Europäische Union

Das Vertrauen in die EU wächst

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Uneingeschränkt begeistert für „Europa“ sind die Deutschen nicht. Aber einfach nur schlecht finden sie es auch nicht. Und diejenigen, die die D-Mark wieder haben wollen, werden weniger.

Der beginnende Bundestagswahlkampf könnte der erste in der Geschichte der Bundesrepublik sein, bei dem das Thema Europa eine größere Rolle spielt. Zwar war die europäische Einigung von Anfang an ein wichtiges Anliegen der Bundesregierungen und auch weiter Teile der Bevölkerung, doch die großen Integrationsschritte fanden entweder in der Mitte der deutschen Legislaturperioden statt oder wurden von anderen politischen Themen überlagert: Die Gründung der Montanunion erfolgte 1951, zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl. Die römischen Verträge wurden zwar im Wahljahr 1957 unterzeichnet, doch diese Wahl stand ganz unter dem Eindruck der von Adenauer durchgesetzten Rückkehr der letzten Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion.

Der 1963 geschlossene deutsch-französische Freundschaftsvertrag spielte im Wahlkampf von 1965 keine wesentliche Rolle mehr, ebenso wenig wie der 1992 unterzeichnete Vertrag von Maastricht im Jahr 1994. Die großen Wahlkampfthemen waren andere: 1953 die Wiederbewaffnung und die Westbindung, 1961 der Bau der Mauer, 1972 die Ostverträge, 1990 die deutsche Einheit. In den anderen Jahren standen meist wirtschafts- und sozialpolitische Themen im Vordergrund. Auch abseits der Wahljahre fand die europäische Einigung in der Öffentlichkeit nur wenig Resonanz, wenn nicht gerade ein großes symbolträchtiges Ereignis kurzzeitig den Blick auf sie lenkte. Noch im Herbst 2009, zu einem Zeitpunkt, als immerhin der Vertrag von Lissabon in Kraft trat, widmete das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, wie eine Inhaltsanalyse ergab, den Reformen der EU etwa gleich viel Platz im Heft wie der Wirtschaftspolitik Weißrusslands und einer Währungsreform in Nordkorea.

Die Aufregung hat sich wieder weitgehend gelegt

Dies hat sich in der Zwischenzeit gründlich geändert. Vermutlich, weil sich das Thema europäische Einigung durch die Staatsschuldenkrisen in vielen europäischen Ländern mit den klassischen innenpolitischen Themen der Wirtschafts- und Finanzpolitik verbunden hat, blickt die Öffentlichkeit wesentlich aufmerksamer auf Europa als früher. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ausführlich über die Staatsverschuldung in Griechenland, Zypern, Irland und neuerdings auch Frankreich berichtet wird, über Staatskrisen in Portugal und Italien oder die Arbeitslosigkeit in Spanien, stets verknüpft mit der Frage, welche Belastungen diese Ereignisse für die deutsche Staatskasse – und damit letztlich für die Bürger – bedeuten.

Es liegt nahe anzunehmen, dass unter diesen Umständen die traditionelle Europa-Freundlichkeit der Deutschen Schaden nimmt. Tatsächlich schien es eine Zeitlang, als könnte sich die Stimmung gegen die europäische Integration drehen. Nach Ausbruch der Griechenland-Krise 2010 sank der Anteil derjenigen, die sagten, sie hätten großes Vertrauen in die Europäische Union, binnen weniger Wochen von 37 auf 26 Prozent. Die Zahl derer, die der Aussage zustimmten, Europa sei „unsere Zukunft“, ging vom April 2010 bis zum Januar 2011 von 53 auf 41 Prozent zurück. Auf dem Höhepunkt der Vertrauenskrise, im Herbst 2011, sagten 62 Prozent der Deutschen, die Lage der Eurozone beunruhige sie „sehr stark“ oder „stark“.

