Audio & Video

„Deutsche sind bei Spielwaren Elektronikmuffel“

• Bookmarks: 38


Mit ihrer Auswahl von Spielzeug für den Gabentisch sind die Bundesbürger wahre Sonderlinge. Spielwarenforscher Werner Lenzner erklärt, warum Eltern hierzulande internationale Verkaufsschlager verschmähen.

Herr Lenzner, unter dem Weihnachtsbaum liegt traditionell viel Spielzeug. Bekommen deutsche Kinder mehr als Gleichaltrige in anderen Ländern?

Nein, im Gegenteil. Wir liegen deutlich hinter Frankreich und Großbritannien zurück. Für ein Kind werden in Deutschland im Jahr rund 250 Euro für Spielwaren ausgegeben. Die Franzosen kommen knapp an 300 Euro heran, Engländer geben sogar mehr als 300 Euro aus. In Deutschland liegen nur die Ausgaben für Drei- bis Fünfjährige bei mehr als 300 Euro.

Woran liegt das?

Ein Grund ist, dass Franzosen schon bei Kleinkindern bis zwei Jahre wesentlich ausgabefreudiger sind. Außerdem spielt eine Rolle, dass sich in Deutschland auch Erwachsene gegenseitig beschenken. Sie verteilen ihre Ausgaben auf Weihnachtspräsente für mehr Personen. In anderen Ländern ist Weihnachten ausschließlich für die Kinder da.

Kinder in Deutschland könnten auf die Zukunft hoffen. Mit Eltern, Großeltern und Tanten kommen auf eine sinkende Kinderzahl immer mehr Erwachsene, die zusammen mehr ausgeben können.

Zunächst versuchen Eltern, die Zahl der Spielzeug-Geschenke ihres Umfeldes zu regulieren. Ihre Tochter oder ihr Sohn soll nicht wahllos überhäuft werden. Mit Großeltern, Onkeln und Tanten wird deshalb abgesprochen, was ein Kind bekommt. Das Hauptgeschenk, das für ein Kind nun mal das Spielzeug ist, wollen die Eltern aber am liebsten selbst überreichen. Großeltern werden mit Bekleidung oder Schulsachen vertröstet.

Eltern hierzulande veranschlagen ein anderes Budget, schenken sie auch andere Spielsachen?

Ja, das Konzept des Systemspielzeugs ist in anderen Kulturen weniger geläufig. Denken Sie an Lego oder Playmobil, die erzielen bei uns höhere Marktanteile als woanders. In Deutschland wird zunächst ein Grundkasten geschenkt, später gibt es die Erweiterung dazu. Und wenn das Systemspielzeug lange im Kinderzimmer bleibt, sieht das Zimmer in den Augen der Eltern voll aus. In anderen Ländern wird Spielzeug eher aus dem Kinderzimmer herausgeräumt und auch weggeworfen.

Deutsche schmeißen kaum Spielwaren weg, oder?

Nein, wenn etwas nicht mehr gebraucht wird, verkaufen sie es lieber – zum Beispiel auf dem Flohmarkt. Gerade bei Systemspielzeug funktioniert das sehr gut. Die Artikel sind immer kompatibel mit anderen Sets, und sie halten sehr lange. Lego-Steine kommen einmal in die Waschmaschine, dann sind sie wieder sauber.

Gibt es typisch deutsche Spielzeuge, die im Ausland kaum Erfolg haben?

Die Modelleisenbahn ist ein sehr deutsches Phänomen. Auch das Laufrad ist nur hier so populär. Bei uns heißt es: Das ist ja praktisch, dann kann das Kind gleich Fahrradfahren lernen. Woanders gibt es das gar nicht. Dass Brettspiele ein deutsches Phänomen sind, ist hingegen ein Mythos. Wir haben zwar mehr Spieletitel im Angebot, aber gemessen am Umsatz ist der Markt in Frankreich größer. Für Deutschland ist lediglich typisch, dass auch Erwachsene untereinander spielen und nicht bloß mit Kindern.

Und umgekehrt: Womit scheitern ausländische Hersteller in Deutschland?

Lizenzthemen, wie Figuren oder Spiele zu einem aktuellen Kinofilm, haben hierzulande oft ein Negativimage. Sie gelten als teuer und schnell überholt. Allerdings: Wenn die Deutschen ein Thema doch lieben, wird die Nachfrage richtig stark. Star-Wars-Spielzeug und Artikel zu den Cars-Trickfilmen können mit ihren Umsätzen im internationalen Vergleich mithalten. Daneben gibt es aber unzählige Beispiele für Produkte, die bei uns scheitern: Farben scheinen zu grell, Action-Figuren zu aggressiv, Puppen zu sexy.

Zu sexy?

Vor ein paar Jahren gab es eine Puppenreihe aus Amerika, mit großem Kopf, sehr modisch gekleidet und sehr stark geschminkt. Die hatte nahezu überall auf der Welt Erfolg, nur in Deutschland nicht.

