
Der Franzose Alain Ducasse führt ein globales Restaurant-Imperium- 19 Michelin-Sterne nennt er sein eigen. Eine Mission hat er auch: Wir sollen gesünder essen.
Mit dem höchstdekorierten Sternekoch der Welt zu frühstücken ist ziemlich unspektakulär. Ein halbes Croissant, Kaffee: Mehr nimmt Alain Ducasse an diesem Morgen nicht zu sich. „Gestern wurde es spät, und es gab viel und gut zu essen“, erzählt er über den Vorabend in einem seiner Restaurants, dem Pariser „Bistrot Benoit“. Leider habe er zu oft Gelegenheit, reichhaltig zu speisen, sagt er mit Blick auf die Linie. Sein Lächeln changiert zwischen sauer und ironisch.
Wenn Ducasse über zu viel gutes Essen stöhnt, ist das so, als beklage Franz Beckenbauer sich über zu viele Tore für den FC Bayern. Der Franzose ist eine Ikone der hochklassigen Gastronomie. In jungen Jahren tat er sich selbst als ehrgeiziger Sternekoch hervor. Heute steht er nicht mehr in der Küche, er leitet ein Restaurant-Imperium, das seinesgleichen sucht. Niemand führt, wie er, gleichzeitig drei Restaurants mit drei Michelin-Sternen. Außerdem nennt er 23 weitere Häuser mit insgesamt fast 1900 Mitarbeitern sein Eigen, die sein Sternereservoir auf insgesamt 19 Stück anschwellen lassen. Ganze Generationen von Köchen gingen durch seine Schule. Ducasse, 56, gehört zu einer Spezies globalisierter Kochpäpste, die überall und nirgends zu Hause sind. Auf drei Kontinenten besitzt er Restaurants. „Ich hoffe, auch noch ein viertes Drei-Sterne-Lokal zu bekommen“, sagt er, ohne mit der Wimper zu zucken.
Küche für die Gutbetuchten
Berühmt wurde Ducasse durch seine Küche für die Gutbetuchten. In einem seiner Flaggschiff-Restaurants, dem Pariser „Plaza Athénée“, kostet keine Vorspeise unter 130 Euro, und auf der Weinkarte findet sich eine Flasche roter Bordeaux, Pétrus, Jahrgang 1982, für 21 000 Euro. Die Stärke des Bauernsohns aus Südwestfrankreich ist jedoch seine Vielseitigkeit. So hat er auch ein Museums-Café im Programm, das Suppen für zwei Euro anbietet, ließ für Astronauten kochen und eröffnete ein Lokal in Doha, das Kamelfleisch anbietet.
In Ernährungsfragen hat so ein Mann eine Meinung oder sogar, wie er sagen würde, eine Mission. Gesünder essen sollen die Leute – und zwar die saisonalen Angebote aus der eigenen Region: „Weniger Salz, weniger Zucker, mehr rohes Gemüse, mehr Getreide, weniger tierische Proteine. Und wenn Fleisch oder Fisch, dann aus ökologisch nachhaltiger Zucht, nicht solche, für die man beispielsweise sieben Kilo Fischfutter braucht, um ein Kilo Lachs zu erhalten.“
Aber tut sich ein Spitzenkoch nicht leicht mit solchen guten Ratschlägen, weil er von seinen Kunden Hunderte von Euros kassiert und an einem Abend immer nur ein paar Dutzend Gäste bewirtet? Ducasse schüttelt den Kopf und verweist auf sein hauseigenes Labor für Kantinenverpflegung das er vor acht Jahren gründete und das mit dem größten Kantinenkonzern der Welt, Sodexo aus Frankreich, zusammenarbeitet.
Zudem bildet er intensiv in seinen Kochschulen und Restaurants aus. Auch in seinen Kochbüchern, die in der Branche als Standardwerke gelten, macht er sich für eine natürlichere, lokale und saisonale Küche stark. „Die Spitzengastronomie hat hier eine besondere Verantwortung. Wir haben nicht die Macht wie die Nahrungsmittelindustrie, wir sind ja eher Handwerksbetriebe, doch wir haben die Aufmerksamkeit der Medien. Man kann heute besser essen, ohne dass es teurer wird. Wenn Sie etwa Lauch oder Soja essen, muss das nicht viel kosten.“
Kulinarische Höhepunkte
Der jüngste Skandal um Pferdefleisch zeige, wie notwendig das Umdenken sei. Daher versuche er in seinem Drei-Sterne-Lokal „Louis XV“ im Hôtel de Paris von Monaco – seiner kulinarischen Heimat, von der aus sein Aufstieg vor 25 Jahren begann – mit gutem Beispiel voranzugehen. Der durchschnittliche Gemüseanteil sei dort von etwa drei Prozent auf 20 Prozent gestiegen. „Das ist quasi eine Steigerung von einem Prozent pro Jahr, das ist enorm.“ Den Gemüseanteil noch schneller zu erhöhen sei nicht möglich, er stehe im Wettbewerb. „Der Kunde ist heute zwar neugierig, doch auch untreu. Er reist viel, er ist anspruchsvoll, er steht unter Stress, er isst tendenziell zu viel, achtet aber auch auf seine Gesundheit. Überall werden ihm tolle Angebote unterbreitet. Das ist ein Wettrennen, wie in der Mode.“
Probespeisen im „Plaza Athénée“ an einem Donnerstagabend auf Einladung des Meisters. Die übersichtliche Speisekarte kommt ohne viele Worte auf den Punkt: gekühlte Langusten, Kaviar, Poularde, schwarze Trüffel, Wurzelgemüse, Lammfleisch, Kalbsbries, Zitrone, Artischocken. Die verbale Kargheit lässt kaum vermuten, was dann auf den Tisch kommt: eine üppige Abfolge von fein aufeinander abgestimmten kulinarischen Höhepunkten, die auf dem Gaumen eine Sensation nach der anderen hervorrufen. Immer in der richtigen Zartheit oder Festigkeit, tadellos temperiert, perfekt gewürzt und schön garniert. „Kulinarisch ist er seinem Stil treu geblieben“, sagt Patricia Bröhm, Chefredakteurin des Restaurant-Führers „Gault&-Millau“ in Deutschland. „Im Kern ist die Küche mediterran geprägt mit erstklassigen, frischen Produkten, die ihre Natürlichkeit behalten haben.“
Das Flugzeug als zweites Zuhause
Die Inneneinrichtung im Plaza Athénée ist in milden weiß-beigen Pastellfarben gehalten, mit Kronleuchtern, klassischen Säulen und langen Tischdecken. Ein Dutzend Ober und Sommeliers bewegt sich unaufdringlich durch den Saal. „Für den Erfolg eines Restaurants zählt die Küche nur zu 50 Prozent“, sagt Ducasse. Um den Rest kümmert er sich daher mit fast genauso viel Sorgfalt, vom Licht über die Musik bis zur Tischdekoration und den Uniformen des Personals. „Ich sehe mich wie einen Designer oder Art-Director.“ Er gibt dabei offen zu, ein „Control-Freak“ zu sein. „Motivation, Führung, Delegieren, das beherrscht Ducasse meisterlich“, sagt der deutsche Spitzenkoch Harald Wohlfahrt über ihn.