Doch seitdem hat sich die Aufregung wieder weitgehend gelegt. Obwohl die wirtschaftlichen und sozialen Probleme in vielen Ländern der Europäischen Union keineswegs gelöst sind und die Bevölkerung deswegen auch durchaus besorgt ist, nähert sich das Europa-Bild der Deutschen wieder der Situation vor dem Ausbruch der Krise in Griechenland. Von einer Alarmstimmung kann keine Rede sein. Dies zeigen die Ergebnisse der jüngsten Allensbacher Repräsentativumfrage im Auftrag dieser Zeitung.

Das Urteil über die Einigung hat sich kaum verändert

Erkennbar ist dies beispielsweise an den Antworten auf die Frage „Wie viel Vertrauen haben Sie zur Europäischen Union?“ 2011 sagten 68 Prozent der Deutschen, sie hätten „nicht so großes“ oder „gar kein Vertrauen“. Heute sind es 60 Prozent, und damit weniger als 2010. Die Zahl derer, die sehr großes oder großes Vertrauen in die Europäische Union haben, ist seit 2011 von 24 auf 33 Prozent gestiegen, das sind ebenso viele wie 2007. Damit zeigt sich die Bevölkerung insgesamt zwar noch immer sehr misstrauisch, doch die Werte haben wieder das Niveau der Zeit vor Ausbruch der Schuldenkrisen erreicht.

Angesichts der Schwere der wirtschaftlichen und finanziellen Probleme in Europa erscheint es rückblickend bemerkenswert, wie wenig sich selbst auf dem Höhepunkt der Krise das allgemeine Urteil der Deutschen über die europäische Einigung verändert hat. Viele Trendfragen zu diesem Thema zeigen sogar 2010 und 2011 kaum Schwankungen, beispielsweise die Frage „Hat Deutschland durch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union eigentlich mehr Vorteile oder mehr Nachteile, oder würden Sie sagen, die Vor- und Nachteile gleichen sich aus?“ Im Mai 2008, vor Ausbruch der Krise, sagten 21 Prozent, Deutschland habe durch seine EU-Mitgliedschaft mehr Vorteile, 31 Prozent sahen mehr Nachteile, eine relative Mehrheit von 38 Prozent meinte, die Vor- und Nachteile glichen sich wohl aus. Seitdem ist die Frage zehnmal wiederholt worden, und immer waren die Antworten praktisch die gleichen. Heute sagen 25 Prozent, die EU-Mitgliedschaft habe vor allem Vorteile, 27 Prozent glauben, die Nachteile überwögen.

Auch wenn man die spontanen Assoziationen zum Stichwort „Europa“ erfragt, erhält man heute alles in allem die gleichen Antworten wie vor Beginn der Finanzkrise. Seit 2003 schwankt der Anteil derer, die sagen, man könne bei „Europa“ an Frieden denken, zwischen 67 und 85 Prozent. Heute liegt er bei 71 Prozent mitten in der gewohnten Bandbreite. Die Zahl derer, die beim Stichwort „Europa“ an Einheit denken, sank von 2008 bis 2012 von 50 auf 39 Prozent, doch der Wert von 2008 war auch im Vergleich zu früheren Jahren außergewöhnlich hoch. Heute liegt die Zahl bei 43 Prozent und damit im Mittelfeld der Ergebnisse aus den vergangenen 12 Jahren. Auch der Anteil der Bürger, die mit „Europa“ Niedergang assoziieren, hält sich nach wie vor in engen Grenzen. Er stieg zwar von 2008 auf 2012 von 8 auf 19 Prozent, doch schon 2001 hatten 22 Prozent die gleiche Antwort gegeben. Heute sind es mit 15 Prozent wieder merklich weniger.

