Europäische Union

Alternativen für Griechenland

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Zwei neue Parteien wollen Griechenland aus der Eurozone und zurück zur Drachme führen. Eine davon leitet der politische Ziehvater von Oppositionsführer Alexis Tsipras. Darüber freut sich vor allem Ministerpräsident Antonis Samaras.

Wäre die Welt so einfach, wie der griechische Oppositionsführer Alexis Tsipras sie seinen Anhängern auslegt, in Griechenland wäre alles in bester Ordnung. Im vergangenen Sommer, während der Kampagne zur Parlamentswahl, versprach der Athener Krisenmatador, als Ministerpräsident werde er den Geldgebern des Landes „aggressive Neuverhandlungen“ aufzwingen und sie so zu Zugeständnissen nötigen.

Seine Botschaft war verführerisch: Bleibt Athen stark, wird Berlin schwach. Es werde wieder Löhne wie zu Vorkrisenzeiten geben, die Schulden des Landes würden gestrichen. Knapp 27 Prozent der Wähler schenkten Tsipras Glauben – oder zumindest ihre Stimme. Nur knapp verfehlte sein Linksbündnis „Syriza“ das Ziel, stärkste Kraft zu werden.

Ausgerechnet Tsipras’ Entdecker und politischer Ziehvater übt nun jedoch Kritik an der holzschnittartigen Krisenlogik von Syriza und ihrem Chef. „Es gibt in Griechenland die vor allem von Syriza unterstützte Ansicht, dass wir mit einer Regierung, die härter mit den Geldgebern verhandeln würde, viel besser dastünden. Zu glauben, man müsse nur auf den Tisch hauen und bekomme dann alles, ist aber naiv. So funktioniert es nicht“, stellt Alavanos fest.

Alekos Alavanos war Tsipras’ Vorgänger an der Spitze von Syriza. Da er seit Jahrzehnten eine Galionsfigur der griechischen Linken ist, kann die Partei ihn nun schlecht als reaktionären Steigbügelhalter des Großkapitals abstempeln, wie sie es sonst gern tut mit ihren Kritikern. Die Behauptung, wenn Athen hart bleibe, könne es die Eurozone in die Knie zwingen, werde durch den Fall Zypern widerlegt, hält Alavanos seinem Nachfolger vor: „Zypern startete mit der denkbar härtesten Verhandlungsposition.

„Plan B“ für Athen

Bei der Abstimmung über das erste Memorandum mit der Troika stimmte das gesamte Parlament mit Nein oder enthielt sich, was einer Ablehnung gleichkam. In Griechenland wurde damals gejubelt. Zypern schien zu zeigen, dass auch kleine Staaten Verhandlungsmacht haben. Aber wir haben ja gesehen, was danach geschah.“ Danach geschah nämlich das Gegenteil von dem, was Tsipras als Ziel „aggressiver Neuverhandlungen“ ausgibt: Die Europäische Zentralbank kündigte an, sie werde Zyperns Banken von der für sie existentiellen Notfall-Liquiditätsversorgung abschneiden, füge Nikosia sich nicht. „Das Ergebnis nach einer Woche war für Zypern in vielerlei Hinsicht schlechter als die erste Lösung. Es war eine Katastrophe“, resümiert Alavanos. Im Mai, etwa sechs Wochen nach dem zyprischen Drama, hat er „Plan B“ gegründet, seine eigene Partei. Sie tritt gemäßigter auf als Syriza, ist aber eigentlich radikaler. Tsipras ruft zwar zum Aufstand gegen das vermeintliche deutsche Spardiktat auf und forderte auch einmal, die Unterhändler der Troika zu ignorieren, wenn sie nach Athen kommen, beharrt aber stets auf Griechenlands Mitgliedschaft in der Eurozone.

“Plan B“ dagegen sagt, wer die Austeritätspolitik ablehne, müsse auch bereit sein, aus der gemeinsamen Währung auszuscheiden. Die Partei schlägt vor, Griechenland solle wieder die Drachme einführen. Mit der „Alternative für Deutschland“ hat er zwar keinen Kontakt, „aber ich halte das für eine interessante Bewegung. Sie denken freier, nicht nach festgelegten Schemata“, lobt Alavanos, der Deutsch versteht und nach eigenem Bekunden „alles“ liest, was Hans-Werner Sinn schreibt. Der Name des deutschen Wirtschaftswissenschaftlers fällt fast immer, wenn man mit griechischen Eurogegnern spricht.

