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Der Basar der Weinberge ist eröffnet

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Das Douro-Tal, die Heimat des Portweins, hat in den vergangenen zehn Jahren eine wahre Rotwein-Revolution erlebt. Doch aus dem Boom ist eine Krise geworden – wie überall in Portugal.

Francisco Olazabal steht auf der Anhöhe vor der alten Kapelle. Von hier aus hat er einen weiten Blick über das Tal, den Fluss und die Weinberge. Voller Stolz spricht er von der Tradition seiner Familie und von Dona Antonia Adelaide Ferreira, seiner legendären Urururgroßmutter. 1877 hat sie dieses Land gekauft und mit Rebstöcken, Olivenbäumen und Korkeichen bepflanzen lassen. Heute gehören die gut 300 Hektar in der Nähe der kleinen Ortschaft Pocinho zur Quinta do Vale Meão, einem der bekanntesten Weingüter im Douro, jener Region im Norden Portugals, die den Portwein hervorgebracht hat und die zu den spektakulärsten Weinanbaugebieten der Welt gehört.

Rotwein-Boom, der das ganze Gebiet mitgerissen hat

Über mehr als 900 Kilometer wälzt sich der Douro aus der spanischen Region Kastilien-León, wo er Duero heißt, Richtung Westen, quer durch Portugal bis zum Atlantik. Tief hat der Fluss sich in die zerklüftete Landschaft gegraben und windet sich in großen Schleifen durch das Land. Steil erheben sich von seinen Ufern auf Granit- und Schiefergestein die zahllosen Rebterrassen – eine einzigartige, atemberaubende Szenerie, die seit 2001 zum Weltkulturerbe der Unesco gehört. Seit Jahrhunderten wachsen hier die Trauben für den Portwein. Auf dem breiten Strom wurde das rote Gold einst in Fässern zu den großen Kellereien und Handelshäusern nach Porto gebracht, gelagert und in alle Welt verschifft.

Auch Francisco Olazabal produziert Portwein. Jeder Winzer tut das hier. Doch viel mehr als für dieses weltberühmte Traditionsprodukt steht sein Name für große, trockene Rotweine. Denn der Dreiundvierzigjährige ist einer der Douro Boys. Und die haben vor etwas mehr als zehn Jahren eine kleine Revolution im Douro angezettelt, einen Rotwein-Boom, der das ganze Gebiet mitgerissen und zu Portugals dynamischstem Anbaugebiet gemacht hat. Längst sind die fünf Winzer, deren führender Kopf der charmante, omnipräsente Dirk Niepoort ist, in ganz Europa und darüber hinaus bekannt – und von der Krise, die sich inzwischen über das Douro-Gebiet und ganz Portugal gelegt hat, spüren sie kaum etwas.

Der Jahrgang 2012 macht Sorgen

Sorgen macht sich Olazabal um den Jahrgang 2012. Nicht wegen der Qualität. „Die stimmt“, sagt er und grinst. Aber die enorme Trockenheit im Frühjahr und vor allem im Sommer vergangenen Jahres haben ihm auf seinen gut 90 Hektar Rebflächen etwa 30 Prozent weniger Ertrag beschert. Das ist ein herber Einschnitt, aber für die Quinta do Vale Meão nicht bedrohlich. Ganz anders als für viele andere Winzer am Douro. Manche bangen inzwischen sogar um ihre Existenz.

Denn die schlechte Ernte trifft den portugiesischen Weinbau zu einem denkbar ungünstigen Moment: Wie das ganze Land, so leiden auch die Winzer unter der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise, die inzwischen auch den hintersten Winkel Portugals erreicht hat.

Höhere Steuern und Abgaben, wirtschaftliche Unsicherheit, die enorme Arbeitslosigkeit: Diese Mischung lässt die sonst so trinkfreudigen Portugiesen abstinent werden oder zu günstigeren Flaschen greifen. Und seit die Regierung in Lissabon auch noch die ermäßigte Mehrwertsteuer für die Gastronomie von 13 auf 23 Prozent angehoben hat, wissen viele Winzer überhaupt nicht mehr, wohin mit ihren Weinen. Vor allem Tropfen im mittleren Preissegment werden weniger gekauft, bei hochpreisigen Qualitäten ist das Problem geringer – Luxus geht immer. Umso härter trifft es die mittelständischen Winzer, die in den vergangenen Jahren angesichts des Booms viel investiert, Zehntausende Euro für Maschinen, Kellertechnik und neue Gebäude ausgegeben und sich verschuldet haben. Jetzt, da der Absatz stockt, können sie die Kredite nicht mehr bedienen, finanzielle Rücklagen fehlen.

Auch Francisco Olazabal, der wie die anderen Douro Boys 60 bis 70 Prozent seiner Weine ins Ausland liefert, hat investiert. Er hat einen neuen Keller und ein schickes Repräsentationsgebäude samt Verkostungsraum gebaut. Aber das ist kein Vergleich zu José Maria d’Orey Soares Franco. Der Mann hat zusammen mit seinen Geschäftspartnern nämlich ein Vermögen ausgegeben. Er steht für ein Projekt, wie es am Douro kein anderes gibt: 4,5 Millionen Euro haben er und seine Compagnons von der Großkellerei João Portugal Ramos Vinhos seit 2007 in 160 Hektar unberührtes Brachland nahe der Grenze zu Spanien investiert. An den Hängen, die steil zum Fluss abfallen, haben sie 45 Hektar terrassieren und mit Rebstöcken bepflanzen lassen. 2010 wurden die ersten Weine vinifiziert, vom einfachen Tons de Duorum bis zum bombastischen Duorum Reserva. Die Trauben von den höheren, kühleren Lagen geben den Tropfen Säure und Frische, während die Flächen im heißen Tal fruchtige Fülle und Kraft bringen. So entstehen sehr charaktervolle, komplexe Weine, die typisch sind für das Douro-Tal.