Die D-Mark-Anhänger werden weniger

Auffällig ist, dass das Ansehen des Euros in den Jahren, in denen oft von einer „Euro-Krise“ die Rede war, nicht dauerhaft beschädigt worden ist. Zwar sank in der Zeit von 2009 bis 2011 die Zahl der Deutschen, die sagten, sie hätten großes Vertrauen in den Euro, von dem bis dahin ungewöhnlich hohen Wert von 44 Prozent auf 17 Prozent, doch heute liegt er wieder bei 28 Prozent und damit auf dem seit langem gewohnten Niveau. Noch bemerkenswerter sind die Antworten auf die Frage „Hätten Sie lieber wieder die D-Mark, oder würden Sie das nicht sagen?“ Seitdem die Frage im Jahr 2002 zum ersten Mal gestellt wurde, sagte stets eine deutliche Mehrheit der Befragten, ihnen wäre die D-Mark lieber als der Euro. Dies änderte sich ausgerechnet im kritischen Jahr 2011, als zum ersten Mal der Anteil derjenigen, die sich die alte Währung nicht zurückwünschten, mit 44 Prozent gleich groß war wie die Zahl der D-Mark-Anhänger. Heute sagen 50 Prozent, sie wünschten sich die D-Mark nicht zurück. Nur noch etwas mehr als ein Drittel, 35 Prozent, widersprechen.

Man bekommt den Eindruck, dass die europäische Einigung für die Deutschen trotz aller Skepsis angesichts der finanziellen Risiken, die die Rettungsprogramme für die Krisenstaaten mit sich bringen, eher wichtiger geworden ist. Auf die Frage „Ist die Einigung Europas, die Europäische Union für Sie eher Anlass zur Freude oder eher zur Sorge?“ antworten heute 40 Prozent, die Einigung sei für sie ein Grund zur Freude. Das sind so viele wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr.

Was ist der Grund für diese Entwicklung? Aufschluss geben hier die Reaktionen auf eine Frage, bei der die Interviewer eine Liste mit verschiedenen Aussagen über die Europäische Union überreichten, mit der Bitte an die Befragten, die Punkte zu nennen, die auch sie mit der EU verbinden. Die Frage wurde zum ersten Mal 2006 gestellt. Vergleicht man die damaligen Antworten mit den aktuellen, dann fällt auf, dass die Befragten heute die meisten Punkte häufiger auswählen als vor sieben Jahren, und zwar sowohl die negativen als auch die positiven. 2006 sagten 40 Prozent, die EU bedeute für sie eine wuchernde Bürokratie, heute meinen dies 60 Prozent. Regulierungswut verbanden vor sieben Jahren 32 Prozent mit der EU, heute sind es 60 Prozent. In der gleichen Zeit ist aber auch der Anteil derer, die beim Stichwort EU an Sicherheit vor Kriegen in Europa denken, von 55 auf 62 Prozent gestiegen, bei der Aussage „Ein Europa ohne Grenzen, in dem man ungehindert reisen und seinen Beruf ausüben kann“, ist ein Zuwachs von 62 auf 72 Prozent zu verzeichnen.

Das Thema Europa nützt der Union

Das bedeutet, dass die Schuldenkrise das Thema Europa mehr als bisher ins Bewusstsein der Bürger gehoben hat. Wie bei einer starken Produktmarke sind dabei die Vorstellungen von Europa, die lange Jahre verschwommen geblieben waren, vergleichsweise plastisch und lebendig geworden, mit ihren negativen, aber eben auch mit ihren positiven Aspekten. Es sieht so aus, als würde vielen Deutschen bewusst, was auf dem Spiel steht, wenn die europäische Integration scheitert. So stimmen 63 Prozent der Aussage zu „Trotz aller Schwierigkeiten, die wir zurzeit in Europa haben, gehören wir Europäer letzten Endes zusammen.“

Es ist anzunehmen, dass diese Haltung der Grund dafür ist, dass der Erfolg der „Alternative für Deutschland“ bisher sehr begrenzt geblieben ist. Wenn das Thema Europa im Wahlkampf Bedeutung erlangen sollte, dürfte dies eher der CDU/CSU nützen, die die Bevölkerung nach wie vor mit weitem Abstand vor allen anderen Parteien als die politische Kraft ansieht, die sich am meisten für Europa einsetzt. Und ein solcher Einsatz ist ganz im Sinne der Deutschen, die trotz allem letztlich wohl doch entschlossen sind, das Einigungswerk nicht scheitern zu lassen.