Es gehört zu den Seltsamkeiten der griechischen Krise, dass der Erzlinke Alavanos eine bessere Meinung von dem konservativen deutschen Ökonomen hat als von Alexis Tsipras, dem neuen Star der griechischen Linken. „In Tsipras’ Rede auf dem jüngsten Parteikongress von Syriza kam das Wort ,Eurozone’ überhaupt nicht vor“, kritisiert Alavanos. „Tsipras hat nur davon geredet, wie schlecht Merkel und Schäuble seien. Wie aber kann die wichtigste Partei der Opposition eine andere Politik fordern, ohne sich den Problemen von Griechenlands Mitgliedschaft in der Eurozone zu stellen?“

Die Wiedereinführung der Drachme war in der politischen Debatte Griechenlands bisher tabu. Nur die Kommunistische Partei will das Land aus der Eurozone führen, aber Griechenlands Kommunisten befinden sich seit Dekaden in einer spätstalinistischen Tiefschlafphase und spielen in der griechischen Politik keine gestaltende Rolle, obwohl sie stets im Parlament vertreten sind. Dass nun eine Partei ernsthaft für die Drachme wirbt, ist neu. Allerdings warnt Alavanos auf jeder Parteiveranstaltung, dass eine Rückkehr zur Drachme für sich allein nicht die Lösung sei. „Zugleich müssen die griechischen Banken verstaatlicht sowie alle Tilgungs- und Zinszahlungen an ausländische Gläubiger eingestellt werden.“

Sollte Athen sich weigern, die alten griechischen Staatsschulden sowie auch die aus dem zweiten Hilfspaket von 130 Milliarden Euro entstandenen Verbindlichkeiten zu bedienen, hätten Griechenlands Gläubiger ein veritables Problem. Dann träte ein, wovor Angela Merkel im Februar 2012 warnte, als sie sagte, Griechenland dürfe nicht bankrottgehen, weil die Deutschen sonst „Haftungsrisiken“ zu tragen hätten, „die wir nicht mehr beherrschen können“.

Wird der Schuldendienst eingestellt?

Auf die Frage, ob Griechenland die Rückzahlung der Schulden vollständig und endgültig verweigern oder nur ein (weiteres) Moratorium anstreben solle, antwortet Alavanos ausweichend. Er spricht davon, dass Griechenland „in der ersten Zeit“ nach Einführung der Drachme den Schuldendienst einstellen müsse, „für ein Jahr oder so, ich weiß es nicht genau“. Anfangs werde es vermutlich „große Probleme“ mit der EU geben, sagt der Politiker, der von 1981 bis 2004 erst für die Kommunistische Partei und danach für das inzwischen in der Syriza aufgegangene Linksbündnis Synaspismos Abgeordneter im Europäischen Parlament war. Fest stehe, dass die Griechen nur durch eine Kombination der Befreiung von ihrer Schuldenlast und der Einführung der Drachme griechische Produkte wieder zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten können.

Dazu sei zudem eine Sonderreglung (“opt-out“) nötig, die es der griechischen Landwirtschaft ermögliche, ihre Produkte ohne Begrenzung durch europäische Quoten zu exportieren. „Griechenland ist nach dem Beitritt zur EG 1981 von einem traditionellen Exporteur zu einem Importeur landwirtschaftlicher Produkte geworden. Wir müssen unbedingt wieder unsere Landwirtschaft entwickeln, um Arbeitsplätze zu schaffen“, sagt Alavanos. Allerdings erwähnt er nicht, dass die Knochenjobs in der Landwirtschaft, vor allem zur Erntezeit, seit Jahren fast nur noch von Albanern, Bulgaren und anderen Zuwanderern erledigt werden. Selbst im fünften Jahr der Krise und angesichts einer Rekordarbeitslosigkeit von fast 30 Prozent ist es vielen Bauern unmöglich, griechische Erntehelfer zu finden. Ein griechischer Winzer klagte im vergangenen Jahr, er könne keine Griechen für die Lese in seinen Weinbergen gewinnen, obwohl die meisten Jugendlichen seines Dorfes arbeitslos seien. Die schweren oder schmutzigen Arbeiten in Griechenland verrichten fast ausschließlich Saisonarbeiter oder Einwanderer aus ehemals kommunistischen Staaten. Ohne die bienenfleißigen Albaner bräche die Landwirtschaft in vielen Gegenden Griechenlands zusammen.