Auf die Bremse treten

Aber selbst Männer wie José Maria d’Orey Soares Franco müssen bei allem Geld und langen Atem, den sie haben, inzwischen ein bisschen auf die Bremse treten. „Als wir begannen, war von der Krise nichts zu spüren, jetzt müssen wir einfach langsamer machen“, sagt der Achtundfünfzigjährige. Soll heißen: Die zehn Millionen Euro, die in weitere 45 Hektar Rebflächen, eine Kellerei und den Umbau eines verlassenen Bahnhofs am Flussufer in ein Besucherzentrum fließen sollten, werden nicht mehr im Eiltempo ausgegeben. Jetzt will sich Soares Franco lieber Zeit lassen, um das Potential des Douro auszuschöpfen.

Wie groß dieses ist, das haben zuerst Leute wie Dirk Niepoort und seine Douro Boys erkannt. Im Gegensatz zu Weinmachern in anderen aufstrebenden Weinländern und -regionen haben sie nicht auf internationale Rebsorten und massenkompatiblen Einheitsgeschmack, sondern auf die historische Rebsortenvielfalt ihrer Heimat gesetzt. Statt Cabernet Sauvignon, Merlot, Syrah, Chardonnay oder Sauvignon Blanc vinifizieren sie wie für den Portwein auch für trockenen Weine autochthone Rebsorten wie die roten Touriga Nacional, Touriga Franca, Tinta Amarela, Tinta Roriz, Jaén, Tinta Barroca, Tinta Cão oder die weißen Encruzado, Loureiro Malvasia Fina oder Alvarinho.

Außerdem nutzen sie den traditionellen Mischsatz: Weinberge, in denen die Traubensorten munter durcheinander gepflanzt sind. Solche Lagen bringen im Idealfall unverwechselbare Tropfen von ganz eigenem Charakter hervor, Weine von großer Komplexität und Individualität. Dirk Niepoort hat mit seinem Einstiegswein „Fabelhaft“, der in Deutschland mit einem Wilhelm-Busch-Etikett zum Verkaufsschlager geworden ist, überall in Europa gezeigt, wie gut sich solche Tropfen verkaufen lassen.

Das hat in allen Weinregionen Portugals Eindruck gemacht und viele Winzer in Aufbruchstimmung versetzt. Umso deutlicher ist nun überall auch die Krise zu spüren. Zum Beispiel im Dão, einem traditionellen Anbaugebiet südlich des Douro. Die grüne und hügelige Landschaft mit ihrer üppigen Vegetation und Weinstöcken in praktisch jedem Vorgarten gilt als Heimat des Touriga Nacional. Und weil es im Dão kühler als am Douro ist, präsentieren sich die Weine von dort oft etwas eleganter und charaktervoller – und sind dabei meist günstiger.

Umsatzeinbrüchen von fast 40 Prozent

Von den fast 60.000 Weinbauern füllen allerdings nur die wenigsten ihre Tropfen in Flaschen ab, und kaum mehr als ein Dutzend Winzer sind über die Region hinaus bekannt. Julia Kemper ist eine davon. Die Rechtsanwältin mit der üppigen Lockenmähne hat sich von der Entwicklung im Douro und vom Engagement der Douro Boys anstecken lassen. Mit Hilfe von Dirk Niepoort hat sie seit 2003 die historischen Weinberge ihrer Familie wieder flottgemacht und vinifiziert seither vielbeachtete weiße und rote Bioweine. Die Krise ist für sie noch nicht bedrohlich. „Ich verkaufe drei Viertel meiner Weine im Ausland“, sagt sie und unterstreicht das mit einem selbstbewussten Lächeln.

Das ist den meisten ihrer Kollegen im Dão längst vergangen. Manche berichten von Umsatzeinbrüchen von fast 40 Prozent. Händeringend suchen sie nach alternativen Märkten und Exportchancen. Rui Walter da Cunha ist Weinberater und Önologe und hat Kunden in allen portugiesischen Regionen. Er sieht schwere Zeiten auf viele von ihnen zukommen. „Die meisten Winzer in Portugal haben schon jetzt mit Schwierigkeiten zu kämpfen, aber das nächste Jahr wird richtig hart.“ Die Verwerfungen seien überall zu spüren, im südlichen Alentejo, in der nordwestlich von Lissabon gelegenen Extremadura, im nördlichen Minho oder eben im Dão und am Douro.

Wie viele Winzer und Branchenkenner erwartet auch Walter da Cunha einen spürbaren Strukturwandel. „In den nächsten Jahren werden sicher viele Quintas mittlerer Größe verschwinden.“ Die Krise könnte eine regelrechte Übernahmewelle und einen Run der großen Betriebe auf gute Quintas und Lagen auslösen. „Die Großen mit viel Geld und guter Organisation werden sicher profitieren“, meint der Weinberater. Und das könnte dann auch für Weinmacher wie Francisco Olazabal und Dirk Niepoort eine Chance sein, sich ein paar besondere Flächen zu sichern und ihr Portefeuille um ein paar namhafte Weinberge zu erweitern. Noch weisen die meisten Weinmacher im Douro-Tal solche Gedanken von sich. Aber der Basar ist längst eröffnet. Und wenn die Gelegenheit kommt, dann muss man auch zugreifen. Das wusste schon Dona Antonia Adelaide Ferreira, als sie vor mehr als 130 Jahren das Land für die Quinta do Vale Meão erstand.