Doch ist der Franzose auch ein Getriebener. Er muss seine über den Erdball verstreuten Koch-Paläste immer wieder inspizieren. Er behält es sich vor, die Kreationen der wichtigen Häuser alle selbst zu kosten, bevor sie den Gästen kredenzt werden. Mehr als eine Woche am Stück ist er selten irgendwo, das Flugzeug ist sein zweites Zuhause. Zum Kochen komme er nur noch an seinem Landsitz in Saint-Jean-de-Luz in seiner Heimatregion der südwestfranzösischen Landes.
Inspiriert von der einfachen Küche der Großmutter auf dem Hof der Eltern, hat er sich aus kleinen Anfängen hochgearbeitet. In frühen Jahren war er Tellerwäscher, dann heuerte er bei bekannten Köchen an. 1984 ereilte ihn eine Katastrophe: Er stürzte mit einem Flugzeug in den Alpen ab und war unter fünf Insassen der einzige Überlebende. Vier Jahre brauchte er, um wieder normal zu laufen. „Der Unfall“, so sagte er später, „änderte meinen Blick aufs Leben. Ich nahm mein Schicksal in die eigenen Hände.“ Mit knapp 30 Jahren beauftragte ihn Fürst Rainier von Monaco, für das Restaurant im Hôtel de Paris in vier Jahren drei Sterne zu holen. Er schaffte es in drei Jahren.
Niedergeschlagene Franzosen
Im „Plaza Athénée“ sind an diesem Abend bei weitem nicht alle Tische besetzt. Man hört Russisch, sieht asiatische und arabische Gesichter. „In Paris fehlt es an Dynamik. Die Franzosen sind niedergeschlagen. Keiner weiß, was in drei oder sechs Monaten ist. Wenn Sie die Zeitungen aufschlagen, bekommen Sie Depressionen“, klagt Ducasse. Dass er als Unternehmer kein Freund der Gewerkschaften ist, verhehlt er nicht. In New York schloss er ein Restaurant wegen der Konfrontationen. Ducasse verlangt viel Einsatz und Flexibilität, sagen Mitarbeiter. „Nicht alle halten das durch“, erzählt ein Oberkellner.
Ducasse betont, dass er mit seinen Drei-Sterne-Restaurants Gewinn mache, gesteht aber ein, dass dieser nicht hoch sei, des großen Aufwandes wegen. „Das ist wie bei Dior, wo die Haute Couture alles andere nach oben zieht.“ Mehr Gewinn bringen die weniger anspruchsvollen Restaurants sowie seine Hotels und das Verlagsgeschäft. Die Gruppe „Alain Ducasse Entreprise“, die sein Geschäftspartner Laurent Plantier als eine „Föderation von Kleinunternehmen“ bezeichnet, erzielte im Jahr 2011 rund 68 Millionen Euro Umsatz, 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Zwei Drittel kamen von den Restaurants.
Dass die französischen Spitzenrestaurants in etlichen internationalen Ranglisten seit Jahren nicht vorne auftauchen, lässt Ducasse nach eigenen Worten kalt. Lange Zeit waren spanische Spitzenköche sehr „en vogue“, derzeit sind es skandinavische. Der deutschen Spitzengastronomie testiert Ducasse eine gute Entwicklung. „Bald gibt es mehr deutsche Drei-Sterne-Lokale als französische“, sagt er zwar scherzhaft, doch mit Anerkennung. „Die französische Küche hatte sich zu lange auf ihren Lorbeeren ausgeruht“, sagt Restaurant-Kritikerin Bröhm. „Vor zwei Jahren ging aber ein kreativer Ruck durch die Branche.“ Und Ducasse gesteht: „Die Franzosen sind eben etwas speziell, etwas autozentriert.“ Und mit einem leichten Lächeln, das nur teilweise ironisch ist, fügt er hinzu: „Wissen Sie, die französische Küche ist so wichtig, dass man gar nicht über sie reden muss. Wir haben am frühesten angefangen, und wir sind sehr zahlreich.“
Dann bricht er auf zum nächsten Interview. Jetzt sind Japaner an der Reihe- sie wollen Ducasse in einer Zeichentrickserie auftreten lassen. Auch so was wird von einem globalen Küchenchef verlangt.