„New Deal“ als Modell?

Auch andere Aspekte von „Plan B“ wirken unausgereift. Alavanos bezeichnet den amerikanischen „New Deal“ als Modell für Griechenland und sagt, der Staat müsse „in der ersten Phase der Protagonist bei der Schaffung von Arbeit sein“. Um eine „aggressive Politik gegen Depression und Arbeitslosigkeit zu verfolgen“, seien außer dem Kreditwesen auch wichtige Branchen wie Telekommunikation, Wasserversorgung und das Stromnetz zu verstaatlichen. Doch woher soll Griechenland, das nach der von Alavanos propagierten Einstellung des Schuldendienstes kaum mehr mit finanzieller Hilfe von außen rechnen könnte, das Geld für all die staatlichen Investitionsprogramme erhalten?

Und wie soll es mit der vermutlich von Beginn an zu einem inflationären Sturzflug ansetzenden Drachme den Import von Öl, Gas, Benzin oder Medikamenten finanzieren? „Es stimmt, Importe würden sofort ziemlich teuer, und Öl oder Hochtechnologie können wir nicht durch eigene Produktion ersetzen“, gibt Alavanos zu. Doch habe Griechenland schon jetzt fast einen Primärüberschuss erwirtschaftet und könne, befreit von der Last für Zins und Tilgung seiner Schulden, die Einnahmen aus den als Folge der Abwertung der Drachme gesteigerten Exporten verwenden, um die Importe zu finanzieren. Dass diese Rechnung aufgeht, bezweifeln viele Ökonomen, doch Alavanos beeindruckt das nicht, denn er ist selbst einer.

Mehrheit der Griechen für Verbleib in der Eurozone!

Allerdings stellt sich die Frage, ob solche Berechnungen überhaupt nötig sind, denn eine Mehrheit der Griechen – 65 Prozent laut einer dieser Tage veröffentlichten Umfrage des seriösen Athener Meinungsforschungsinstituts „Kapa Research“ – ist trotz jahrelanger Rezession für einen Verbleib ihres Landes in der Eurozone. Und auch jenes Drittel, das sich gegen den Euro ausspricht, steht nicht automatisch hinter Alavanos. Griechische Demoskopen sagen zwar, dass „Plan B“ der Sprung über die Dreiprozenthürde zum Einzug ins Parlament gelingen könne, aber noch ist die Partei laut Umfragen alles andere als eine maßgebliche Kraft.

Dass sei zwei Monate nach ihrer Gründung auch nicht zu erwarten, wendet Alavanos ein. Er gibt sich sicher, dass seine Initiative mit der Zeit Einfluss auf einige der etablierten Parteien haben werde, und erinnert daran, dass es in Tsipras’ Syriza schon jetzt eine innerparteiliche Opposition von etwa 30 Prozent gebe, die gegen den Euro sei. Einstweilen dürfte sich aber vor allem der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras über „Plan B“ freuen, denn die neue Partei zieht hauptsächlich Wähler von Syriza ab. Dass die Regierungspartei „Nea Dimokratia“ von Samaras in Umfragen zuletzt einen halben Prozentpunkt vor der Partei von Tsipras lag, hat sie auch Alavanos zu verdanken.

Am anderen Ende von Athens Innenstadt, in der ehemals angesehenen, nun aber schäbigen Gegend nördlich des Omonia-Platzes, hat Theodoros Katsanevas sein Büro. Der ehemalige Schwiegersohn von Andreas Papandreou, dem griechischen Ministerpräsidenten der achtziger und früheren neunziger Jahre, erwarb seinen Doktortitel an der London School of Economics, war von 1989 bis 2004 Abgeordneter der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung im griechischen Parlament und lehrt heute Volkswirtschaft an der Universität Piräus.

