
Ungeprüfte Kunsthüften, Brustimplantate mit Billig-Silikon: Die Kritik an laxen Zulassungsregelungen für Medizinprodukte in der Chirurgie reißt nicht ab. Echte Innovationen sind selten.
Die Skandale um fehlerhafte, minderwertige und – wie jetzt – nicht zugelassene Kunstgelenke reißen nicht ab: Vergangene Woche, während sich die chirurgischen Fachgesellschaften auf ihrer gemeinsamen Jahrestagung in München mit dem Thema Patientensicherheit beschäftigten, kam wieder ein Prothesenhersteller in die öffentliche Kritik. Die Pariser Firma Ceraver soll seit Jahren ungeprüfte Kunsthüften in Umlauf gebracht haben. Bislang scheint zwar niemand zu Schaden gekommen zu sein, jedenfalls liegen der französischen Aufsichtsbehörde ANSM keine Meldungen vor. Dennoch rät sie den behandelnden Chirurgen, die insgesamt 650 betroffenen Patienten einzubestellen und zu untersuchen. Ob und wie viele Personen in Deutschland diese Prothesen erhalten haben, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Dass es dem Unternehmen gelungen ist, jahrelang nicht zertifizierte Hüftimplantate zu vertreiben, wirft gleichwohl ein Schlaglicht auf die laxe Handhabung von Medizinprodukten. Denn dabei mangelt es nach wie vor an sachgerechten Kontrollen – und das sowohl vor als auch nach der Markteinführung.
Viele der in die Kliniken gelangenden neuen Implantate besitzen zudem keinerlei Mehrwert für den Patienten. Neu ist nämlich nicht gleichbedeutend mit besser. Ein Beispiel sind die anfänglich als innovativ gefeierten Hüftgelenke aus Metall, die im Labor mit guten Materialeigenschaften glänzten, im menschlichen Körper aber teilweise verheerende Schäden anrichteten. „Von Innovation kann man in der Medizin daher nur sprechen, wenn das neue Verfahren wirksamer, sicherer, leichter anwendbar oder – bei identischer Sicherheit und Wirksamkeit – preisgünstiger ist als das alte“, sagte Hartwig Bauer, der ehemalige Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, in München. „Senkt ein neues Medikament den Cholesterinwert etwa noch weiter als das bisherige, stellt das per se noch keinen Forschritt dar.“ Hiervon könne erst die Rede sein, wenn das neue Mittel auch die Herzinfarktrate noch nachhaltiger vermindert oder aber verträglicher ist als das herkömmliche. Um solche Aussagen treffen zu können, sei es aber unabdingbar, den Nutzen der beiden Therapien systematisch miteinander zu vergleichen.
Die Zulassungspraxis verschärfen
Während sich neue Arzneimittel solchen Vergleichen stellen müssen, sieht die Wirklichkeit bei chirurgischen Verfahren oft anders aus. Laut Edmund Neugebauer vom Institut für Forschung in der operativen Medizin der Universität Witten/Herdecke war es in der Chirurgie lange Zeit üblich, eine neue Operationsart bei zwei Patienten auszuprobieren und dann an die Presse zu gehen, um die Methode publik zu machen. Aber auch Medizinprodukte könnten tausendfach angewandt werden, ohne jemals in angemessener Weise getestet worden zu sein.
Angesichts der von allen Seiten einprasselnden Kritik will die EU die einschlägige Zulassungspraxis jetzt verschärfen. „Der von der europäischen Kommission eingereichte Vorschlag greift allerdings zu kurz“, sagte Neugebauer. In einer Petition haben Wissenschaftler aus ganz Europa, unter ihnen Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, nun auf die Mängel der überarbeiteten EU-Richtlinie hingewiesen. Wie Neugebauer und die anderen Autoren monieren, müssen die Unternehmen weiterhin keine Beweise dafür vorlegen, dass ihr Produkt dem Patienten einen relevanten Nutzen bringt. Zudem appellieren sie an die EU, die Zertifizierung von potentiell riskanten Medizinprodukten ähnlich wie die Zulassung von Arzneimitteln einer zentralen Behörde zu übertragen. Bislang obliegt diese Aufgabe den 84 europäischen Prüfzentren. Sie sind zwar von staatlicher Seite ernannt, befinden sich aber in privater Hand. Jedes Unternehmen kann zudem entscheiden, an welches Prüfzentrum es sein Gesuch um ein CE-Zertifikat stellt. Kommt es bei einem nicht weiter, klappt es häufig beim nächsten.
