Ausland

Vorläufiges Ende einer Irrfahrt

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Wenn der Groll gegen Obama der einzige Kitt ist, der die Konservativen zusammenhält, können sie Amerika nicht dienen. Es ist an der Zeit, dass die Politiker des Establishments den Wählern zeigen, was in ihnen steckt.

Der amerikanische Haushalt ist einen Kampf mit harten Bandagen wert. Wenn die Politiker nur geschmeidig miteinander ringen, hier ein bisschen geben und dort ein bisschen nehmen, werden sie den riskanten Schuldentrend nicht umkehren. Doch die Vereinigten Staaten leben über ihre Verhältnisse. Das haben sie zwar mit den anderen großen Industrienationen in Europa und Asien gemein. Gerade von den Amerikanern wäre aber zu hoffen, dass sie auch politisch meistern, was viele Bürger im Privaten vormachen: sich im Angesicht der Krise neu zu erfinden. Dazu benötigen die Parteien Kraft und einen Kompass.

Die Kraftmeierei von einigen halbstarken Tea-Party-Lieblingen, die das Land jetzt wochenlang gelähmt hat, war das Gegenteil solcher Hingabe. Nur durch eine rosarote Brille kann man die Last-Minute-Abstimmungen im Kongress zur Vermeidung der Zahlungsunfähigkeit als Beweis dafür betrachten, dass das Land noch immer zusammenkommt, wenn es darauf ankommt. Die Republikaner haben mit ihrem auf ganzer Linie gescheiterten Versuch, Präsident Obamas Gesundheitsreform hinterrücks zu entleiben, viele Bürger vergrault, Zeit verschwendet – und vom Thema abgelenkt. Anstatt die Demokraten mit einem durchdachten Plan zur Verminderung der Sozialausgaben herauszufordern, haben sie sich in einen Prestigekampf gestürzt, den Obama nur durch Unbeugsamkeit gewinnen konnte. Was er tat.

Es wird niemandem leicht fallen, vom schrillen Streit nahtlos in eine sachliche Auseinandersetzung überzugehen. Viele Demokraten werden Mühe haben, ihren nur aus taktischen Gründen unterdrückten Triumphalismus herunterzuschlucken und die Probleme bei den Hörnern zu packen. Obama wird seinen Wählern Zumutungen erklären müssen, für die er nicht die Republikaner verantwortlich machen kann. Denn selbst wenn der Präsident Steuererhöhungen oder die großflächige Schließung von Schlupflöchern durchsetzen können sollte, um das Defizit zu verringern, wird er auch die Sozialetats durchkämmen müssen. Amerika muss ja nicht nur seine Ausgaben verringern. Die Regierung braucht zugleich mehr Mittel vor allem für das Bildungswesen, um die Gesellschaft zusammenzuhalten. Viele Republikaner wiederum werden versucht sein, in den Budgetverhandlungen bis Weihnachten eine Art nachträgliche Rechtfertigung für ihre Oktober-Irrfahrt zu finden. Die Jagd auf Obamacare ist noch lange nicht abgeblasen. Dabei hätte es die neue Krankenversicherung verdient, dass beide Parteien gemeinsam ihre Konstruktionsmängel reparieren.

Tiefere Gegensätze als in Europa

Das bleibt wohl Wunschdenken. Und keine noch so konstruktive Herangehensweise in der neuen Budget-Kommission beider Kongresskammern könnte verdecken, dass in der amerikanischen Gesellschaft viel tiefere Gegensätze als in Europa herrschen. Der Drang nach Freiheit auch vor wohlfahrtsstaatlicher Bevormundung gehört zu Amerika, wenn der ständige Bezug auf die Verfassungsväter bisweilen auch realitätsvergessen wirken mag. Für die Debatte wäre viel gewonnen, wenn sich die Anhänger dieser Denkschule nicht länger an Leute wie den jungen Senator Ted Cruz ketten würden, der nur seine eigene Meinung gelten lässt, und sich eher an Politikern wie Paul Ryan orientieren würden. Der Abgeordnete, der an der Seite von Mitt Romney voriges Jahr als Vizepräsident kandidierte und dessen fiskalkonservativer Leumund in Tea-Party-Kreisen unbefleckt ist, fordert zwar einen scharfen Sparkurs. Aber er forderte zugleich einen überparteilichen Zugriff: Man müsse den Stolz ablegen, verlangte Ryan von seinen Fraktionskollegen. Als Ko-Vorsitzender der neuen Haushaltskommission kann er mit gutem Beispiel vorangehen.

Auf den ersten Blick klingt es zwar honorig, wenn Washingtons oberster Republikaner John Boehner nun seine Niederlage eingesteht: „Wir haben gut gekämpft – nur leider verloren“, sagte der „Sprecher“ des Repräsentantenhauses. Doch in Wahrheit war es ein fehlgeleiteter Kampf, in den Boehner wider besseres Wissen gezogen ist und in dem er viel politisches Kapital eingebüßt hat. Die zentrifugalen Kräfte zerren an der Republikanischen Partei. Auch gröbere innerparteiliche Meinungsverschiedenheiten sind in einem Zwei-Parteien-System zwar auszuhalten. Wenn aber der Groll gegen Obamas Linkskurs der einzige Kitt ist, der die Konservativen zusammenhält, werden sie dem Land nicht dienen können.

Die peinliche Vorstellung der vergangenen Wochen sollte jene Republikaner aufgeweckt haben, für die sich Politik nicht in parlamentarischen Tricks und Fundamentalopposition erschöpft. Sie müssen an Selbstbewusstsein gewinnen, anstatt ängstlich der Tea Party hinterherzulaufen. Nicht nur in den Budgetverhandlungen müssen sie Mut zum Ausgleich beweisen, anstatt das Land bald mit dem nächsten Tanz auf der Fiskalklippe zu blamieren. Auch das Scheitern der Einwanderungsreform gilt es zu verhindern. Die Tea Party verdankt ihren Erfolg dem Verdruss über die Spielchen in Washington. Es ist an der Zeit, dass die Politiker des gescholtenen Establishments den Wählern zeigen, was in ihnen steckt.