Täuscht der Eindruck, dass Spielzeug in Amerika und Asien immer viel bunter ist als bei uns?

Nein, das ist so. Das andere Farbempfinden ist einer der größten Unterschiede. Auch die Materialvorlieben sind andere. Wir haben einen Hang zu Holz und Textilien, woanders gilt Kunststoff als praktisch, weil der leichter zu reinigen und deshalb hygienischer sei.

Haben auch Amerikaner und Asiaten unterschiedliche Präferenzen, oder sind die Deutschen bei Spielwaren Sonderlinge?

Wie es aussieht, steht Deutschland eher allein gegen den Rest der Welt. Bei uns gibt es viel mehr Bedenken. Mit Spielzeugwaffen gehen Eltern sehr restriktiv um. Sie haben mehr Erwartungen an Spielzeug, es muss langlebig, edukativ und wertvoll sein – und günstig. Dennoch spielen Wunschzettel der Kinder eine große Rolle. Deutsche Eltern kaufen weniger auf eigene Initiative. Aber sie besprechen Wünsche vorab und schauen, in welche Richtung sie ihre Kinder leiten können.

Was ist denn gutes Spielzeug?

Oft heißt es, gutes Spielzeug muss pädagogisch wertvoll sein. Davon möchte ich etwas abrücken. Für mich ist ein gutes Spielzeug etwas, was Kinder begeistert. Die hässlichste Action-Figur, die wir Erwachsenen ablehnen, kann die Phantasie eines Kindes anregen und dazu führen, dass sich ein Kind tagelang damit beschäftigt. Wenn man das Pädagogische zu sehr in den Vordergrund rückt, wird es für Kinder oft langweilig. Ein Spiel, das Eltern und Kinder zum Spielen zusammenbringt, ist gut. In anderen Ländern ist es dagegen anerkannt, Spielzeug zu kaufen, damit ein Kind mal eine Stunde damit allein beschäftigt und ruhig ist.

Elektronik ist im Kinderzimmer auf dem Vormarsch, Tabletcomputer werden mit Apps und anderen Ergänzungen zu Spielgeräten. Nicht wenige Eltern fragen sich, ob sie ihrem kleinen Kind schon ein Tablet geben sollen oder sogar müssen?

Müssen tut man gar nichts. Von der Entwicklung her sind Kinder heute nicht anders als vor 20 Jahren. Elektronik bringt nicht automatisch einen Entwicklungsvorsprung. Kinder müssen erst einmal Grundlagen wie Greifen, Sprache, Farben lernen. Das geht auch ohne Elektronik. Verteufeln will ich sie aber auch nicht. Wir leben nun mal im 21. Jahrhundert. Kinder sehen die Geräte und möchten teilhaben. Wenn man sie künstlich fernhält, führt das zu Frustration. Wenn Elektronik den herkömmlichen Spielzweck unterstützt und das Spiel moderner wirkt, ist sie sehr gut eingesetzt.

Auf der Nürnberger Spielwarenmesse Anfang des Jahres wurden sogenannte iToys als der nächste große Trend gefeiert. Sind die Hoffnungen der Branche aufgegangen?

Noch nicht. Von den Produkten, die 2012 erstmals auf der Messe zu sehen waren, hat sich keines als der große Verkaufshit herausgestellt. Man muss aber berücksichtigen, wie viele Haushalte mit Kindern überhaupt schon ein Tablet besitzen. Bislang sind iToys eine Entwicklung, die es wert ist, sie zu beobachten. Für den Durchbruch genügt nicht bloß ein App-Spiel, es muss einen echten Zusatznutzen geben. Mir fallen spontan die Skylanders-Charaktere ein. Die werden auf eine Plattform gestellt, die mit einer Spielekonsole verbunden wird. Die Figuren erscheinen dann im Videospiel. Sie können auch gesammelt und zu Freunden mitgenommen werden, um dort weiterzuspielen. Aber noch sind die Deutschen bei Spielwaren Elektronikmuffel. Grundspielsachen bleiben bedeutender. Dazu zählen beispielsweise Bausätze von Lego, Playmobil-Figuren, Puppen wie Barbie, Sportspielzeug und für Jungen Autos – auch mit Fernsteuerung. Das sind die großen Umsatzträger.

Die Zahl der Kinder sinkt. Kann der Spielwarenmarkt hierzulande überhaupt noch wachsen?

Wachstum zu erzielen wird sicher schwieriger. Die Branche muss den Umsatz je Kind erhöhen. Ich sehe dafür Möglichkeiten bei Sechs- bis Zwölfjährigen. Durch die Veränderungen auf dem Elektronikmarkt ist wieder Geld freigeworden, das für Kinder in dieser Altersgruppe in der Vergangenheit für Computer- und Videospiele ausgegeben wurde. Mit Produkten für Kleinkinder und Kindergartenkinder dürfte es hingegen schwieriger werden. Die bekommen schon alles, was sie benötigen. Der Markt dort ist gesättigt, es gibt einen Verdrängungswettbewerb.

Das Gespräch führte Timo Kotowski.