Verdeckte Recherche
Wie leicht es ist, sich ein CE-Gütesiegel zu besorgen, zeigte eine verdeckte Recherche britischer Journalisten im „British Medical Journal“ (BMJ2012-345:e7163). Es war den Medienvertretern gelungen, einen CE-Stempel für eine metallene Kunsthüfte zu erhalten, die von ihnen beauftragte Experten für die Undercover-Investigation angefertigt hatten. Das Brisante daran: Bei der Prothese handelte es sich um die getreue Nachahmung eines Implantats, das wegen schwerer Sicherheitsmängel vom Markt genommen worden war. Wenig erstaunen kann angesichts solcher Zustände, dass die Branche immer wieder in Misskredit gerät.
Peter Vogt von der Klinik und Poliklinik für Plastische Chirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover erinnerte in dem Zusammenhang an den Skandal um die mit Billig-Silikon gefüllten Brustimplantate der französischen Firma PIP. Auch hier waren unzureichende Kontrollen ausschlaggebend. „In den Vereinigten Staaten haben die minderwertigen Prothesen nie eine Zulassung erhalten. Den dortigen Behörden waren bereits im Jahr 2000 – also zehn Jahre, bevor die Betrügereien ans Licht kamen – Unregelmäßigkeiten und Qualitätsmängel aufgefallen.“ Die Bedenken der amerikanischen Behörden seien hierzulande aber ungehört verhallt. Wie Vogt einräumte, haben Brustimplantate aus Silikon generell erhebliche Nachteile. In der Schönheitschirurgie versagten zwanzig Prozent aller Silikonkissen innerhalb von zehn Jahren, in der Brustkrebschirurgie sogar fünfzig Prozent. „Nach zwanzig Jahren liegt die Versagerquote dann generell bei hundert Prozent, unabhängig vom Operationsgrund.“ In der Wiederherstellungschirurgie greife man daher mittlerweile vermehrt auf körpereigenes Gewebe zurück- die Ergebnisse seien in der Regel besser.
Echte Innovationen haben es schwer
Während Pseudo-Innovationen oft problemlos an den Markt gelangen, haben es echte Innovationen häufig schwer, Fuß zu fassen. Wie hürdenreich der Weg durch die Bürokratien sein kann, wissen Forscher um Axel Haverich von der Klinik für Herzchirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover. Seit vielen Jahren bemühen sich die Hannoveraner Ärzte, eine von ihnen entwickelte biologische Herzklappe in einer größeren wissenschaftlichen Studie zu testen, um damit die Möglichkeit zu erhalten, ein Zulassungsverfahren einzuleiten.
Wie Haverich sagte, fühlte sich anfangs keine Behörde für sie zuständig, weil die von ihnen verwendeten Herzventile von menschlichen Spendern stammen. Anders als die Herzklappen von Tieren, die seit vielen Jahren einen festen Platz beim chirurgischen Klappenersatz einnehmen, fallen menschliche Herzventile in der EU nämlich nicht unter das Medizinproduktegesetz. „Menschliches Gewebe gilt hier als Arzneimittel, wird also gesondert behandelt“, sagte Haverich. Das sei zwar verständlich, in ihrem speziellen Fall aber nur bedingt nachvollziehbar. Denn sie würden alle Zellen des Spenders vollständig entfernen und das zurückbleibende Bindegewebsgerüst anschließend mit körpereigenen Zellen des Patienten besiedeln. Die gute Nachricht: Eine eigens einberufene internationale Ethikkommission hat jetzt grünes Licht für die Studie gegeben, die EU unterstützt das Projekt mit fünf Millionen Euro. Denn die Ergebnisse der bisher erfolgten Heilversuche sind außerordentlich positiv. Noch keine der bislang implantierten 125 Herzklappen soll versagt haben. Ein weiteres Plus: Bei Kindern wächst das Herzventil mit, so dass den kleinen Patienten weitere Eingriffe dieser Art erspart bleiben dürften.
Sollte sich das neue Verfahren in der Studie behaupten, wäre das ein Durchbruch in der Herzchirurgie. Denn die Herzventile von Tieren besitzen im menschlichen Organismus eine nur begrenzte Haltbarkeit, und die mechanischen Verschlusssysteme sind zwar langlebig, fördern aber die Bildung von Blutgerinnseln. Die Träger solcher Implantate müssen deshalb zeitlebens blutverdünnende Medikamente einnehmen, die wiederum die Entstehung von Blutungen begünstigen. Zu hoffen bleibt daher, dass es bald eine Alternative zu den herkömmlichen Therapien gibt.
