Familie

Schön, dich kennenzulernen (1)

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Ein Gericht hat entschieden: Menschen, die ihre Geburt einer Samenspende verdanken, dürfen wissen, wer ihr Erzeuger ist. Für die 30 Jahre alte Astrid ist es die Erfüllung eines Traums. Doch ihren Vater zu finden, ist gar nicht so einfach.

Dass ich ein Spenderkind bin, habe ich vor vier Jahren erfahren – als ich selbst schwanger war. Da hat meine Mutter mich in ein Café eingeladen und mich gebeten, ihr zu versprechen, dass ich ihr nicht böse sein würde, wenn sie mir gleich was erzählen würde. Tja, und dann ließ sie die Bombe platzen: dass mein Vater zeugungsunfähig sei und sie deswegen diesen Weg gegangen seien. Weil sie sich so sehr ein Kind gewünscht hätten. Und dass sie nie gewusst hätte, wann der richtige Moment sei, um es mir zu sagen.

Im ersten Moment stand ich komplett neben mir. Ich fühlte mich hilflos und allein. Plötzlich war nichts mehr wahr von dem, worauf mein ganzes Leben aufgebaut war. Ich wusste nicht einmal mehr, wer ich bin. Zitternd und weinend erzählte ich es am Abend meinem Mann. Er tröstete mich und sagte, er fände es wunderbar, dass ich so bin, wie ich bin. Aber mir war nicht zu helfen. Ich dachte an diesen Spender, meinen biologischen Vater, und fragte mich: Wie lebt er, wie sieht er aus, was macht er?

Ich wurde in einer Klinik gezeugt, die es nicht mehr gibt

Ich lief über die Straße und guckte irgendwelchen wildfremden Männern um die Fünfzig im Vorbeigehen in die Augen. Ich hatte das Gefühl, wahnsinnig zu werden vor lauter Verzweiflung. Und ich fragte mich, ob mir noch weitere Enthüllungen bevorstünden. Ob meine Eltern mir noch mehr Lügen aufgetischt hatten.

Dann versuchte ich, etwas über meinen biologischen Vater herauszufinden. Aber ich wurde in einer Klinik gezeugt, die es heute nicht mehr gibt. Sie ist wie vom Erdboden verschluckt. Und die Spendernummer meines Spenders hat meine Mutter weggeworfen. Es ist also so gut wie ausgeschlossen, dass ich meinen biologischen Vater jemals finden werde.

In den folgenden Jahren war ich dauernd krank. Eine Grippe nach der anderen, ich bekam die Mandeln raus, dauernd rasende Kopfschmerzen, Nasennebenhöhlenentzündungen, Nahrungsergänzung, CT vom Kopf, ich konnte kaum noch aufstehen. Das Kind war dauernd bei der Schwiegermutter, und keiner fand die Ursache für meine Krankheiten. Man schob es auf die Nachwirkungen der Schwangerschaft. Aber in Wirklichkeit lag es daran, dass mein Urvertrauen in alles und jeden komplett weg war.

Etwa 100 000 Spenderkinder in Deutschland

Ich verstehe auch nicht, wie systematisch und durchgehend meine Eltern mich angelogen haben. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass ich mit zwölf Heuschnupfen bekommen habe. Und da sagte meine Mutter: „Ich kann gar nicht verstehen, dass du Heuschnupfen hast, niemand in unserer Familie hat Heuschnupfen, von wem hast du den bloß?“ Ich hätte da an ihrer Stelle wenigstens geschwiegen.

Bei einer Mutter-Kind-Kur letztes Jahr habe ich dann eine Tanztherapie gemacht, und danach habe ich nur noch geweint. Das anschließende Gespräch mit der Therapeutin hat mir geholfen, zu akzeptieren, was passiert ist. Und auch der Verein „Spenderkinder“ gibt mir viel Trost. Da sind andere Menschen, denen es genauso geht wie mir. Wir schätzen, dass es etwa 100 000 Spenderkinder in Deutschland gibt, die ihren Vater nicht kennen. Und wir fordern, dass ein zentrales Register eingerichtet wird, das alle Spender und Empfänger erfasst.

Meine Mutter hat inzwischen bereut, dass sie es mir erzählt hat – weil sie gesehen hat, dass es mich so aufregt. Die Ärzte hatten ihr damals ohnehin geraten, es mir nie zu sagen. Aber dann wollte sie diese Lebenslüge doch nicht für sich behalten. Verstehen kann sie meine Aufregung nicht. Sie findet, dass ich mich in die Sache hineinsteigere. Und sie sagt, dass ich mit dem Mann nichts zu tun hätte.

Mein Vater weiß gar nicht, dass ich es weiß. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich sieben war. Ich hatte immer schon ein ganz schlechtes Verhältnis zu ihm. Die Chemie hat nicht gestimmt, im wahrsten Sinne des Wortes: Umarmungen, Küsschen, sein Geruch – das war mir unangenehm. Heute weiß ich, warum. Damals fragte ich mich nur, warum ich so anders bin als er. Die Gene machen viel mehr aus, als man denkt. Seit sieben Jahren habe ich jetzt gar keinen Kontakt mehr zu ihm. Aber im Nachhinein fällt mir eine Situation ein, die ich damals nicht deuten konnte. Bei unserer letzten Begegnung fragte er: „Hat dir Mama mal irgendwas über mich erzählt?“ Ich verneinte. Da drehte er sich zu seiner Lebensgefährtin um und sagte zur ihr: „Sie weiß es nicht.“

Ich stelle ihn mir ganz toll vor

Ich bin meiner Mutter heute nicht mehr böse, weil sie mir sehr plausibel gemacht hat, dass ich ein Wunschkind war. Was ich ihr nicht verzeihen kann, ist, dass sie meine Spenderunterlagen nach der Scheidung im Haus zurückgelassen hat. Das war doch meine Identität – so wichtig wie meine Geburtsurkunde! Es ärgert mich, dass die Ärzte, die so viel an meiner Zeugung verdient haben, meine Mutter so schlecht beraten haben. Aber wenn ich meinen biologischen Vater treffen würde, würde ich ihm trotzdem danken. Ich bin ja froh, dass es mich gibt. Und ich glaube, ich habe optisch ganz, ganz viel von ihm geerbt, weil ich so ganz anders aussehe als meine Eltern. Wenn ich in den Spiegel schaue, packt mich eine unbändige Neugier, weil ich wissen will, was an mir von ihm ist.

Und auch sonst: Ich würde alles von ihm wissen wollen und mich darin wiederfinden. Ich stelle ihn mir ganz toll vor: offen, herzlich, liebevoll, humorvoll. Und in meinen Tagträumen male ich mir aus, ich könnte ihm schreiben und ihn vielleicht sogar anrufen, und dann würden wir uns im Park treffen, und er würde sagen: „Schön, dich kennenzulernen.“ Aber selbst wenn das Treffen eine Enttäuschung für mich wäre, könnte ich das wohl hinnehmen und das Thema abschließen. Ich hätte meinen inneren Frieden. Im Moment ist da, wo mein biologischer Vater sein sollte, nur ein großes schwarzes Loch. Da wurde durch die Enthüllung meiner Mutter alles weggerissen.

Wenn ich heute alte Fotos anschaue, die Familie an Ostern, an Weihnachten unterm Baum, dann denke ich, in was für einer Scheinwelt ich gelebt habe. Ich habe 26 Jahre lang an eine Lüge geglaubt.

Den Bericht eines privaten Samenspenders lesen Sie im zweiten Teil.