Essen & Trinken

Ein Koch im Haus

• Bookmarks: 43


Jeder kann kochen. Aber niemand muss es. Eine Website vermietet professionelle Köche für einen entspannten Abend daheim. Selbstversuch mit einem Könner.

Freitagabend, eine Wohnung in Prenzlauer Berg, an der Grenze zu Mitte. Fünf Freunde sind zum Essen zusammengekommen. Nicht ungewöhnlich, wenn man die 30 überschritten hat und mehr will als ein Stück Pizza auf dem Weg zum Club. Wenn man zum Beispiel zu Hause essen möchte, wo der Nachwuchs spielen kann, so wie die vier Jahre alte Tochter von Sonja Heiss.

Die Autorin und Filmemacherin hat von ihren Freunden zum Einzug in ihre neue Wohnung einen Koch geschenkt bekommen, für einen Abend. Die Freunde sind auch die Gäste: Ellie, die an den letzten Zügen ihrer Dissertation in Geschichte sitzt und deswegen kaum zum Essen kommt. Sabine, Psychologin und Sonjas älteste Freundin. Martin, der Zugbegleiter aus Friesland. Sowie die Autorin dieses Textes, begeisterte und vielseitige Esserin, so lange es nur vegetarisch ist.

Es beginnt mit den Amuse-Bouche. Sie sind: sehr klein. „Hier haben wir den Waldorfsalat“, sagt der Koch des Abends und meint ein Stück geschmorten Sellerie in Apfelgelee, bestreut mit zerbröselten Walnusskernen. Man könnte es fast übersehen. Die Gäste amüsieren sich: „Der Waldorfsalat war halt ein bisschen mächtig“, meint Martin später über die paar Quadratzentimeter. Zum Glück gibt es noch drei Achtel eingelegte Radieschen.

Saure-Gurken-Eis ist Kristofs Spezialität

Kristof Mulack, 29 Jahre alt, ist jetzt der Alleinunterhalter. Er wird noch einige Überraschungen servieren. Die nächste ist schon angerichtet: Spreewaldgurken-Eis. Klingt komisch. Aber alle nehmen es begeistert auf und ein. Sonja fragt: „Kann ich eine ganze Packung davon haben?“ Sabine sagt: „Du musst dir das Eis patentieren lassen.“ Das fängt doch gut an. Aber Saure-Gurken-Eis ist eben Kristofs Spezialität. Beim Bedienen hilft übrigens Maggie, die Verlobte des Kochs. Einen solchen Service sind wir nicht gewöhnt, denn in Mitte gehört es mittlerweile in Restaurants dazu, Bestellungen lange hinauszuzögern.

Einen privaten Koch zu buchen passt natürlich zum Zeitgeist, zu ambitionierten Hobbyköchen und Food-Nerds. Also denen, die sich am Bahnhof internationale Gourmet-Zeitschriften kaufen, Kurse beim Promi-Koch belegen und ihre Reiseziele nach angesagten Restaurants aussuchen. Noch vor zehn Jahren war Essengehen anlassgetrieben. Heute ist es Lifestyle mit den Disziplinen Landesküchen, Diäten, Restaurantformen. Die beliebteste Disziplin ist die subtilste: der Rückzug ins Private, zu Private Dinings in Flüsterrestaurants, den „Supper Clubs“, und nach Hause. Auch Kitchensurfing hilft bei der kulinarischen Privatisierung. Die Online-Community vermittelt in Berlin, New York und Boston Köche an Haushalte und Firmen. Viele von ihnen haben die langen Schichten in Restaurants satt. Oder haben gar keine Ausbildung als Koch, arbeiten aber professionell, wie Kristof.

Die Idee zum Kitchensurfing hatte Chris Muscarella. Der Amerikaner war mehr als 15 Jahre lang in der amerikanischen Start-up-Szene tätig. Im Jahr 2011 eröffnete er ein Restaurant in New York. „Da habe ich gemerkt, dass es viele talentierte Köche gibt, die wenig verdienen und die im Netz keine Plattform haben, sich zu präsentieren und nebenbei Geld zu verdienen.“ Gemeinsam mit einem Programmierer, Lars Kluge, und einem Designer, Borahm Cho, beide aus Deutschland, entwickelte er Kitchensurfing. Im Frühsommer 2012 ging die Website in New York online. Berlin folgte im vergangenen Herbst. Weitere Städte in Deutschland sind geplant. Mehr als 50 Köche aus der Hauptstadt sind im Portal vertreten. „Wir machen uns in Supper Clubs, Restaurants und bei Straßenverkäufern auf die Suche nach neuen Köchen“, sagt Kavita Meelu, die Kitchensurfing in Berlin betreibt.

