
Jan Bredack war früher Manager bei Mercedes. Jetzt ist er Veganer und dabei, eine Kette mit zwanzig veganen Läden aufzubauen. Wie passt das zusammen?
„Das war keine gute Nacht.“ Jan Bredack reibt sich die Augen, fährt sich mit den Händen durch die Haare. Die Nase läuft. Müdes Gesicht, grau wie dieser trübe Morgen. Erkältungs- und Infektzeit. Auch Jan Bredack, Anfang vierzig, schlank und sportlich, aber jetzt eher matt, hat es erwischt – wie etliche Berliner in diesen Tagen. Gesundheit, Energie und Vitalität, die Bredack seiner Ernährungsweise zuschreibt, verstecken sich an diesem Vormittag in einem großen Glas heißer Orange, goldgelb mit Ingwer, das er zum Frühstück trinkt. Dazu gibt es hübsch mit Kokosraspeln dekorierten Chiapudding, einen Energiesnack, in dem rote Goji-Beeren leuchten. „Selbst Veganer werden mal krank“, meint eine Mitarbeiterin im Vorübergehen. „Aber wir werden auch schneller wieder gesund“, gibt Bredack zurück.
Bredack vermarktet Veganismus und vegane Produkte. „Veganz“ heißen seine Supermärkte. Bislang gibt es zwei Filialen, beide in lässig-schicken Stadtvierteln. Den ersten Supermarkt eröffnete Bredack 2011 in seiner Heimatstadt Berlin in Prenzlauer Berg, den zweiten vor kurzem in Frankfurt-Bornheim. Angeboten werden rund 6000 rein pflanzliche Produkte. Nicht minder beworben wird, was Veganz ganz bewusst nicht anbietet: Produkte, für die Tiere getötet werden oder für die Tieren aus Sicht von Veganern Leid angetan wird. Also kein Fleisch, kein Fisch und keine Lederwaren. Auch Produkte, in denen sich tierische Bestandteile verstecken, sind tabu, etwa Kosmetika mit Collagen oder Fruchtsäfte, die mit Gelatine geklärt wurden. Nicht im Sortiment sind außerdem Erzeugnisse, deren Verzehr als Ausbeutung von Nutztieren abgelehnt wird: Milch oder Milchprodukte, Eier und Honig. Das Gefühl, auf etwas zu verzichten, soll der Kunde von Veganz jedoch gerade nicht bekommen. „Wir lieben Leben“, wirbt Bredack – fast wie Edeka mit seinem Leitspruch „Wir lieben Lebensmittel“.
Auch Bildungshungrige werden versorgt
Im Schnitt lassen sich in dem Vegan-Supermarkt im Bezirk Prenzlauer Berg 420 Kunden am Tag zum Einkauf verlocken. An diesem ungemütlichen Morgen sind jedoch nur wenige Menschen im Geschäft. Zwei Mütter mit Kleinkindern, ein junger, modebewusster Mann, eine ältere Dame, die vor den Backspezialitäten steht. Es gibt herzhafte Bagel mit Räuchertofu oder süße Rohkosttorten aus Avocado und Limetten. In der Obstabteilung werden baumgereifte Tropenfrüchte und Kohlsorten aus Brandenburg angepriesen. Weiter geht es mit Sojaprodukten in etlichen Variationen und Getränken aus Hafer, Mandeln oder Reis. Es gibt Regale mit Nüssen, Samen und Algen und Tiefkühlwände mit Veggie-Nuggets aus den Vereinigten Staaten oder Protein-Burgern aus Südafrika. Für Hunde sind fleischlose Leckerli und „für den Spaß im Bett auf vegan“ Kondome und Gleitgels im Angebot.
Für noch mehr veganen Lebensstil gibt es dann „Extraveganz“: veganes Catering, sonntäglichen Brunch und Kochkurse in der hauseigenen Kochschule mit einem der bekanntesten deutschen Vegan-Köche, dem Berliner Björn Moschinski. Auch Bildungshungrige werden versorgt: mit Seminaren unter Leitung von Ernährungs- und Gesundheitsberatern, philosophischen Workshops, Lesungen und Produktpräsentationen. Vegane Ernährung sei enorm vielfältig und schmackhaft, verantwortungsbewusst gegenüber Mensch, Tier und Umwelt. „Und für die Gesundheit das Beste“, lautet die Botschaft.
