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Britisches Heiligtum wagt den großen Schritt

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Royal Mail wird trotz Protesten privatisiert und damit eine alte Tradition in Großbritannien wieder belebt. In London stehen zudem viele weitere Börsengänge bevor. Dagegen herrscht in Frankfurt Flaute.

Die britische Royal Mail, der älteste Postdienst der Welt, steht vor einem neuen Kapitel seiner Geschichte. Trotz Protesten der Gewerkschaften und der Opposition wird sich der Staat im Oktober durch einen Aktienverkauf an der Börse in London von der Mehrheit an dem Unternehmen trennen. Dessen Wurzeln reichen bis ins 16. Jahrhundert. Darüber hinaus steht rund ein Dutzend britischer Unternehmen in den Startlöchern für einen Börsengang im zweiten Halbjahr. In Deutschland dagegen herrscht Flaute. Allenfalls der Sanitärarmaturenhersteller Grohe wird noch als größerer Kandidat für einen Börsengang in Frankfurt im zweiten Halbjahr genannt. „Großbritannien wird das IPO-Geschäft in Europa in diesem Halbjahr dominieren“, sagt Jens Voss, der das Aktienneuemissionsgeschäft der Commerzbank verantwortet.

Noch im ersten Halbjahr lagen Deutschland und Großbritannien, gemessen an der Zahl der Börsengänge und dem Emissionsvolumen, fast gleichauf. Nur hauchdünn hatte der Aktienmarkt in London mit sieben Neulingen gegenüber sechs in Frankfurt die Nase vorn. Auch das Emissionsvolumen unterschied sich mit 4,3 Milliarden Dollar zu 3,9 Milliarden Dollar kaum. Allerdings ist diese Bilanz für Frankfurt schmeichelhaft, denn drei der sechs in den internationalen Statistiken geführten Börsenneulinge waren keine „echten“ Börsengänge mit Aktienverkäufen, sondern etwa im Fall Osram eine Abspaltung von Siemens oder im Fall von RTL ein Zweitlisting.

Streiks der Gewerkschaften drohen

Im zweiten Halbjahr wird sich der Vorsprung Londons zu Frankfurt auf dem IPO-Markt noch deutlicher zeigen. Die Bank Virgin Money, der Immobilienmakler Foxtron, die Beteiligungsgesellschaft Riverstone Energy, das Immobilienportal Zoopla und das Möbelhaus DFS sind nur einige der Kandidaten, die das Aktienneuemissionsvolumen auf insgesamt 40 Milliarden Pfund (48 Milliarden Euro) treiben könnten. Allein Royal Mail könnte Aktien für 2 Milliarden Euro verkaufen, heißt es in Kreisen der Banken UBS und Goldman Sachs, die die Emission federführend an den Anleger bringen sollen.

Wirtschaftsminister Vincent Cable von der liberaldemokratischen Partei teilte am Donnerstag allerdings lediglich offiziell die Absicht mit, den Börsengang der Royal Mail durchzuführen. Nach den Börsenstatuten muss er nun innerhalb von vier Wochen erfolgen. Die Zahl der angebotenen Aktien nannte Cable noch nicht. Zunächst müsse das Interesse der Investoren ausgelotet werden. Außerdem drohen Royal Mail Streiks der Gewerkschaften, die gegen den Börsengang Sturm laufen. Sie befürchten, dass Royal Mail nach der Privatisierung wenig lukrative Dienstleistungen einschränkt. Cable dagegen versicherte, Royal Mail werde weiterhin sechs Tage die Woche zu stabilen Preisen Post zustellen. Die 160.000 Mitarbeiter sucht der Staat zu besänftigen, indem er ihnen 10 Prozent der Aktien zu einem Vorzugspreis anbieten wird. Nicht verkauft werden die Poststellen. Sie werden von einem 2012 abgetrennten Unternehmen, The Post Office, betrieben.

Schon die Blair-Regierung wollte die Privatisierung

Mit dem Verkauf von Royal Mail knüpfen die Briten an eine lange Tradition an. In der Amtszeit der verstorbenen früheren Premierministerin Margret Thatcher gab es, beginnend 1984 mit dem Verkauf von 50 Prozent der British Telecom für damals 14 Milliarden Pfund eine lange Reihe an Staatsunternehmen, die über die Börse verkauft wurden, etwa auch die Stromversorger National Power und Power Gen, für der Staat 1991 jeweils 11,5 Milliarden Dollar erlöste. Schon damals gab es Pläne, auch die Royal Mail zu privatisieren. Doch selbst Thatcher traute sich nicht angesichts des Widerstandes der Gewerkschaften. Seither gilt Royal Mail als so etwas wie ein Nationalheiligtum. 1996 markierte die Privatisierung der Einsenbahnen, die sich als Fehlschlag erwies und 2001 durch Wiederverstaatlichung des Bahnnetzes Railtrack teilweise rückgängig gemacht wurde, das vorläufige Ende der Privatisierungswelle in Großbritannien. Nachdem 1961 VW und 1994 Lufthansa privatisiert worden war kam dagegen in Deutschland 1996 mit dem Börsengang der Telekom die Privatisierungwelle erst so richtig in Gang und war dann 2001 mit der Post auch schnell wieder zu Ende. Der Börsengang der Bahn scheiterte 2008.

Dagegen hat in Großbritannien selbst die Labour-Regierung von Tony Blair Anläufe unternommen, Royal Mail zu privatisieren. Im Juli 2009 scheiterte zuletzt der Verkauf an einen Konkurrenten. Damals soll auch die Deutsche Post interessiert gewesen sein, aber niemand war bereit, den von dem damaligen Wirtschaftsminister Peter Mandelson genannten Preis von 3 Milliarden Pfund zu zahlen. Damals machte die Royal Mail Verluste in dreistelliger Millionenhöhe. Obgleich inzwischen profitabel, hinkt Royal Mail noch heute in der Wirtschaftlichkeit um etwa 30 Prozent hinter der internationalen Konkurrenz her. Durch den Wechsel zu E-Mail und anderen elektronischen Diensten verlor das Unternehmen ein Viertel seines Geschäftes. Der Boom im Online-Versandhandel konnte dies nur zum Teil kompensieren.