Sie sprach auch Kristof an, als sie zu Gast war in seinem Supper Club „Mulax“ in Kreuzberg, den er seit einem halben Jahr mit seiner Schwester führt. Der Versicherungskaufmann und ehemalige Rapper (daher also die Eloquenz!) wollte eigentlich ein Restaurant eröffnen- ungewiss, ob er damit jemals profitabel sein könnte. Kristof hat schon einige Tage in Profi-Küchen verbracht, unter anderem in der von Tim Raue, dem er in seinem direkten Umgangston ähnelt. Mit Supper Club und Kitchensurfing testet er das Vollzeit-Gastronomen-Leben.

Oft günstiger als ein Restaurantbesuch

In der Küche von Sonja hält Kristof mit zwei Plastikboxen Einzug. Eine mit den Geräten, wie zum Beispiel der 3500 Euro teuren Eismaschine und der Grillpfanne. Die andere für die vorbereiteten Gerichte und die frischen Zutaten. Fast anderthalb Tage hat er für das Einkaufen und das Vorkochen gebraucht. Auf der Arbeitsplatte stehen ein Dutzend Plastikflaschen mit den Saucen. Aus einer tropft Kristof gerade orangefarbene Flüssigkeit neben zwei gegrillte Möhrenhälften. Darüber kommen Popcorn-Streusel, die ebenfalls Möhrenschalen enthalten und der heiße Möhrensaft, abgeschmeckt mit Wermut und Safran. Die Gäste äußern sich überschwänglich. „So leckere Möhren habe ich noch nie gegessen“, sagt Sabine. Martin genießt still. Die Autorin greift beherzt beim Popcorn zu, das Kristof auch noch auf den Tisch gestellt hat.

„Es gibt drei Arten von Kitchensurfing-Kunden“, sagt Kavita Meelu. „Zum einen solche, die Geburtstagsdinner und Jubiläumsfeiern ausrichten. Zum anderen diejenigen, meist Agenturchefs, die ihre Mitarbeiter mit einem kreativen Essen verwöhnen wollen. Und dann natürlich die vielen jungen Eltern, die mit ihren Kleinkindern nicht ins Restaurant wollen und deshalb einen Koch buchen. Oft ist es sogar günstiger als ein Restaurantbesuch, weil man sich die teuren Getränke spart oder den Babysitter.“ So vermittelt Kitchensurfing Gerichte und Köche in jeder Preisklasse, angefangen vom Lunch für acht Euro pro Person bis zum Vier-Gänge-Menü für 45 Euro. (So viel kostet es auch heute abend.) Viele Anfragen richten sich an internationale Köche, die mexikanische Tacos, chinesische Dumplings, peruanisches Cerviche oder moderne skandinavische Kost servieren.

Kristof, ein gebürtiger Berliner, ist kulinarisch ganz in Brandenburg zu Hause. Alle seine Zutaten stammen aus der Region, sagt er. Das Gemüse baut er sogar selbst auf einem Acker in Schönefeld an. Seine Menükarte ist auf die Zutaten reduziert. Die Farben sind einheitlich, denn Kristof, der selbst ein lilafarbenes Kochjackett trägt, steht auf Farbküche. Jeder Teller ist Ton in Ton gehalten, auch der Hauptgang: „Petersilienwurzel gebacken, als Creme, frittierte Schale und Sauce mit Grünkohl. Dazu: Müritz-Saibling.“ Und damit Sonja den auch ungestört essen kann, bastelt Kristof ihrer kleinen Tochter gerade eine Höhle, und wir unterhalten uns über andere Dinge als Möhrchen und Radieschen. Ellie nascht die restliche Schokolade vom Dessert aus dem Topf, die anderen rauchen auf dem Balkon. Und als Kristof und Maggie die Küche um halb zwölf verlassen, ist sie sauber aufgeräumt. Wir trinken weiter.