung&quot- etwa, das Setzen fester Parametergrößen als mathematischer Näherung von kleinskaligen Prozessen, die mit einem vernünftigen Aufwand rechnerisch nicht aufzulösen sind. So wurde in &quot-Science&quot- (doi: 10.1126/science.1214828) kürzlich gezeigt, dass eine fundamentale Größe aller Prognosen, die Klimasensitivität, bei der Analyse langer Datenreihen tatsächlich etwas geringer ausfällt als bislang geglaubt. Die Klimasensitivität gibt an, um wie viel Grad sich die Welttemperatur ändert, wenn sich der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre verdoppelt. Zwischen zwei und 4,5 Grad – im Mittel drei Grad – lautete die Schätzung bisher. Das hat dazu geführt, dass mit den pessimistischsten Emissionsszenarien und der höchsten Klimasensitivität Erwärmungen von bis zu elf Grad vorausgesagt wurden. Die Crux war: Die Sensitivität wurde aus dem Klimaverhalten lediglich der letzten 160 Jahre, also bis kurz vor der Industrialisierung, abgeleitet. Andreas Schmittner von der Oregon State University und seine Kollegen haben nun Treibhausgase sowie Land- und Meerestemperaturen bis zum Höhepunkt der letzten Eiszeit vor zwanzigtausend Jahren aus vorliegenden Datenquellen rekonstruiert. Ergebnis: Die drakonischsten Voraussagen seien unwahrscheinlich, &quot-der Klimawandel dürfte etwas weniger schlimm ausfallen als vom Weltklimarat 2007 noch prognostiziert&quot-, so Schmittner. Allerdings fällt die beschleunigte Erwärmung bei fortgesetzten Treibhausgasemissionen nicht etwa völlig aus, lediglich die – politisch eher irrelevanten – Maximalwerte müssen korrigiert werden. Statt um drei Grad erwärmt sich der Planet bei doppeltem Kohlendioxidgehalt um 2,4 Grad.

Je mehr die Klimamodelle mit Daten gefüttert und paläoklimatischen Erkenntnisse unterfüttert werden, umso weniger ähnelt das numerische Modellieren dem, was früher gelegentlich als Kaffeesatzlesen bezeichnet worden war. Es ist das immer engere Zusammenspiel von historischer Empirie, theoretischer Physik und Mathematik, das den Fortschritt ausmacht. In den &quot-Proceedings&quot- der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften berichten Forscher der Universität Potsdam und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, wie man Daten aus bis zu fünf Millionen Jahre alten Wüstenstaubablagerungen im Meeresboden genutzt hat, um die Folgen dreier vergleichsweise kurzfristiger, einige tausend Jahre dauernder Klimaveränderungen zu rekonstruieren. So dürfte, ausgelöst durch veränderte globale Ozeanströmungen ausgerechnet zur Blütezeit des Menschenvorläufers Australopithecus, weniger von dem warmen Pazifikwasser nach Afrika transportiert worden sein. Die Folge: Temperaturen und Niederschläge änderten sich und damit die Lebensbedingungen teils rapide.

Immer wieder stoßen Klimahistoriker auf Prozesse, die das Bild der Klimadynamik verändert. Und auch auf immer neue Quellen für Klimadaten. In der Zeitschrift &quot-Climate Dynamics&quot- berichtet Steffen Hetzinger vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften Ifm-Geomar zusammen mit kanadischen Kollegen über eine Klimanalyse im Nordpazifik. Statt auf hundertjährige Messungen hat man sich die Jahresbänder in den Skeletten kalkablagernde Rotalgen angesehen und aus den Magnesium- und Kalzium-Gehalten zweihundert Jahre Temperaturverlauf rekonstruiert.

Eine deutsch-amerikanische Gruppe um Michael Weber von der Universität Köln und des Alfred-Wegener-Instituts hat alte Sedimentkerne und Daten aus der Antarktis untersucht. Sie haben damit herausgefunden, dass das Eisschild im Bereich des Weddellmeeres, das lange als besonders stabil galt, am Ende der letzten Eiszeit vermutlich fünftausend Jahre früher als gedacht und damit zeitgleich mit den nördlichen Eisschilden geschmolzen ist (&quot-Science&quot-, Bd. 334, S. 1265). Der Eispanzer reagierte auf den plötzlichen Anstieg des Meerespiegels um fünf bis zehn Meter und wärmerem Wasser, das sich mit der Eisschmelze im Norden bildete. Die bisher unvermutete Instabilität des Ostantarktischen Eisschildes hat Konsequenzen auch für die Klimamodelle, sagt Michael Weber: &quot-Die Prognosen des künftigen Meerespiegelanstiegs, der durch den Klimawandel hervorgerufen wird, müssen nun angepasst werden.&quot-