Katsanevas ist ebenfalls ein Eurogegner. In Büchern, Aufsätzen und auf Vortragsreisen durch Griechenland versucht er seine Landsleute davon zu überzeugen, dass es ihnen ohne den Euro besserginge. „Der harte Euro passt nicht zur griechischen Wirtschaft. Griechenland braucht eine weiche Währung und eine harte Regierung. Eine Regierung, die sparsam mit Steuergeldern und streng mit Gewerkschaften umgeht“, sagt Katsanevas. Neulich hat er an der Universität Münster auf Einladung eines lokalen Funktionärs der „Alternative für Deutschland“ einen Vortrag darüber gehalten, warum Griechenland in der Eurozone fehl am Platze sei.

„Der Euro hetzt die Europäer gegeneinander auf“

In seinen Reden betont Katsanevas zwar stets seine Prägung als Ökonom, doch sein wichtigstes Argument gegen den Euro ist politisch: „Die Austeritätspolitik hat in weiten Teilen unseres Kontinents eine massenhafte Abneigung gegen alles geschaffen, was mit dem Projekt Europa in Verbindung steht. Die Abneigung wächst, der Euro hetzt die Europäer gegeneinander auf. Am Ende wird das nicht nur das kleine Griechenland zerstören, sondern auch Deutschland und Europa. Das müssen wir verhindern.“ Deshalb hat auch Katsanevas eine Partei gegründet. Er verheimlicht nicht, dass ihr Name (“Drachme. Fünf-Sterne-Bewegung“) von den Erfolgen Beppe Grillos inspiriert wurde. Doch eigentlich sei ihm der Italiener zu populistisch, behauptet Katsanevas. Seine Vorbilder sind Hans-Werner Sinn, der amerikanische Volkswirtschaftler Paul Krugman, „zwei der größten Ökonomen unserer Zeit, die uns viele Ideen vermittelt haben“.

Im September will die Drachmenpartei mit einer Kampagne für ein Referendum über ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro beginnen. „Wenn wir einen halbwegs gleichberechtigten Zugang zu den Medien haben, können wir die Leute davon überzeugen, dass es für Griechenland besser wäre, zur Drachme zurückzukehren. Leider sind die Medien vollständig unter Kontrolle der Kräfte, die den Euro beibehalten wollen. Wir werden ignoriert“, klagt Katsanevas.

Am liebsten hätte er es, wenn der europäische Süden unter Führung Italiens geschlossen aus der Eurozone ausscherte. „Italien hat die Stärke, um das Tor zu öffnen. Wenn es eine Koalition des Südens gibt, wird alles leichter werden. Der harte Euro ist ein Kostüm, das den Volkswirtschaften des europäischen Südens nicht passt.“ Katsanevas lächelt, als ihm die Frage gestellt wird, wie Griechenland denn mit seiner weichen Drachme künftig Importe aus der Eurozone oder Öl und Gas aus Russland bezahlen wolle. „Die Frage kommt immer“, sagt er und beantwortet sie zunächst mit einem Scherz: „Für eine Weile werden wir wohl auf Kaviar und Lamborghinis verzichten müssen, aber Nahrungsmittel haben wir genug in Griechenland – und Autos kann man reparieren.“

Ernsthaft führt er dann aus, die „schwierige Phase“ nach der Wiedereinführung der Drachme werde laut seinen Schätzungen etwa eineinhalb Jahre währen, und es sei nicht zu leugnen, dass in dieser Zeit mit Lieferengpässen, Schwarzmarkthandel und Schmuggel zu rechnen sei. Aber das werde sich legen – und das Argument, ein Drachmen-Griechenland könne sich kein Öl oder Gas mehr leisten, lässt Katsanevas nicht gelten. „Auch Albanien, Rumänien, Bulgarien oder Äthiopien haben eigene Währungen, aber sie führen trotzdem Öl und Gas ein. Warum soll Griechenland das nicht auch können?“ Schließlich habe es in Griechenland auch schon vor dem Beitritt zur Eurozone Benzin und Heizöl gegeben. Das stimmt – aber vielleicht sollte Katsanevas dennoch ein wenig an seinen Argumenten feilen. Vergleiche mit Äthiopien und Albanien werden die Griechen vermutlich nicht von den Segnungen einer Rückkehr zur Drachme überzeugen.