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Wowereit: Campieren ist keine Lösung

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Mit einem Appell hat Berlins regierender Bürgermeister Wowereit die hungerstreikenden Asylbewerber aufgefordert, ihre Aktion zu beenden. Der Sprecher der Protestbewegung sprach von „seelischer Folter“, die in Deutschland verübt werde.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat die hungerstreikenden Asylbewerber am Brandenburger Tor aufgefordert, ihre Lage zu überdenken. Es sei keine Lösung, dauerhaft an Orten zu campieren, die nicht dafür geeignet seien, sagte Wowereit der „Berliner Zeitung“ und fügte hinzu: „Ich unterstelle, dass hier Menschen protestieren, die aus Not gekommen sind und jetzt für ihre Rechte kämpfen.“ Deshalb müsse man aber nicht jede Aktion richtig finden. Wowereit hob hervor, dass es bei den Protesten in Berlin um Fragen gehe, die auf Bundesebene entschieden werden müssten- und die EU müsse sich einigen, „wie sie an ihren Grenzen die humanitäre Frage beantworten will“.

Seit anderthalb Wochen haben bis zu 29 Flüchtlinge aus acht Ländern auf dem Pariser Platz ein Lager aufgeschlagen. Sie demonstrieren dort gegen die Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Deutschland. Einige von ihnen hatten bereits an einer ähnlichen Aktion in München teilgenommen. Die Asylbewerber, von denen etwa die Hälfte bereits abschlägige Asylbescheide erhalten hat, fordern die sofortige Anerkennung ihrer Anträge beziehungsweise eine Korrektur der Ablehnungen.

Die 27 Männer und zwei Frauen kritisieren unter anderem die Residenzpflicht, die Unterbringung in Flüchtlingsunterkünften sowie die langen Bearbeitungszeiten ihrer Asylanträge. Seit zehn Tagen befinden sie sich in einem Hungerstreik, den sie seit Anfang dieser Woche noch verschärft haben, indem sie nun auch nichts oder nicht mehr viel trinken. Aus diesem Grund müssen immer wieder Personen vom Brandenburger Tor ins Krankenhaus gebracht werden, kehren aber nach Angaben von Beobachtern dann wieder zurück. Weil ihnen das Bezirksamt Berlin-Mitte das Aufstellen von Zelten auf dem Platz untersagt hat, nächtigen die Protestierer unter freiem Himmel. Ein Ring aus Regenschirmen grenzt das Camp optisch von den Touristen am Brandenburger Tor ab.

Hierarchisch organisierte Gruppe

Nachdem sich der Gesundheitszustand einiger Flüchtlinge in den vergangenen Tagen verschlechtert hatte, waren am Donnerstag Vertreter der evangelischen Kirche gekommen, um mit den Flüchtlingen zu sprechen. So boten der Bischof der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge, und der Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Martin Dutzmann, an, sich an das Bundesinnenministerium zu wenden, um zu einer Lösung zu kommen und nach Möglichkeit jeden einzelnen Asylantrag der Flüchtlinge abermals prüfen zu lassen. Ein entsprechendes Schreiben war dem Ministerium bis zum Freitag zwar angekündigt worden, dort aber noch nicht eingetroffen. Schon am Mittwoch hatte sich eine neu gewählte Bundestagsabgeordnete der Grünen, Luise Amtsberg, mit einem ähnlichen Anliegen an das Ministerium gewandt. Dieses sieht keinen Anlass, der Forderung der Asylbewerber nach Anerkennung ihrer Anträge außerhalb des Rechtsweges beziehungsweise gegen rechtskräftige Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nachzukommen.

Die Gruppe selbst scheint hierarchisch organisiert und gibt keine Informationen über die Herkunft der einzelnen Flüchtlinge heraus. „Wir wollen als Gruppe auftreten und die Schicksale Einzelner nicht in den Mittelpunkt rücken“, sagte Sibtain Naqvi der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der 32 Jahre alte Pakistaner, der als einer der Sprecher der Flüchtlinge auftritt, ist nach eigener Aussage vor einem Jahr in München angekommen. Seitdem warte er auf eine Antwort auf seinen Asylantrag. Er sei, so Naqvi, nach Deutschland gekommen, um sein Leben zu retten, und nun entsetzt über seiner Ansicht nach unmenschliche Lebensbedingungen: „Wir leben in Sozialgefängnissen. Das ist seelische Folter.“ Weiter sagte Naqvi: „Wir sind bereit zu sterben. Aber wir wollen nicht allein in unseren Lagern sterben, sondern öffentlich, vor den Augen der Regierung.“ Naqvi sieht keinen Raum für Verhandlungen: „Die Anerkennung unserer Asylanträge ist unsere einzige Forderung.“ Andere der Flüchtlinge halten hingegen Kompromisse für möglich. Bereit zu sterben seien sie jedoch alle, versicherte Brook Tadele, ein anderes Mitglied des Sprechergremiums.

Das Innenministerium bestätigte unterdessen, dass sich das BAMF bemüht, bei der Bearbeitung der Asylanträge Schritt zu halten mit der stetig wachsenden Zahl von Antragstellern. 2008 wurden 28.000 Anträge gestellt, in diesem Jahr werden 100.000 erwartet.