Bredack kommt nicht aus der Öko-Szene. Bevor er Weizengraspulver, Rohkostriegel und Sojapizzen verkaufte, war er Mercedes-Manager. Aufgewachsen ist er in der ehemaligen DDR. Der Vater war als Russischlehrer im diplomatischen Dienst tätig. Jan Bredack besuchte eine Eliteschule und lernte KFZ-Schlosser. Dann gleich nach dem Fall der Mauer bei Mercedes-Benz in Berlin anfangen zu dürfen sei „das Größte“ gewesen. Bredack war ehrgeizig und fleißig. Meisterabschluss, Studium der Betriebswirtschaft, Master in Sankt Gallen. Mit Anfang dreißig leitende Führungskraft in dem Autokonzern, verantwortlich für einen Milliardenumsatz. Als „Karrierist“ bezeichnet Bredack sich rückblickend. Gemeinsam mit seiner Frau, einer Jugendliebe aus DDR-Zeiten, baute er neben dem Job bei Mercedes noch den Internet-Ticket-Vertrieb für den damals sehr erfolgreichen Musicalveranstalter Stella auf. Beruflicher Erfolg, Geld, Eigenheim, Autos und drei Kinder. „Es ging immer bergauf.“
Von Burnout war die Rede
So dachte Bredack jedenfalls – bis er merkte, dass er bei Mercedes nicht mehr die Anerkennung bekam, die er brauchte. Von Burnout war die Rede. Das Unternehmen ließ den vielversprechenden Manager von Berlin zu Psychologen nach München fliegen. Doch statt kürzer zu treten, flüchtete Bredack in neue Projekte. „Man rennt immer schneller, braucht immer neue Bestätigung.“ Er investierte ein Vermögen in ein Internet-Bieterportal für Autoreparaturen. „Aber die Plattform ging kaputt, und auch bei Mercedes lief nichts mehr. Mir hat es richtig die Beine weggesäbelt.“
Das war 2008. Bredack trennte sich von seiner Frau und von Mercedes in Berlin. Knapp zwei Jahre später ging er mit seiner neuen Partnerin für Daimler nach Moskau, um das erste Mercedes-Werk in Russland aufzubauen. In dieser beruflichen und persönlichen Erneuerungsphase wurde die Idee von „Veganz“ geboren. Bredack begann darüber nachzudenken, „was auf dem Teller lag und wie viel Leid damit verbunden ist“. Der Anstoß kam von seiner Lebensgefährtin, die damals Vegetarierin war – sie isst mittlerweile ebenfalls vegan. Bredack, der „früher reinschaufelte, was es gab“, wurde zum Rohkostler. Grüne Smoothies mit Spinat, Wildkräutern und Salat waren nun sein täglich Brot.
Von Moskau flog er immer wieder in die Vereinigten Staaten, um die Veganerszene dort zu erkunden. „In Kalifornien, Portland und New York ist man schon viel weiter als hier.“ Zwei Jahre lang suchte Bredack vegane Produkte, Anbauer, Anbieter, Vertriebswege. Zurück in Deutschland, nahm er endgültig Abschied von der Automobilbranche und eröffnete wenige Monate später die erste Veganz-Filiale. Wie eine „Erlösung“ sei das gewesen- der Beginn eines „zweiten Lebens“. Klingt nach radikalem Bruch, nach Gewissen statt Geld. Aber sind die Kontraste tatsächlich so scharf?
„Aus der Szene würde niemand bei uns einkaufen“
Bei Mercedes habe man sich immer wieder bemüht, ihm aus seiner Krise zu helfen, erkennt Bredack an. Auch er selbst habe als Automanager einen kooperativen Führungsstil gepflegt. Seine Masterarbeit schrieb er über Mitunternehmertum. Bei Veganz gibt es einen Chef, und der möchte „das Zepter in der Hand behalten“. Angebote zur Übernahme von Gesellschaftsanteilen lehnte Bredack deshalb ab. Er kümmert sich um Expansion und Marketing, verhandelt mit Banken und Investoren. Manchmal fühle sich das an wie „das alte Leben in neuem Umfeld“. Im ersten Jahr machte Veganz 1,5 Millionen Euro Umsatz. Die Berliner Filiale schreibt mittlerweile schwarze Zahlen. Dafür mussten Leute entlassen werden. „Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen.“ Zwei Dutzend festangestellte Mitarbeiter beschäftigt Bredack derzeit.
In der traditionellen Veganerbewegung verfolgt man die Aktivitäten des Managers mit Argwohn. Das Geschäft mit dem veganen Lebensstil, das Umwerben von Gutverdienern, das Expansionsziel von zwanzig und mehr Veganz-Filialen im In- und Ausland – mancher Veganer vom alten, subkulturellen Schlag sieht seine Spezies und sein Biotop durch diesen Mainstream-Veganismus bedroht. „Aus der Szene würde niemand bei uns einkaufen“, stellt Bredack nüchtern fest. Auch seine Appelle eines „liebvollen Miteinanders aller Lebewesen“ nützen da nichts. Dem Vegan-Fundi fehlt bei Veganz das punkige Flair alternativer Läden, er möchte das Kühlfach mit den Käseersatzprodukten nicht gemeinsam mit Finanzbeamten durchstöbern, die Schuhe und Aktenmappe aus Rindsleder tragen, aber allergisch auf Kuhmilch reagieren.
Die meisten Veganz-Kunden leben nicht streng vegan oder auch nur vegetarisch. Bredack nimmt es gelassen. „Wenn sie Pelz und Lederstiefel tragen und vorher bei Rewe Wurst gekauft haben, ist das halt so.“ Toleranz oder kluges Marketing? Das eine schließt das andere nicht aus.
