Medizin

Ein Virus, das gern zum Menschen ausweicht

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Mehr als hundert Erkrankte bisher: Wie gefährlich ist der neue Erreger H7N9 aus China? Einige Mutationen bereiten den Wissenschaftlern größere Sorgen.

Seit fünf Wochen versuchen Experten zu verstehen, wie gefährlich das neue Vogelgrippevirus H7N9 aus China ist. Bis zum 2. Mai sind 128 Erkrankungen und 26 Todesfälle registriert worden- derzeit werden die Fallzahlen wöchentlich aktualisiert. Weil die chinesischen Behörden das Virus rasch an alle relevanten Referenzlabore der Welt verteilt haben, konnte ein erster Steckbrief zusammengestellt werden, der allerdings noch erhebliche Lücken aufweist.

H7N9 ist ein Tiervirus. Es gibt keinen Beleg für eine anhaltende Übertragung von Mensch zu Mensch. 76 Prozent der Erkrankten hatten Kontakt zu Hühnern („New England Journal of Medicine“, doi:10.1056/NEJMoa1304617). Einige wenige Kranke können sich bei infizierten Angehörigen angesteckt haben. Bei den anderen Erkrankungen ist nicht klar, wie es zu der Infektion gekommen ist. Hühner und Tauben gelten nach Aussagen von Hans-Dieter Klenk, Virologe und Influenzaforscher an der Universität Marburg, derzeit als die wichtigste Infektionsquelle. Allerdings ist es auch möglich, dass es noch weitere Reservoire gibt, die bisher nicht entdeckt worden sind. Wäre dies der Fall, würde die Eindämmung der Infektion erschwert werden, weil die Viren immer wieder über diese noch unbekannten Quellen in Umlauf gebracht würden.

Für Vögel kaum gefährlich

Das neue H7N9-Virus ist für Vögel gänzlich ungefährlich, führt beim Menschen aber zu einer schweren Influenza, die nicht selten tödlich endet. Auf Vögel bezogen gilt H7N9 aber als niedrigpathogen. Das 1997 erstmals aufgetretene Vogelgrippevirus H5N1 ist für Vögel dagegen hochpathogen, weil es die Tiere schnell verenden lässt. Wegen der fehlenden Krankheitssymptome kann man Hühnerbeständen oder feilgebotenem Geflügel nicht ansehen, ob sie mit H7N9 infiziert sind oder nicht. Die Welttiergesundheitsorganisation hat bestätigt, dass das Virus in Hühnern nachgewiesen wurde, die zum Verzehr bestimmt waren. Es gibt allerdings keinerlei Hinweise darauf, dass eine Geflügel- oder Eiermahlzeit aus infizierten Beständen eine Infektionsquelle sein könnte.

Zu denken gibt den Influenzaexperten auch, dass verhältnismäßig viele Menschen in relativ kurzer Zeit erkrankt sind. Mit H5N1 haben sich zwischen 2003 und 2011 weltweit nur 566 Personen infiziert. Das neue Virus hat es in den wenigen Wochen, in denen es in einigen chinesischen Provinzen zirkuliert, bereits auf ein knappes Viertel dieser Erkrankungszahl gebracht. An H5N1 ist jeder zweite Infizierte gestorben, an H7N9 bisher jeder fünfte. Daraus abzuleiten, dass das neue Vogelgrippevirus vielleicht weniger Todesfälle verursachen könnte als H5N1, sei sicher nicht zulässig, sagt Hans-Dieter Klenk. Wie gefährlich H7N9 für den Menschen sei, könne bisher nicht gesagt werden, so der Virologe. Man müsse die weitere Entwicklung abwarten.

Kaum milde Verläufe?

Unklar ist bisher auch, ob die schweren Krankheitsverläufe die Regel oder die Ausnahme sind. Vieles spricht dafür, dass es kaum milde Infektionen gibt, weil es unter den Kontaktpersonen bisher nur sehr wenige leichte Erkrankungen gegeben hat. Das „New England Journal of Medicine“ berichtete in der oben genannten Studie vor einigen Tagen, dass sich von 1251 untersuchten Personen aus dem Umfeld der Kranken und Verstorbenen anscheinend niemand angesteckt hat. Offen ist auch noch, inwieweit die Begleiterkrankungen einiger Patienten für deren Tod verantwortlich sind und welchen Anteil das Virus am fatalen Ausgang der Infektion hat. Aus den veröffentlichten Krankenakten der ersten drei Todesopfer geht hervor, dass zwei der Verstorbenen eine Hepatitis-B-Infektion hatten, der dritte eine chronisch obstruktive Bronchitis („New England Journal of Medicine“, doi: 10.1056/NEJMoa1304459). Allerdings ist es nicht ungewöhnlich, dass gerade besonders kranke Menschen an einer Influenza-Infektion sterben. Deshalb wird dieser Bevölkerungsgruppe auch jedes Jahr die saisonale Grippeimpfung empfohlen.

Seinen Ursprung hat das neue Virus in drei anderen Influenza-A-Viren aus Vögeln. Das Gen für sein Oberflächenprotein Hämagglutinin H7 stammt wahrscheinlich von H7-infizierten Hausenten aus der chinesischen Provinz Zhejiang, sein Neuraminidase-Gen N9 von infizierten Wildvögeln aus Korea. Die restlichen Gene sind vermutlich von einem mit H9N2 infizierten Bergfinken beigesteuert worden.

Charakteristische Mutationen

Für den Menschen könnte H7N9 wegen einiger genetischer Veränderungen gefährlich werden. „Das neue Vogelgrippevirus besitzt charakteristische Mutationen, die es näher an ein typisches Säuger-Influenza-Virus heranrücken“, erklärt Klenk. Bei einer der kritischen Mutationen ist eine Aminosäure in Position 226 des H7-Gens ausgetauscht worden. Anstelle eines Glutamins taucht dort ein Leucin auf (doi:10.1056/ NEJMoa1304459). Was auf den ersten Blick wie eine Bagatelle aussieht, hat weitreichende Konsequenzen für die Wirtsspezifität. Das Glutamin ist nämlich die spezifische Signatur für den Virusrezeptor der Vögel, das Leucin für den Virusrezeptor des Menschen. „Durch diese Mutation hat H7N9 vermutlich die Fähigkeit erworben, an den humanen Virusrezeptor in den unteren Atemwegen anzudocken“, erklärt Klenk. Bewiesen sei das zwar noch nicht, aber nach allem, was man bisher aus den Untersuchungen zum Pandemiepotenial aviärer Influenzaviren wisse, sei dies durchaus wahrscheinlich.

In „Science“ zeigen Wei Zhang und seine Kollegen von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, wie sich solche Mutationen auf das Bindungsverhalten der Vogelgrippeviren auswirken. Sie zwingen das Virus offensichtlich dazu, sich dem Rezeptor in einer anderen Position zu nähern. Aus dieser Position heraus binden sie besser an den humanen Virusrezeptor und weniger gut an den Vogelrezeptor. Diese Experimente wurden allerdings mit H5N1 gemacht, nicht mit H7N9 (doi:10.1126/science.1236787).

Die zweite von H7N9 erworbene Mutation, die den Experten Sorgen macht, ist ein Aminosäuren-Austausch im sogenannten PB2-Gen. Diese Mutation fördert die Vermehrung von H7N9 und macht das Virus temperaturempfindlicher. In den Atemwegen des Menschen ist es kühler als im Körpers eines Huhns. Deshalb weicht ein temperaturempfindliches Virus vielleicht lieber auf einen Wirt aus, bei dem es weniger warm ist.